Die CSU-Landtagsfraktion behauptet ein neues Versammlunggesetz sei nötig. Man wolle dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1985 entsprechen. Dieses öffnete dem Grundrecht aller BürgerInnen, sich frei zu versammeln, grundrechtskonform endlich eine weite Gasse. Außerdem müsse der Schutz des Versammlungsrechts im Lichte der gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte Rechnung getragen werden. Ein neues Versammlungsgesetz durch den bayerischen Landtag sei möglich, weil die Föderalismusreform die einfachen Versammlungsgesetze den Ländern überlasse. Sie können nun das Grundrecht aller BürgerInnen, sich öffentlich und frei zu versammeln, spezialgesetzlich vermitteln.
II. Liest man die 28, teils sehr umfänglichen, Artikel des Gesetzentwurfs samt seinen Begründungen fallen drei ungleiche Teile auf. Ein erster kurzer Abschnitt, der dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit scheinbar schmust. Ein detaillierter Abschnitt, darauf angelegt, den möglichen Missbrauch des Versammlungsgesetzes durch BürgerInnen so feinsinnig und so vorgreifend zu regeln, dass sein Gebrauch im Belieben der Versammlungsbehörden, vor allem der Polizei steht. An diesen schließt sich ein dritter Teil, der die Sanktionen differenziert, die demonstrativ unbotmäßige BürgerInnen erwarten.
III. Schon in der dem Gesetzentwurf vorgeschalteten „Problem"-Stellung und ihrer folgenden „Lösung" wird dreierlei kund: Zum ersten: die „verfassungsrechtlichen Regelungsspielräume" sollen so besetzt werden, dass die „Versammlungsbehörden" mit Hilfe ihrer Sicherheits-„Prognostik", jederzeit Versammlungen auf ihre Weise beschränken und ihnen erkannten Notfalls ohne rechtliche Konsequenzen verbieten können. Ungeheuerlich in einem Staat, der sich „Rechtsstaat" nennt ist vor allen anderen Art. 25. Er lautet: „Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz haben keine aufschiebende Wirkung." So einfach geht das. So außerhalb allen Rechts schafft der Rechtsgeber Tatsachen und setzt sich somit selbst übers Recht. Zum zweiten: Das, was als „Versammlung" toleriert wird, wird erneut – und selbstredend vorab – von den „Versammlungsbehörden" bestimmt. Nicht anerkannte Versammlungen können darum traktiert werden, ohne auf einen Grundrechtsschutz Rücksicht nehmen zu müssen, „Vielmehr enthält das Bayerische Versammlungsgesetz aus Gründen der Gefahrenabwehr auch Regelungen zu nicht friedlichen Versammlungen mit der Folge", so heißt es in der Begründung zu Art.1, „Dass Maßnahmen gegen sie ohne Berücksichtigung des Grundrechtsschutzes des Art.8 Abs. 1 des Grundgesetzes getroffen werden können." Zum dritten „hält" schließlich der frohgemute Gesetzgeber, folgte er diesem CSU-Entwurf, „an der bewährten versammlungsrechtlichen Generalklausel für Verbote und Beschränkungsmaßnahmen fest."
IV. Das Gesetz zu einem Grundrecht enthält nicht eine Überlegung dazu und eine winzige Norm, wie Bürgerinnen und Bürgern dessen Ausübung am besten gewährleistet werden könnte. Es ist durchgehend als Gesetz paraphiert darauf angelegt, abzuschrecken, einzuschränken, zu verbieten, zu überwachen, zu bestrafen. Die in der Regel geförderten „Leiter" von Demonstrationen werden artikelgenau zu Hilfspolizisten ernannt. Und wehe sie tun nicht, was sie ordentlich tun müssen. Versammlungen werden polizeilich nur gefördert, wenn sie, ihre Leiter und ihre selbstredend genau identifizierten Ordner den ihnen gestellten Forderungen genügen. Entscheiden tun die Forderer. Während Polizeibeamte selbstredend in allen möglichen Tarnkappen auftreten können, so sie nur pauschal angemeldet sind, müssen Teilnehmende an Versammlungen jederzeit mit allen technischen Hilfsmitteln aufnehmbar und identifizierbar sein. Mit der pauschalen Behauptung, Teile einer Demonstration oder die Teilnehmenden an ihr insgesamt verhielten sich „militant", wird den eingesetzten Polizeien ein wundersames Säuberungs- , Eingriffs- und Verhinderungsmittel in die Hand gegeben, dazu geschaffen, die Gewalt, die angeblich verhindert werden soll, hineinzutreiben. Und so weiter und so fort.
V. Das ist kein Versammlungsgesetz. Das ist gesetzlich geplantes Unrecht gegen alle Versammlungen, die nicht ins herrschende Passpartout einzuzwängen sind. Vergeblich und täuscherisch in einem die Berufung auf wahrhaft schlimme historische Erfahrungen. Sie werden dazu missbraucht, ein Grundrecht und in ihm zum Ausdruck kommende demokratische Essenz kaputt und taub zu machen. Korrekter wäre es, alle Versammlungen von BürgerInnen zu verbieten! Des bayerischen Augsburg großer Sohn, Bertold Brecht, hat angesichts des Volksaufstands am 17. Juni 1953 in der DDR in tragischer Ironie vorschlagen, man solle doch das Volk am besten abschaffen, damit die Herrschenden unter sich bleiben könnten. Statt dessen könnte man angesichts eines solchen absurden Gesetzentwurfs empfehlen – da Versammlungen ohnehin abzuschaffen sind -, die bayerische Staatsregierung (samt nicht demonstrierenden Teilen des Landtags) sollten sich selbst in regierungsamtliche Sicherheitsverwahrung nehmen lassen, damit nicht „militante" „Schwarze Blöcke" sie ängstigen.
Am Beispiel Gesetzentwurf: Bayerisches Versammlungsgesetz (Vorlage: Staatspartei CSU)
Wolf-Dieter Narr