Die EU-Militarisierung schreitet voran – deutsch-französische Rüstungsexporte in Milliardenhöhe geplant! Am 22. Januar 2019 unterzeichneten Merkel und Macron den „Aachener Vertrag“, der sich als Ergänzung zum Élysée-Vertrag (22. Januar 1963) über die deutsch-französische Zusammenarbeit versteht. Der neue Vertrag hat es in sich: Vor allem geht es um eine Führungsrolle von Frankreich und Deutschland bei der weiteren Militarisierung Europas. Diese wird eng verflochten mit den eigenen Wirtschaftsinteressen der Rüstungskonzerne. Der Ausbau einer militärisch starken EU war schon mit dem Vertrag von Lissabon 2007 beschlossen worden. Nun wollen sich Frankreich und Deutschland zu Vorreitern der weiteren Militarisierung aufschwingen.
Artikel 1 des Aachener Vertrages macht das zentrale Anliegen klar, wenn er mit der Bemerkung anhebt: Beide Staaten
„setzen sich für eine wirksame und starke Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein und stärken und vertiefen die Wirtschafts- und Währungsunion“.
Dafür sollen die sicherheits- und verteidigungspolitischen Zielsetzungen und Strategien beider Staaten zunehmend aneinander angeglichen werden.
Die Beistandspflicht, die schon im NATO-Vertrag und auf EU-Ebene mit dem Vertrag von Lissabon definiert wurde, wird hier explizit auf eine Verpflichtung zu militärischem Beistand festgezurrt. Art und Umfang von Hilfeleistungen im Beistandsfall lagen bislang im Ermessensspielraum des Beistand gewährenden Staates. In Artikel 4 des Vertrages heißt es nun:
„Sie leisten einander im Falle eines bewaffneten Angriffs auf ihre Hoheitsgebiete jede in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung; dies schließt militärische Mittel ein.“
Damit geht der Vertrag im Wortlaut über bisher bestehende Verträge der EU und der NATO hinaus.
Unabhängige EU-Kriegseinsätze werden forciert
Zur Zielsetzung des Vertrages gehört der Ausbau eigenständiger europäischer Handlungsfähigkeit auf militärischem Gebiet, also eine möglichst weitgehende Unabhängigkeit vom US-Militär, um selbstständig weltweit Kriegseinsätze führen zu können. Beide Staaten wollen vor wichtigen Konferenzen und Entscheidungen auf EU- NATO- oder UN-Ebene Konsultationen abhalten, um gemeinsam entwickelte Standpunkte besser durchsetzen zu können. Dafür wird ein gemeinsamer „Verteidigungs- und Sicherheitsrat als politisches Steuerungsorgan“ eingerichtet. Die anderen europäischen Staaten sollen natürlich bei der EU-Militarisierung „mitgenommen“ werden und ihrerseits Beiträge leisten. Allerdings will man langfristig nicht mehr auf Konsens-, sondern auf Mehrheitsentscheidungen setzen. Bei der PESCO der EU (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit; Permanent Structured Cooperation) gehen beide Staaten bereits mit Vorfestlegungen voran.
Die Idee eines gemeinsamen europäischen Sitzes im Weltsicherheitsrat wird zugunsten eines jeweiligen Sitzes für Frankreich und Deutschland aufgegeben. Frankreich soll seinen ständigen Sitz behalten und gleichzeitig politisch dafür eintreten, dass auch Deutschland einen solchen Sitz erhält:
„Die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ist eine Priorität der deutsch-französischen Diplomatie.“ (Art. 8)
Zugleich will der Vertrag den gemeinsamen deutsch-französischen Wirtschaftsraum ausbauen und stärken, insbesondere die Rüstungsindustrie.
„Beide Staaten verpflichten sich, die Zusammenarbeit zwischen ihren Streitkräften mit Blick auf eine gemeinsame Kultur und gemeinsame Einsätze weiter zu verstärken. (...) Hierdurch beabsichtigen sie, die Wettbewerbsfähigkeit und Konsolidierung der europäischen verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis zu fördern. Sie unterstützen die engst mögliche Zusammenarbeit zwischen ihren Verteidigungsindustrien (...). Beide Staaten werden bei gemeinsamen Projekten einen gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte entwickeln.“ (Art. 4, Abs. 3; – Ironie des Schicksals: Art. 4, Abs. 3 GG: Recht auf KDV!)
