Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt hat am 10.3.2014 „nur“ über eine Prozesskostenhilfe bezüglich einer Klage gegen die Einkesselung eines Teils der Demonstration von Blockupy am 1.6.2013 entschieden. In ihrer Entscheidung, der Klage gegen die Rechtswidrigkeit der Umschließung von fast tausend Demonstrierenden „keine hinreichende Erfolgsaussicht“ einzuräumen, macht das Gericht deutlich, dass es gewillt ist, blind den Darstellungen der Polizei zu folgen.
Sie nimmt Videoaufzeichnungen – vermutlich von der Polizei ausgewählte Ausschnitte – und das Verlaufsprotokoll der Polizei zum alleinigen Maßstab, um daraus auf die Unfriedlichkeit dieser großen, bunten Gruppe zu schließen. Sie konkludiert, die öffentliche Sicherheit der Stadt Frankfurt sei gefährdet gewesen. Sie folgt blauäugig dem polizeilichen Vortrag, mildere Mittel seien nicht zu finden gewesen. Die vielen medialen Berichte über die Ereignisse in Frankfurt, nicht zuletzt von Journalisten, die sich selbst im Kessel befunden hatten, die vielen Berichte der Bürger und Bürgerinnen, auch in den Leserbriefen der Zeitungen, der ausführliche Bericht des Komitees für Grundrechte und Demokratie auf der Grundlage der Demonstrationsbeobachtung, also all die Schilderungen, die dem Polizeibericht deutlich widersprechen, entgehen dem Scheuklappenblick des Gerichts.
Geradezu zynisch ist es, dieses Vorgehen auch noch mit dem Schutz der Versammlungsfreiheit der friedlich Demonstrierenden zu begründen, deren Grundrecht erst durch den Kessel ausgehebelt wurde.
- Einige Sonnenbrillen, Tücher, Schirme und „Bücher“, die als Schilde uminterpretiert wurden, deutete die Polizei als Vermummungsgegenstände und passive Bewaffnung. § 17 Versammlungsgesetz öffnet mit seinen unbestimmten Rechtsbegriffen einer willkürlichen Interpretation von Gegenständen Tür und Tor. Schirme werden dann zu Vermummungsgegenständen, durchsichtige Plastikbrillen zu „Waffen“. Die inkriminierten Gegenstände sind aber zumindest im Kontext des Gesamtzusammenhangs zu interpretieren. Rechtssicherheit darf nicht einfach ausgehebelt werden. Immerhin konnten viele Demonstrierende unbeanstandet eine Woche später aus Protest gegen das polizeiliche Vorgehen gegenüber Blockupy genau diese Objekte mitführen. Die Polizei schritt nicht ein, sondern schützte die Demonstration.
- Selbst wenn einzelne Straftaten erfolgten, gilt auch für die Demonstrierenden innerhalb der willkürlich herausgenommenen Gruppe, dass ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht durch eine angebliche „Nähe“ zu diesen Taten aufgehoben werden darf. Ihnen müssten selbst entsprechende Taten nachgewiesen werden. Es sei an die Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erinnert:
- „Steht kollektive Unfriedlichkeit nicht zu befürchten, ist also nicht damit zu rechnen, daß eine Demonstration im Ganzen einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt (…) oder daß der Veranstalter oder sein Anhang einen solchen Verlauf anstreben (…) oder zumindest billigen, dann muß für die friedlichen Teilnehmer der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begehen (…). Würde unfriedliches Verhalten Einzelner für die gesamte Veranstaltung und nicht nur für die Täter zum Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, hätten diese es in der Hand, Demonstrationen ,umzufunktionieren‘ und entgegen dem Willen der anderen Teilnehmer rechtswidrig werden zu lassen (…); praktisch könnte dann jede Großdemonstration verboten werden, da sich nahezu immer ,Erkenntnisse‘ über unfriedliche Absichten eines Teiles der Teilnehmer beibringen lassen.“
Die Herauslösung einer ganzen Gruppe von Demonstrierenden hat das Grundrecht für die gesamte Versammlung ausgehebelt. Es muss selbstverständlich sein, dass ein Versammlungsbündnis darüber entscheidet, wer zur Versammlung gehört und welche Bündnisparter aufgenommen werden. Die Polizei hat nicht aufgrund ihrer auf Vermutungen beruhenden Gefahrenprognose ganze Gruppen auszuschließen.
Richtigerweise folgt das Verwaltungsgericht Frankfurt – entgegen dem Verwaltungsgerichtshof – der Rechtsauffassung, dass dieser Kessel eine Frage des Umgangs mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) berührt. Folglich ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit, nicht das Amtsgericht zuständig. Die Hoffnung, dass die Verwaltungsgerichte sorgfältiger und umfassender die Grundlagen der Verfassung in ihre Entscheidungen einbeziehen, hat das Verwaltungsgericht Frankfurt gründlich enttäuscht.