Die wirtschafts- und sozialpolitische Bilanz der Ampel-Regierung ist verheerend. Während soziale Sicherungssysteme und öffentliche Daseinsvorsorge zurückgefahren wurden, flossen Milliarden in innere und äußere Aufrüstung. Diese Etatverschiebungen sind, anders als vielfach behauptet, nicht das Ergebnis von Sachzwängen. Sie resultieren aus politischen Entscheidungen, die das gesellschaftliche Gleichgewicht gezielt zugunsten von Kapitalinteressen und ökonomisch wie sozial privilegierten Gruppen verschieben. Doch diese Entwicklungen finden kaum Würdigung in öffentlichen Diskursen. Soziale und ökologische Themen werden zugunsten chauvinistischer und rassistischer Scheindebatten und Moralpaniken verdrängt. Bereits Anfang der 2000er Jahre leitete die damalige rot-grüne Bundesregierung mit der Agenda 2010 und der Einführung von Hartz-IV einen massiven Sozialabbau ein. Dieser drängte Millionen von Menschen in unsichere Arbeitsverhältnisse und weitete den Niedriglohnsektor massiv aus. Die Erwerbsarmut hat sich seither deutlich erhöht, auch die Armutsquote steigt stetig. Zudem driften die höchsten und die geringsten Einkommen immer weiter auseinander. Alle diese Entwicklungen haben sich unter der Ampel-Regierung nochmals deutlich verschärft.
EIN AUFBRUCH VON KURZER DAUER
Die Kritik am Hartz-IV-System riss dabei nie ab, sie gewann über die Jahre sogar an Kraft. Im November 2019 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Hartz-IV-Sanktionsregeln für teilweise verfassungswidrig – ein Sieg von Sozialverbänden und Erwerbsloseninitiativen, die viele Jahre gegen diese Sanktionen und ihre entwürdigenden Folgen gekämpft hatten. Dank dieser Kämpfe rückten soziale und ökonomische Fragen wie Niedriglöhne, Kinder- und Altersarmut, hohe Mieten und Wohnungsnot vor der Bundestagswahl 2021 stärker in den Vordergrund.
Es wurde breit über eine sanktionsfreie Grundsicherung diskutiert, bis hin zu Modellen eines bedingungslosen Grundeinkommens. In ihren Wahlprogrammen setzten sich SPD und Grüne dafür ein, Teile der Agenda 2010 und des Hartz-Systems zu korrigieren. Sie warben für die Abschaffung von Hartz-IV zugunsten einer „Garantiesicherung ohne Sanktionen“ (Grüne) bzw. eines Bürgergelds ohne „sinnwidrige und unwürdige Sanktionen“ (SPD).
Ausgehend von diesen Wahlversprechen, in denen sich der jahrelange Druck von links und die Kämpfe sozialpolitischer Aktivist*innen verdichteten, fanden sich im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition zumindest einige soziale und ökologische Reformversprechen – darunter die Abschaffung von Hartz-IV zugunsten des Bürgergelds und eine Kindergrundsicherung. Doch die FDP blockierte systematisch jegliche sozialpolitische Verbesserung und setzte ihre marktradikale Agenda gegen SPD und Grüne durch, die sichtlich wenig Anstrengung unternahmen, ihre Wahlversprechen einzulösen. Unter dem Eindruck des Krieges gegen die Ukraine schwenkten sie allzu schnell auf einen Austeritäts- und Militarisierungskurs ein.
So unterschied sich das im Januar 2023 eingeführte Bürgergeld fast nur dem Namen nach von Hartz-IV. Auch die wenigen Verbesserungen, wie ein gestiegener Regelsatz und höhere Freibeträge für Einkommen und Vermögen, wurden zum Ende der Legislatur wieder abgeschwächt. Während medial zunehmend gegen Sozialleistungsbeziehende gehetzt und Klimaaktivist*innen als Kriminelle abgestempelt wurden, nutzte Finanzminister Christian Lindner seine Macht über die Haushaltsplanung für Klientelpolitik. Er verhinderte geplante Entlastungen unterer Einkommen, wie Kindergrundsicherung, Klimageld oder den Weiterbetrieb des 9-Euro-Tickets. Derweil wurden Reiche und Unternehmen mit Steuervorteilen begünstigt.
NEOLIBERALE ZUSPITZUNGEN
Der Haushaltsentwurf für 2025 war der traurige Höhepunkt des sozialpolitisch desaströsen Ampel-Kurses. Er sah massive Kürzungen in den sozialen, kulturellen, sowie migrations- und integrationspolitischen Etats vor. Besonders drastisch sanken die Mittel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und des Auswärtigen Amts – ein Bruch mit dem Versprechen, Außen- und Entwicklungsausgaben parallel zu den Verteidigungsausgaben zu steigern. Auch wenn es viele Kritikpunkte an der heutigen Ausgestaltung sogenannter Entwicklungszusammenarbeit gibt, so sind auch diese Kürzungen Zeichen der weiteren Abschottung Deutschlands und der militaristischen Wende.
