Das Fluchthandelsabkommen mit der Türkei verfolgt die europäische Exklusion Hilfesuchender; das wiedererstarkende System des innereuropäischen Grenzregimes bewirkt die gestaffelte Exklusion von Flüchtlingen aus den Nationalstaaten, nicht zuletzt auch aus Deutschland. Alsbald wird es zum Asyl- und Flüchtlingsrecht heißen: Wir schaffen das … ab!
Bleiben diejenigen, die es bereits bis nach Deutschland geschafft haben: Wer im Rahmen des wiederholt verschärften Asyl- und Aufenthaltsrechts nicht abgeschoben werden kann, wird gefälligst integriert. Wie es aussehen, genauer: ausarten kann, wenn sich die Bundesländer im Rahmen ihrer Kompetenzen um eine gesetzliche Verankerung und Konkretisierung der Integrationspolitik bemühen, ist in dem Entwurf eines "Bayerischen Integrationsgesetzes" nachzulesen, der sich noch bis zum 6.4.2016 in der sog. Verbändeanhörung befindet:
Die „Eckpunkte“ für ein solches Integrationsgesetz hatte das Bayerische Kabinett bereits am 8.12.2015 beschlossen, der Entwurf wurde am 23.2.2016 verabschiedet und zur Verbändeanhörung freigegeben. Mit einer gewissen Verzögerung regt sich nun Widerstand, und der ist dringend nötig. Was hier vermeintlich harmlos und wohlmeinend als „Integrationsgesetz“ daherkommt, ist nicht weniger als der alarmierende Versuch, der „deutschen Nation“ (bayerischer Prägung) eine „Leitkultur“ zu verpassen, für die künftig alle Nichtdeutschen in die Pflicht genommen werden. Bereits die „Präambel“ hat es in sich und es fällt schwer, danach noch weiterzulesen – aber es ‚lohnt‘ sich, denn der Gesetzentwurf bietet reichlich Anschauungsmaterial dafür, was …, wenn sie losgelassen …
Zunächst aber zur nationalistischen Leitkultur-Präambel: Bayern sei „Teil der deutschen Nation … tief eingewurzelt in Werte und Traditionen des gemeinsamen christlichen Abendlandes “ – dass es „um den jüdischen Beitrag zur seiner Identität“ weiß, darf heuer nicht fehlen. Weil „alleine eine grundrechtlich ausgerichtet Herrschaft des Rechts [vor] Terror, Diktatur und Spaltung“ bewahre, sei jeder (!) Einzelne zur Wahrung des Rechts und – so wörtlich – „zur Loyalität gegenüber Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen“ verpflichtet. Am Ende wird das „lange geschichtliche Ringen unserer Nation … um Einheit, Frieden und Freiheit“ beschworen und die dargelegte „identitätsbildende Prägung unseres Landes“ als „Leitkultur“ verankert, die „zu wahren und zu schützen“ Zweck das Integrationsgesetzes sei. Wer das liest, weiß bereits, warum ein Großteil der AfD-Wähler die CSU gewählt hätte, wäre sie auch in den anderen Bundesländern zur Wahl angetreten. Die Pegidisierung des rechten Randes der Union schreitet voran.
Als „Integrationsziele“ (Art. 1) werden einerseits unverbindliche Hilfs- und Unterstützungsangebote formuliert („Integrationsförderung“), womit „subjektive Rechte und klagbare Rechtspositionen“ jedoch explizit nicht begründet würden (Art. 17). Wichtiger ist dem christsozialen Abendlandkabinett aber ohnehin die „Integrationspflicht“: Menschen, die – so wird der Anwendungsbereich konkretisiert – „aus anderen Staaten kommen und hier nach Maßgabe der Gesetze Aufnahme gefunden haben oder Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen“, seien „auf die im Rahmen ihres Gastrechts unabdingbare Achtung der Leitkultur zu verpflichten“ und ihnen seien dazu „eigene Integrationsanstrengungen abzuverlangen“ (Art. 1 S. 2). Was damit erreicht werden soll, wird ziemlich ungeschminkt zum Ausdruck gebracht: Man will einer „Überforderung der gesellschaftlich-integrativen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes entgegenwirken“ (Art. 1 S. 3).
