12. März 2008 © dpa
Datenschutz / Polizei / Überwachung / Verfassung

Wer die Macht haben will, weiß nie genug

Ein Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung Seit dem 1. Januar 2008 gewöhnen wir uns daran, dass alle unsere technisch-informationellen Kontakte zu anderen notiert werden. Wenn wir telefonieren oder uns ins Internet einwählen, wenn wir eine sms erhalten oder auf unserem E-mail-Konto nachschauen, werden Ort, Zeitpunkt und Dauer unserer „Kommunikation“ gespeichert.

Zwischen Verfolgungswahn und Ignoranz gegenüber dieser neuerlichen Datensammlung stellt sich die Frage, was hier wirklich neu ist, welche Grundgedanken hinter diesem neuerlichen Angriff auf unsere informationelle Selbstbestimmung stecken. Versinnbildlichen die 30.000 Unterschriften unter die Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eine neue Sensibilität gegenüber persönlichen Daten? Und wird uns tatsächlich das Bundesverfassungsgericht vor dieser Sammelwut schützen können?

Vorratsdatenspeicherung

Im November 2007 haben Bundestag und Bundesrat dem „Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ zugestimmt. Damit wird den europäischen Richtlinien zur Telekommunikationsdatenspeicherung entsprochen. Die Telekommunikationsanbieter müssen nun ein halbes Jahr lang speichern, wer, wie lange, mit wem und von wo aus kommuniziert hat (insbesondere Telefonanrufe, sms, E-Mails, Interneteinwahlen).

Sowohl der Anbieter des Anrufers oder Versenders als auch der des Angerufenen oder Empfängers muss diese Daten speichern. Kommunikationsinhalte werden ebenso wenig gespeichert wie die Adressen der aufgerufenen Internetseiten. Über das europäisch verlangte hinaus soll deutsches Recht die Nutzung dieser Daten nicht nur zur Aufklärung und Verfolgung schwerer Straftaten ermöglichen. Schon bei Bagatelldelikten, die mittels der Telekommunikation erfolgten, sollen die Daten den Ermittlungsbehörden zugänglich werden.

Bisher wurde ein Teil dieser Daten bei den AnbieterInnen zu Abrechnungszwecken meist drei Monate lang gespeichert. Darauf konnten staatliche Behörden gegebenenfalls zurückgreifen. Soweit die Daten nicht zu Abrechnungszwecken benötigt werden, müssen sie jetzt zusätzlich gespeichert werden. Dies gilt insbesondere im E-Mail-Verkehr, dessen einzelne Verbindungen meist nicht zu Abrechnungszwecken gebraucht werden, und für die Standortdaten. Es gilt ebenso für die Speicherung der Daten bei den Angerufenen oder EmpfängerInnen von Nachrichten. Betroffen sind auch die Anonymisierungsdienste, die kostenfrei zur Verfügung stehen, und diejenigen, die diese nutzen.

Diese wollen ja gerade die unbeobachtete Internetkommunikation ermöglichen, müssen nun aber die Verbindungsdaten der KundInnen speichern. In jedem Fall müssen alle Daten länger als bisher den möglichen Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stehen.

Jede/r ist verdächtig

Nicht erst seit dem 11.9.2001 können wir den Umbau des Rechtsstaats in einen präventiven Sicherheitsstaat beobachten, wenn die Anschläge auch eine nochmalige Beschleunigung des Abbaus der Freiheitsrechte eingeleitet haben. Proteste eines Teils der Bürger und Bürgerinnen gegen einen Staat, der sich immer neue Eingriffsrechte schafft, begleiten die Bundesrepublik vom frühen Beginn an. Die Notstandsgesetzgebung politisierte viele Menschen und ließ sie gegen die drohende staatliche Allmacht aufbegehren. Verhindern konnten sie die Gesetze nicht, jedoch wurden diese auch nicht in der befürchteten Weise genutzt. Gelernt hatte der Staat möglicherweise, dass die schrittweise Aushebelung der Freiheitsrechte erfolgreicher ist. Zunächst muss die Bedrohung nur eindringlich genug jedem verständigen Bürger und jeder Bürgerin nahe gebracht werden. Angesichts der beabsichtigten Volkszählung 1987 weigerten sich viele BürgerInnen, sich zählen und erfassen zu lassen. Sie wollten ihre persönlichen Daten nicht dem Moloch Staat überlassen.