Doch nicht nur globale Unterstützungsmechanismen, auch die sozialen Sicherungssysteme gerieten im Haushaltsentwurf 2025 unter die Räder: Rentenzuschüsse werden gekürzt, Bei träge zur gesetzlichen Krankenversicherung steigen, und das Bürgergeld erlebt eine Nullrunde. All dies, während die Inflation, insbesondere steigende Lebensmittelpreise, große Teile der Bevölkerung existenziell unter Druck setzen. Besonders zynisch ist das Scheitern der geplanten Kindergrundsicherung – ein Projekt, das hunderttausende Kinder aus der Armut hätte holen können. Die Ampel-Koalition stellte nochmals klar, dass soziale Gerechtigkeit keine Priorität für sie hatte.
Deutschland bleibt europäisches Schlusslicht bei öffentlichen Investitionen. Während die Infrastruktur weiter verrottet und Milliarden für neue, klimapolitisch verheerende Autobahnen ausgegeben werden, bleiben Instandsetzung und Schienenausbau chronisch unterfinanziert. Auch Schulen und Kitas leiden weiterhin unter einem immensen Investitionsstau. Während die Zahl der Wohnungslosen seit 2022 beinahe um das Zweieinhalbfache anstieg, stagniert der soziale Wohnungsbau. Bezahlbarer Wohnraum wird mehr und mehr zum Luxusgut. Während Bildungsungleichheit zementiert wird und die Wohnungskrise ungebremst eskaliert, redet die politische Mehrheit von einer weiteren Kürzung des Bürgergelds.
Neoliberale Kräfte, die nicht allein in der FDP zu finden sind, blockieren die dringend notwendigen sozial-ökologischen Veränderungen und dafür benötigte Umverteilungsmaßnahmen, darunter eine Vermögenssteuer und höhere Erbschaftssteuern. Die Schuldenbremse blieb bestehen, hohe und höchste Vermögen steuerlich unangetastet. Deutschland bleibt ein Paradies für Reiche, während die breite Bevölkerung für die Finanzierungslücken aufkommt. Deutschland folgt damit einem globalen Trend. Die neoliberale Politik wird vielerorts weiter verschärft und mit zunehmender Gewalt durchgesetzt; der Widerstand dagegen wird in die Defensive gedrängt.
Der Kurs der Ampel-Koalition brach mit wichtigen Lehren aus dem Nationalsozialismus. Errungenschaften wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention werden zunehmend als obsolet behandelt. Nicht nur die extreme Rechte arbeitet an deren Demontage. Unverfroren sprechen führende Politiker*innen von einer vollständigen und rechtswidrigen Streichung von Sozialleistungen sowie der Einführung eines Arbeitszwangs, das Grundrecht auf Asyl soll gänzlich abgeschafft werden, Urteile internationaler Gerichte werden ignoriert.
Statt auf Demokratie und Teilhabe zu setzen, schwenkt man in allen Bereichen mehr und mehr auf einen autoritären und militaristischen Kurs. Während soziale Programme zerstört werden, wächst der Sicherheitsapparat. Milliarden fließen in Aufrüstung und innere Repression, Überwachungsmaßnahmen werden ausgeweitet. Die sozialen Folgen der Austeritätspolitik werden verstärkt in den Globalen Süden externalisiert und auf die schon prekarisierten Milieus im Inneren umgelegt.
NEUE ALTE SÜNDENBÖCKE
Diese Verschiebung wird in einem politischen und medialen Klima ermöglicht, das immer offener rassistische Narrative bedient und soziale Missstände auf die Schwächsten der Gesellschaft projiziert. Asylsuchende und Menschen mit Migrationsgeschichte, Bürgergeldempfänger*innen sowie Menschen mit körperlichen Einschränkungen und psychischen Erkrankungen werden diffamiert. Durch diese Feindbildkonstruktion wird von der eigenen Verantwortlichkeit für soziale und ökologische Verwerfungen abgelenkt. Bisher leider allzu erfolgreich.
All diese Entwicklungen sind nicht alternativlos. Es gilt weiterhin, sich dem neuen rassistischen Konsens, dem Abbau sozialer und grundrechtlicher Errungenschaften und dem Ignorieren der Klimakatastrophe entgegenzustellen.
■ Michèle Winkler | Fabian Georgi