Ein gemeinsamer Finanz- und Wirtschaftsrat soll die bilaterale Rechtsharmonisierung fördern.
Rüstungsexportrichtlinien sollen aufgeweicht werden
Im Klartext bedeutet dies, dass Deutschland seine ohnehin laxen Rüstungsexportrichtlinien den französischen anpassen muss. Merkel hat dies in letzter Zeit mehrfach betont. Der Spiegel berichtete u.a. über einen vertraulichen Zusatz zum Aachener Vertrag, in dem die Bundesregierung bereits Zugeständnisse an Frankreich gemacht habe. Regierungssprecher Seibert hatte dies abgeschwächt: „Das ist ein Papier, auf dessen Basis wir dann eine förmliche Vereinbarung herzustellen versuchen und in dieser Phase sind wir.“ Also gibt es dieses Papier. Es erinnert an das Geheimpapier, das zwischen den seinerzeitigen Verteidigungsministern Schmidt und Debré 1972 vereinbart wurde und die gegenseitige Zusage enthielt, sich beim Export gemeinsam entwickelter oder produzierter Kriegswaffen nicht zu behindern.
Milliarden für die Rüstungskonzerne
Eine solche Vereinbarung soll offensichtlich auch für die Zukunft gelten. Die geplanten deutsch-französischen Rüstungsprojekte der nächsten Jahrzehnte sind milliardenschwer. Krauss-Maffei und der französische Konzern Nexter sind bereits am Start, um gemeinsam neue Kampfpanzer zu bauen. Eine bewaffnungsfähige Euro-Drohne (voraussichtlich unter Einbeziehung von Spanien und Italien) soll entwickelt werden. Das teuerste Projekt wird die Entwicklung und die Produktion eines neuen gemeinsamen Kampfflugzeuges. Die Rüstungsriesen Dassault und Airbus sollen für dieses Luftkampfsystem (FCAS) bis Mitte 2019 ein Konzept vorlegen.
Alle diese Projekte lassen sich nur verwirklichen, wenn gleichzeitig hohe Verkaufszahlen einkalkuliert werden, sowohl an europäische Partner, aber auch in Kriegs- und Krisengebiete weltweit. Frédéric Journès vom Pariser Generalsekretariat für Verteidigung, meinte, ein Export dieser Waffen sei aus „unverblümt ökonomischen Gründen“ zwingend: „Leider werden wir nicht nur an nette, freundliche, unkomplizierte EU- oder NATO-Staaten verkaufen können“ (zitiert nach SZ, 9./10. März 2019). Die Gewinnsummen, die allein für den Verkauf der geplanten Panzer und Kampfflugzeuge gehandelt werden, liegen bei 600 Milliarden Euro (SZ, 22 Januar 2019)!
Friedensbewegung ist gefordert! Aufschrei jetzt!
In der GroKo ist inzwischen ein Streit darüber entbrannt, wie sich die deutsche Politik angesichts der Forderungen nach einer weiteren Liberalisierung der Rüstungsexportrichtlinien verhalten solle. Die SPD ist erfahrungsgemäß in solchen Streitfällen schließlich stets eingeknickt bzw. umgefallen. Dennoch lohnt es sich für die Friedensbewegung, diesen Streit jetzt öffentlicher zu machen und zu nutzen, um für ein generelles und gesetzlich fest zu verankerndes Rüstungsexportverbot zumindest in Kriegs- und Krisengebiete zu streiten. Dies müsste selbstverständlich auch den Export von mit anderen Staaten gemeinsam konstruierten bzw. produzierten Waffen umfassen. Die Ostermärsche und der EU-Wahlkampf können hierfür mitgenutzt werden. Ein Aufschrei jetzt ist vonnöten!