Das Bundesverfassungsgericht schuf daraufhin erst das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, in dem es dies aus den Grundrechten aus Art. 1 und 2 GG ableitete. Dies ist nun in aller Munde, um nur umso konsequenter ignoriert zu werden. Auch die Bereitschaft der Menschen, ihre Daten bedenkenlos weiterzugeben, ist angesichts der Informationsgesellschaft enorm gewachsen. Die wenigsten Menschen sind noch in der Lage, zu verstehen, wie die von ihnen erhobenen Daten verarbeitet werden und welche Konsequenzen dies für sie hat. Also sind ihnen die Hoffnung auf ein bisschen Glück bei diesem oder jenem Glücksspiel, die winkenden Rabatte der payback-Karten und Gebührenerlasse der Krankenkassen bei Nutzung entsprechender Angebote näher als der Datenschutz.

Angesichts der Fülle automatisch verarbeiteter Daten verliert jede/r fast zwangsläufig den Überblick über die Daten, die von ihm im Umlauf sind. Die Ängste vor drohenden Gefahren wurden auf immer neue Weise (erfolgreich) geschürt. Vom RAF-Terrorismus, über schwarzen Block, Organisierte Kriminalität und Sexualdelikten bis hin zur Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus werden die Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - und damit jedes Einzelnen - an die Wand gemalt. Zugleich geht die Orientierung weg von der Strafverfolgung und der Tatverhinderung bei konkretem Verdacht zu einer präventiven Sicherung, die die potentiellen TäterInnen ent-decken will, bevor sie selbst davon wissen. Dies ist zwangsläufig eine Entwicklung in Richtung Gesinnungsstrafrecht.

Wer potentielle Gefahren bekämpfen will, muss überall Gefahren wittern und Möglichkeiten der vorbeugenden Überwachung suchen – die „Sicherung“ des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm gibt einen beängstigenden Vorgeschmack (vgl. Komitee für Grundrechte und Demokratie (Hg.): Gewaltbereite Politik und der G8-Gipfel). Schon lange mutiert der Bürger im Zuge der „präventiven Gefahrenabwehr“ zum potentiellen Täter. Wenn es nicht mehr um konkrete Gefahren und konkrete Anzeichen für Gefahren geht, dann ist es folgerichtig, möglichst viele Daten zu sammeln, um sie gegebenenfalls auszuwerten. Hierfür eignen sich zunächst alle die Identifizierung ermöglichenden Daten, die immer umfangreicher gesammelt werden (digitale Fotos, DNA-Daten, Mautdaten, diverse Extremisten-Dateien auf Verdacht, Fluggast-Daten). In den Ausweisen werden nun die Fingerabdrücke gespeichert, deren „Abgabe“ lange als Zeichen der „Verbrechensverfolgung“ diente.

Noch werden sie nicht zentral gespeichert. Aber jede Datensammlung weckt neue Begehrlichkeiten. Akzeptiert wird diese Art der Datensammlung erst aufgrund einer Technik, die den sauberen „fingerprint“ ohne Druckerschwärze ermöglicht. Diese Daten in den Pässen lassen feststellen, ob jemand mit seinen Daten identisch ist. Des weiteren ermöglichen Datensammlungen, im Datenabgleich – z.B. auch bei der automatischen KFZ-Kennzeichenfahndung - Menschen darauf zu überprüfen, ob sie aus irgendeinem Grunde gesucht werden. Dass jede/r verdächtig ist, könnten immer mehr Menschen zu spüren bekommen. MigrantInnen und ausländisch aussehende Menschen erfahren dies schon seit Jahren tagtäglich tausendfach. Vor allem bei den sogenannten „ereignis- und verdachtsunabhängigen“ Kontrollen. Sie stehen unter Generalverdacht, der ihnen sowohl durch ihre viel weitgehendere informationelle Erfassung als auch durch die sich wiederholenden rassistischen Kampagnen - á la Koch Anfang diesen neuen Jahres - vor Augen geführt wird.

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein weiterer Schritt, alle Menschen unter Verdacht zu stellen. Seit 9/11 werden die „Schläfer“ gesucht, die Unauffälligen und Angepassten. Zugleich – und das erscheint auf Dauer erschreckender – wird die Angepasstheit zum Maßstab, der in die BürgerInnen hineinverlagert wird.

