Die Aufarbeitung der Ereignisse in der Sylvesternacht in Köln ist unter vielen Aspekten mehr als fragwürdig. Es ging nie darum, die Vorkommnisse zu verstehen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Viel mehr stand im Mittelpunkt, politisches Kapital aus den zu beschreibenden Unzulänglichkeiten zu ziehen. Der Polizeipräsident wurde in den Ruhestand versetzt, die Frage, ob denn die Polizei diese Eskalation von Straftaten hätte voraussehen können, durfte gar nicht gestellt werden. In der ca. drei Wochen später veröffentlichten „Kölner Botschaft“ waren sich die Honoratioren der Stadt einig: die städtischen Behörden haben zugesehen und vertuscht, das in der Nacht sichtbar gewordene Problem ist eines, das schon lange in der Stadt virulent ist. Schnell wurde also statt auf das Besondere und bisher einmalige der Ereignisse auf die Kölner Alltagskriminalität fokussiert. (siehe dazu: Udo Behrendes: Die Kölner Silvesternacht 2015/2016 und ihre Folgen, In: Neue Kriminalpolitik 28. Jg. 3/2016 (zu bestellen)
Zunächst war offensichtlich, dass die erschreckenden sexuellen Straftaten und Übergriffe dazu führten, das Ansehen aller Flüchtlinge drastisch zu verschlechtern und sie pauschal unter Verdacht zu stellen. Von der Willkommenskultur ging die Entwicklung seitdem weg zur Ausgrenzung, Ausweisung, Abschottung und zur weiteren militärischen Überwachung – längst nicht nur der Außengrenzen. „In unsäglicher Pauschalisierung brachen sich offen Rassismus und Islamfeindlichkeit Bahn.“ schrieb Helmut Pollähne in seinem Kommentar Mitte Januar. Runde um Runde geht die Verschärfung des Ausländerrechts weiter. Im Zuge der Änderung des Sexualstrafrechts wurde deutlich, wie sehr eine populistische Aufheizung der Debatte, einer nüchternen Analyse und sachgerechten Regelung im Wege steht.
Nun also legt der neue Polizeipräsident von Köln, Jürgen Mathies, seinen Entwurf für eine „Schutzzone Dom“ vor und findet viel Zustimmung in Politik und Kirche. Unordnung, Schmutz, Vandalismus und andere Ordnungsstörungen sowie strafbares Verhalten beeinträchtigten „das Sicherheitsgefühl nachhaltig und entscheidend“, heißt es in dem Papier. Dompropst Gerd Bachner fordert, der Dom verdiene endlich eine Umgebung, die der Würde und Bedeutung der Kirche gerecht werde.
Von der „Würde des Platzes“ war in Köln schon einmal 1998 die Rede. Damals ging es darum, „Gruftis und Punks“ mittels Platzverweisen „rund um das Weltkulturerbe Kölner Dom“ fern zu halten. Durch „anstößiges Lagern, belästigendes Lärmen und störenden Alkoholgenuß“ sei in den vergangenen Jahren die „Würde des Platzes“ gestört worden. (Grundrechte-Report 1999; www.grundrechte-report.de/1999/inhalt/ ) Es ging nicht um Straftaten, sondern darum, dass das Empfinden anderer möglicherweise gestört werden könnte. Selbstverständlich stören weder Dombaulotterie mit ausgestellten Autos noch Karneval dieses Empfinden und die Würde dieses Platzes.
Nun soll die „Kölner Stadtordnung“ mal wieder geändert werden. Der „übermäßige“ Alkoholkonsum sowie der Konsum von Drogen, aber auch das Wildpinkeln, Wildcampen, aktives Betteln und das Vermüllen des Areals sollen verboten werden. Vieles davon mag auch jetzt schon verboten sein, meint die Bürgermeisterin, aber „zukünftig soll die Umsetzung konsequent geschehen“.
Auch Störungen durch Einzelpersonen, „auch ohne Alkohol- und Drogeneinfluss“, sollen polizeilich sanktioniert werden. Mit anderen Worten, der Willkür werden Tür und Tor geöffnet, vertrieben werden sollen alle, die in ihrem Äußeren und in ihrem Verhalten nicht den bourgeoisen Normen entsprechen. Selbstverständlich soll die Videoüberwachung ausgebaut werden und werden Body-Cams für Polizisten eingeführt. Die Sylvesternacht wird instrumentalisiert zum weiteren Ausbau des repressiven Überwachungsstaats, der alles Andersartige ausmerzen will. Sortiert wird in einer solchen Situation eben nicht nach Verhalten, sondern nach rassischen und sozialen Kategorien.
Ob all diese Maßnahmen auch nur irgendetwas an den sexuellen Übergriffen in der Sylvesternacht geändert hätten, ob dadurch – wenn die Taten nicht hätten verhindert werden können – zumindest die Strafverfolgungsmöglichkeiten verbessert worden wären, steht nicht zur Debatte. Symbolische Politik und PR-Arbeit wird betrieben, die den tatsächlichen Problemen nicht ins Auge sehen will.
Man müsste einerseits akzeptieren, dass man in einer offenen Gesellschaft nicht alle Probleme vorher wissen kann und folglich Sicherheit nicht unumstößlich garantiert werden kann. Ereignisse, wie die in der Sylvesternacht, müssten sachlich analysiert werden, um daraus geeignete, erforderliche und angemessene Konsequenzen zu ziehen. Statt Überwachung und Ausgrenzung zu betreiben, müsste städtische Politik zur Verständigung und Integration beitragen und die Auswirkungen der sich vergrößernden Schere zwischen Arm und Reich vermindern. Die „Würde der Menschen“ ist zu achten und zwar aller Menschen und nicht nur derjenigen, die gut ins bürgerlich-ethnische Bild passen.
Elke Steven