Wahlkampf auf Kosten von Freiheit

Man könnte meinen, wir lebten in einem in höchstem Maße bedrohten Umfeld – terroristische Angriffe scheinen unseren Alltag zu bestimmen. Militarisierung, Verstärkung der Polizei, militärische Ausrüstung für die Polizei sollen mal wieder die selbstverständlichen Antworten auf die vielfältigen gesellschaftlichen Probleme sein. Es waren immer schon die falschen Antworten und bleiben es weiterhin.

 

Seit Sommer 2015 gibt es eine Spezialeinheit der Bundespolizei: BFE+ (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit +). Am 30. Mai 2016 berichtet das ZDF in „Frontal 21“, dass Ausrüstung und Ausbildung dieser Einheit skandalös schlecht seien. Diese müssten sich noch viel mehr am Militär ausrichten. Irene Mihalic, sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag und langjährige Polizeibeamtin, stellt in dieser Sendung heraus, dass der Anti-Terror-Einsatz quasi nebenbei erledigt werden müsste. Diese Einheiten, von denen es selbstverständlich zu wenige gäbe, müssten noch andere Arbeiten erledigen. Man reibt sich die Augen, habe ich da etwas verpasst, erleben wir denn gerade täglich Terrorangriffe? Selbstverständlich fordert Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, dann auch noch, den ganz normalen Streifenbeamten besser auszustatten. „Er ist bei einem Terroranschlag immer der erste vor Ort.“

 

Mit dieser Einheit wird tatsächlich die Trennung von Militär und Polizei weiter aufgeweicht. Dem Bürger wird mal wieder suggeriert, die Polizei wäre schlecht ausgestattet und könnte unsere Sicherheit nicht gewährleisten. Verschwiegen werden all die seit den 1970er Jahren aufgebauten Einheiten, die schon lange hochgerüstet für die Sicherheit sorgen sollen und auf den Einsatz von Gewalt spezialisiert sind. Die Länder verfügen über SEKs (Spezialeinsatzkommando), ihre Kriminalpolizeien über MEKs (Mobile Einsatzkommando). Auch das Bundeskriminalamt hat ein MEK und die GSG 9 der Bundespolizei soll ebenfalls den Terrorismus bekämpfen.

 

Die Polizeigewerkschaften fordern regelmäßig mehr Polizeibeamte – das ist aus gewerkschaftlicher Perspektive in gewisser Weise zu verstehen. Dass aber die Politik immer wieder auf diese Perspektive einer bedrohten Gesellschaft eingeht, ist fatal, fördert sie damit doch den Sicherheitsstaat, der die Freiheit Schritt um Schritt abschafft. Der Polizeiforscher Rafael Behr hat in der FAZ die Perspektive ein wenig zurecht gerückt.

 

Hier wird auch deutlich, dass diese Forderungen nach mehr Sicherheit häufig im Wahlkampf vorgetragen werden – früher vor allem von CDU-Politikern. Aber Bündnis 90/Die Grünen sehen zunehmend ihre Chance eben da. Einem Fraktionsbeschluss geben sie die Überschrift „MEHR SICHERHEIT DURCH RECHTSSTAATLICHKEIT“. Die „furchtbaren Anschläge von Paris und Brüssel“ werden zum Anlass für den Ausbau der Inneren Sicherheit genommen. Die „Sicherheitsbehörden“ müssen so ausgebaut werden, dass sie endlich den Gefahren des 21. Jahrhunderts gerecht werden können. 

 

Nun gibt es auch den einen oder anderen guten oder zumindest gut gemeinten Ansatz in diesem Papier. Die Ideen zur Auflösung des Verfassungsschutzes bleiben jedoch inkonsequent. Letztlich wollen die Grünen mit diesem Papier den Sicherheitsdiskurs in den Wahlkampf tragen. Dafür muss man die Bedrohungen – vom Terrorismus bis hin zu den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht in Köln – groß und wichtig machen, um sie dann mit „Sicherheitsbehörden“ und einer auszubauenden Polizei bekämpfen zu können.

 

Wir brauchen jedoch nicht mehr Polizei, sondern vor allem eine besser kontrollierte. Die Kennzeichnungspflicht muss endlich für alle Polizeibeamt*innen im Bund und in den Ländern gelten. Die Forderung nach unabhängigen Kontrollinstanzen, die als Beschwerde- und Untersuchungsinstitution für Fälle rechtswidriger Polizeigewalt notwendig sind, ist alt, aber noch immer richtig. 

 

Dass einige Landesämter des Verfassungsschutzes nun die „Identitären“ beobachten, wie ebenfalls in den letzten Tagen des Mai häufiger zu lesen war, ist auch keine gute Nachricht. Die Gefahr, die von diesen Gruppen ausgeht, wird von vielen Bürgern und Bürgerinnen schon lange wahrgenommen. Eine geheimdienstliche Überwachung ist dafür nicht notwendig. Notwendig aber ist der Protest gegen die Demonstrationen dieser Rassisten und völkischen Nationalisten, die sich als neue Jugendbewegung verstehen. So in Berlin am 17. Juni 2016.

 

Elke Steven