Nicht die Rettungsaktion der "Cap Anamur" steht zur Debatte, sondern das europäische Migrationsregime, das für tausendfachen Tod verantwortlich ist. Statt den menschenrechtlichen Skandal, den die tödlichen Folgen der "Festung Europa" darstellen, zu thematisieren, wird inzwischen den Verantwortlichen der "Cap Anamur" von etlichen Seiten vorgeworfen, eine Hilfsaktion initiiert und zur Selbstdarstellung instrumentalisiert zu haben.
Das ist jedoch leicht als ein politisches Manöver all derjenigen zu entlarven, die in den letzten Jahren die "entschlossene Bekämpfung der illegalen und unkontrollierten Immigration" zum verbindenden Moment einer europäischer Einwanderungspolitik erklärt, die Grenzen abgeschottet und dabei jegliches menschenrechtliche Maß, wie mit den "unerwünschten Einwanderern" umzugehen sei, aus den Augen verloren haben. Flüchtlinge und Migranten, die sich europawärts aufmachen, werden einem repressiven Migrationsregime unterworfen, das aus Kontrollen, Aussonderung, Einsperrung, Lager und Tod besteht.
Das Mittelmeer markiert dabei die vielfach todbringende Grenze zwischen den Zonen der Gewaltsamkeit, der tödlichen Armut und denen des Wohlstands, zwischen wohlständigem Leben und elendigem Tod. Nicht die Rettung von schiffbrüchigen Emigranten, die sich in diesem militärisch überwachten Grenzraum auf der Suche nach Zukunftsperspektiven, Überleben und Schutz nach Europa aufgemacht haben, ist in irgend einer Weise verwerflich, sondern menschenrechtlich allein jene europäische Migrationspolitik, die bislang Tausenden von Einwanderern das Leben gekostet hat (das Netzwerk United hat seit 1993 den Tod von über 4.500 Flüchtlingen und Migranten an den europäischen Außengrenzen dokumentiert). Eine Migrationspolitik, die im wesentlichen auf Abwehr und Kontrolle von Wanderungsbewegungen möglichst weit im Vorfeld der europäischen Wohlstandsgrenzen ausgerichtet ist - unter Inkaufnahme unzähliger menschlicher Opfer.
Die Rettungsaktion der "Cap Anamur" macht auf diesen menschenrechtlichen Skandal des todbringenden Grenzregimes zurecht aufmerksam. Und erst die rigide Haltung Italiens und Deutschlands, die Bootsflüchtlinge nicht aufnehmen zu wollen, produzierte das lautstarke Medienecho. Jetzt soll an den Aktivisten ein Exempel statuiert, dieselben kriminalisiert und ihr berechtigtes Anliegen zu einer PR-Aktion herabgewürdigt werden.
Das ist nur allzu durchsichtig. Denn es steht vielmehr die Frage zur Debatte, wie eine andere, eine menschenrechtsgemäße europäische Flüchtlings- und Einwanderungspolitik aussehen kann. Dazu könnte die Rettungsaktion einen Anstoß gegeben haben.
Gefragt ist jetzt zudem die Solidarität aller Bürgerinnen und Bürger mit den inhaftierten Aktivisten und den internierten Flüchtlingen der "Cap Anamur".