06. Mai 2022 © dpa
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Zur Notwendigkeit konkreter politischer Forderungen im Kontext des Krieges. Ein Debattenbeitrag

Der Krieg in der Ukraine geht auch Mitte April mit unverminderter Härte weiter. Erschreckende Bilder von Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung erreichen uns täglich. Zugleich emigrieren zehntausende Russ*innen aus einem Land, in dem Proteste gegen den Krieg martialisch geahndet werden. Kriegsbedingt steigen weltweit die Nahrungsmittelpreise, es kommt zu Engpässen. Neben Hungersnöten könnte es zu (Bürger)kriegen in den betroffenen Regionen kommen.

Es gibt in Deutschland mittlerweile überraschend viele linke Beiträge, die zwar eine klare Haltung gegen den/jeden Krieg formulieren, aber auf weitere Positionierungen und Analysen verzichten. Das ist in Anbetracht der vielen Toten und der schwerwiegenden Folgen des Krieges, die noch zu erwarten sind, zu wenig.

Daher muss die außer parlamentarische Linke dringend über Strategien diskutieren, die die Beendigung des Krieges und die nachhaltige Aufnahme von Friedensverhandlungen fördern könnten. Derzeit wirkt es fast so, als hätten viele Angst davor, sich in die Untiefen der Ausarbeitung konkreter Forderungen herabzuwagen. In der Tat ist es konsensfähiger, pauschal gegen Krieg zu argumentieren und zu demonstrieren, statt Vorschläge zu entwickeln, wie in einer historisch-konkreten Situation zu agieren wäre. Es werden hier im Folgenden zwei Forderungen diskutiert: die Besteuerung russischer Vermögen in Europa und ein möglicher Schulden erlass für die Ukraine.


RUSSISCHES KAPITAL IN EUROPA

Die in der Linken konsensfähigste Forderung ist die Besteuerung russischen Kapitals in der EU. Die vom französischen Ökonom Thomas Piketty vorgebrachte Idee sieht vor, Kapitale zu besteuern, statt sie nur „einzufrieren“. Dadurch könnten die Millionär*innen und Milliardär*innen nicht mehr einfach davon ausgehen, dass ihre Kapitale zu einem Zeitpunkt X wieder „entfroren“ werden. Denn dies beschert ihnen aktuell zwar Unannehmlichkeiten, doch das Kapital selbst bleibt unangetastet.

Eine Steuer hingegen würde reiche Russ*innen finanziell empfindlich treffen und wesentlich stärkeren Unmut bewirken, denn dadurch verringert sich ihr Vermögen. Zugleich fehlt für eine erfolgreiche Umsetzung einer Besteuerung genau dieselbe Grundlage, die auch das „Einfrieren“ selbst harmlos werden lässt:

Der Ausbau des bislang sehr lückenhaften Transparenzregisters zu einem Vollregister, welches die Eigentumsverhältnisse offenlegt. Erst ein solches Register würde es über haupt ermöglichen, alle russischen Kapitale zu identifizieren und damit wahlweise einzufrieren oder eben zu besteuern.

Dass die politischen und gesellschaftlichen Eliten den Vorschlag der Besteuerung geflissentlich ignorieren, ist folgerichtig. Denn zum einen würde der dafür notwendige Ausbau des Transparenzregisters alle Kapitale betreffen und damit Finanztransaktionen offenlegen. Zum anderen wäre mit der Erhebung einer solchen Steuer Tür und Tor für eine echte Vermögenssteuer in Deutschland und Europa geöffnet.

Aus linker Perspektive sollten wir uns also dringend mit einer derartigen Steuer auf russische Vermögen auseinandersetzen, denn es bestünde die Hoffnung, dass reiche Russ*innen weiterhin einen gewissen Einfluss auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin haben und ihn von seinem Kriegskurs abbringen könnten. Darüber hinaus wäre zu diskutieren, wohin der Ertrag einer solchen Steuer fließen könnte.

EIN SCHULDENERLASS FÜR DIE UKRAINE

Der Forderung nach einem Schuldenerlass für die Ukraine wird sowohl von der ukrainischen Regierung als auch von ukrainischen Linken vorgebracht. Innerhalb der deutschen Linken wird dies jedoch bisher kaum aufgegriffen. Es gibt einige Argumente, die für eine Schuldenstreichung sprechen: Es scheint perfide, von der Ukraine weiter die Tilgung von Schulden zu erwarten, da sie kaum noch Einnahmen erwirtschaften kann und dringend Geld zum Schutz der Zivilbevölkerung und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Infrastruktur benötigt.

Aktuell wird die ukrainische Regierung jedoch systematisch tiefer in eine Verschuldung bei IWF und Weltbank und verschiedenen westlichen Ländern getrieben. Bei einem Schuldenerlass wären dagegen die Handlungsspielräume der Ukraine weniger mit NATO Interessen verquickt, was gerade in Hinblick auf mögliche Friedensverhandlungen mit Russland eine wichtige Rolle spielen könnte.

Weiter bliebe zu hoffen, dass durch eine Entschuldung die Bedingungen für die Umsetzung emanzipatorischer Politik – etwa in Hinblick auf soziale Ungleichheit – in einer befriedeten souveränen Ukraine verbessert werden könnten.

Andernfalls ist davon auszugehen, dass die westlichen Institutionen ihre gängigen Austeritätspolitiken implementiert sehen wollen, die die ukrainische Rechte weiter stärken könnten.

Ganz realpolitische Erwägungen lassen also einen Schuldenerlass unterstützenswert erscheinen.

Yvonne Franke ist seit November 2021 im Vorstand des Grundrechtekomitees und arbeitet zu Macht und Herrschaftsverhältnissen und Globaler Sozialer Ungleichheit.