Flirten, lästern, tratschen … und alles wird protokolliert

Ängstigt man sich davor, dass die privaten Lebensäußerungen protokolliert werden, verkürzt man jedoch das Problem um das Wesentliche. Spätestens seit Einführung des § 129 a ins politische Strafrecht im Jahr 1976 und seiner in der Folge vielfachen Nutzung zu Ermittlungszwecken wissen wir, dass soziale Kontakte, bürgerliche Zusammenschlüsse und Organisationen vom Staat als die eigentliche Gefahr wahrgenommen werden. Die Ermittlungen in Sachen „militante Gruppe“ haben dies kürzlich wieder mehr als deutlich gemacht. „mg“-Mitglieder wurden nach simplen Schemen konstruiert. Deren soziale Kontakte und Freundschaften mutierten im Zuge der § 129a-Verfahren zu verdächtigen Kontaktpersonen. Die Ermittlungen gegen 40 Beschuldigte beziehen 2.000 Kontaktpersonen ein. Die Vorratsdatenspeicherung wird die Ausforschung dieser sozialen Zusammenhänge erleichtern.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seiner die staatliche Überwachung einschränkenden Rechtsprechung jedoch in letzter Zeit auf den Schutz eines „Rückzugsbereichs der Privatheit“ zurückgezogen (vgl. z.B. den Beschluss zum Großen Lauschangriff). Zumindest im Schlafzimmer sollen wir privat bleiben dürfen, die Liebesbriefe auf dem Computer sollen vom Staat unausgewertet bleiben. An diesen Äußerungen hat der Staat allerdings auch kein Interesse. Unsere politische Kommunikation ist von Interesse und wird durchleuchtet werden, wenn nur der „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ geschützt ist. Eine solche Rechtsprechung macht die Überwachung - wie beim großen Lauschangriff - technisch etwas schwieriger. Ausgehöhlt wird dieser Schutz im neuerlichen Gesetzgebungsprozess allemal. Was wir fordern müssen, ist das Recht auf unbeobachtete Kommunikation der Menschen untereinander, auch jenseits – bzw. gerade jenseits des Schlafzimmers.

Es geht nicht um den Schutz der privaten Gedanken nach dem Motto „Die Gedanken sind frei …“, sondern um den Schutz der Meinungsfreiheit. Um die Möglichkeit kritisch zu denken, zu reden und zu schreiben und sich hierzu ohne jede Kontrolle zusammenzuschließen. Die frühere Rechtsprechung des BVerfG zur informationellen Selbstbestimmung machte diesen Kontext einmal deutlich. Das BVerfG stellte das Grundrecht direkt in den Kontext des Rechts auf freie Meinung und auf das Recht zur politischen Betätigung ohne Angst vor Nachteilen. Es machte somit den unmittelbaren Zusammenhang mit den Grundbedingungen einer Demokratie deutlich. „Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Artikel 8, 9 GG) verzichten.“ Damit, so führte das Bundesverfassungsgericht aus, würden nicht nur die Entfaltungschancen des Einzelnen, sondern ebenso die Funktionsbedingungen des freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens beeinträchtigt. In ähnlicher, auf die Konstitution des demokratischen Rechtsstaates bezogenen Weise betonte das Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Beschluss, dass Kritik und Protest „ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie“ enthalten, „das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“, es spricht von der „Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des selbstbewussten Bürgers“.

Demokratie braucht den Widerspruch, der aus der Sorge um die lebendige Demokratie, um die Grund- und Menschenrechte entsteht. Überwachungen sollen genau das verhindern. Wenn kritisches Denken, Reden und Schreiben die Lebensperspektiven beeinträchtigen können, wenn die Kommunikation mit jemandem, der oder die dies tut, verdächtig macht, dann werden diese Kommunikationen unterlassen. Wer Angst haben muss aufzufallen, wird die Schere im eigenen Kopf schärfen und sich so angepasst wie möglich verhalten. So schön die neuerliche Rechtsprechung des BGH zu den Bundesstaatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Sachen § 129 a sind – die Hausdurchsuchungen vor dem G8-Gipfel waren rechtswidrig, die „mg“ ist keine terroristische Vereinigung -, die Begründungen der Staatsanwaltschaften zur Ausforschung unliebsamer politischer Gruppen werden nur ausgetüftelter werden – so wie die Begründungen von Demonstrationsverboten, die inzwischen alle den Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zitieren, nur immer besser den Ermessensspielraum ausnutzen, um eigene Wahrheiten zu konstruieren. Das Bundesverfassungsgericht wird Recht und Gerechtigkeit nicht herstellen. Wir selbst müssen für Meinungsfreiheit kämpfen indem wir sie in Anspruch nehmen. Indem wir mit denen solidarisch sind, die in die Fänge der Ermittlungsbehörden geraten sind.

Elke Steven veröffentlicht in: graswurzelrevolution, 326, Februar 2008