Hier ist nicht der Ort, diesen bayerischen Integrationsgesetzentwurf umfassend zu ‚würdigen‘, deshalb nur einige Schlaglichter:
Kindergärten, Schulen und Hochschulen, die Wirtschaft und sogar Rundfunk und Medien werden auf die „Leitkultur“ eingeschworen (Art. 6-10): Die Angebote in Rundfunk und Telemedien „sollen einen Beitrag zur Vermittlung der deutschen Sprache und der Leitkultur leisten“. Solches hörte man zuletzt aus Ungarn und Polen. Schwimmbäder, Bibliotheken und ähnliche öffentliche Einrichtungen gilt es auch zu schützen: Die Zulassung potenziell Leitkulturfremder kann „von einer vorherigen Belehrung und dem ausdrücklichen Anerkenntnis der bestehenden Vorschriften abhängig gemacht werden“.
Schön wäre es, man könnte den Entwurf als – wenn auch abstoßende – Leitkulturprosa abtun, aber was wäre schon ein Zwangsintegrations- und Leitkulturgesetz ohne Repressionsapparat:
Die „Sicherheitsbehörden“ können dazu verpflichten, sich einem „Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu unterziehen“, wer durch „Regelverstöße, Verunglimpfungen oder sonst durch nach außen gerichtetes Verhalten beharrlich zum Ausdruck bringt“, dass er diese Grundordnung ablehnt (Art. 13 Abs. 1). Wer an einem solchen Grundordnungskurs nicht teilnimmt „oder dessen Durchführung behindert“, kann mit einer Geldbuße belegt werden. Das gilt entsprechend für denjenigen, der „durch wiederholte schwerwiegende Regelverstöße oder sonst durch ein offenkundig rechtswidriges Verhalten erkennen lässt, dass ihm die Rechts- und Werteordnung in ihren Grundsätzen unbekannt oder gleichgültig ist“ (Abs. 2). Die Grundordnungskursverpflichtung kann schließlich auch entstehen „bei Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols, des Verhältnisses von Religion und Staat, der gewaltlosen Erziehung von Kindern und des Schutzes von Minderjährigen oder der Beachtung des deutschen Straf-, Ehe- und Familienrechts“ (Abs. 2), nur dass das noch nicht bußgeldbewehrt ist. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang der Hinweis, die strafrechtliche Verantwortlichkeit bleibe „unberührt“ – soll auch heißen: die o.g. Regelverstöße, Verunglimpfungen oder sonstiges offenkundig rechtswidriges Verhalten müssen allesamt keine Straftaten sein, um gleichwohl die „Sicherheitsbehörden“ auf den Plan zu rufen.
Schließlich soll es einen Bußgeldtatbestand des „Unterlaufens der verfassungsmäßigen Ordnung“ geben (Art. 16), der u.a. denjenigen trifft, der eine mit den Grundsätzen jener verfassungsmäßigen Ordnung „nicht zu vereinbarende andere Rechtsordnung“ propagiert. Wenn das mal nicht zum Bumerang wird: Das bayerische Nationalkabinett propagiert mit diesem Integrationsgesetz eine „Rechtsordnung“, die mit dem bisherigen Verständnis der „verfassungsmäßigen Ordnung“ kaum mehr zu vereinbaren ist. Die Androhung einer Geldbuße „bis zu 50.000 €“ dürfte aber nicht ausreichen, die CSU davon abzubringen. Gegen jeden, der es unternimmt, die verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen, so heißt es in Art. 20 Abs. 4 des Grundgesetzes, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand – wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Suchen wir also zunächst nach anderer Abhilfe: Die Verhinderung dieses Integrationsgesetzes wäre ein Anfang!