02. Okt. 2018

Pressemitteilung: Unteilbar – weil Menschenrechte keine Grenzen kennen

Am 13. Oktober 2018 werden wir gemeinsam mit einer Vielzahl anderer Menschen, die u.a. in Initiativen gegen Wohnungsnot, Pflegenotstand und prekarisierte Lebens- und Arbeitsverhältnisse, gegen Überwachung und Polizeiwillkür und für die Rechte von Geflüchteten aktiv sind, unter dem Motto ›Solidarität statt Ausgrenzung – Für eine offene und freie Gesellschaft‹ auf die Straße gehen. Als Bürgerrechtsorganisationen rufen wir dazu auf, sich an dieser Demonstration des Bündnisses #unteilbar zu beteiligen.

Seit einigen Jahrzehnten erleben wir eine staatlich orchestrierte gesellschaftspolitische Wende, die – unabhängig von den jeweiligen Regierungsparteien – auf einen neoliberalen Staatsumbau und dessen Absicherung zielt – trotz Mindestlohn und Fortschritten im Antidiskriminierungsrecht. Das hat auch Folgen für den Rechtsstaat: Europaweit werden sozial- und bürgerrechtliche Standards unterminiert und bekämpft. In der Innen- und Migrationspolitik sehen wir uns einer nicht enden wollenden Welle von Gesetzesverschärfungen gegenüber.

Diese Veränderungen sind grundlegend und betreffen alle Bereiche.

  • Es geht um die alle paar Monate auf den Weg gebrachten neuen Verschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht, die Schutzsuchenden den Zugang zum Recht selbst verwehren. Es geht um die Kriminalisierung der Seenotrettung und um die geplanten Lager in ›Drittstaaten‹, die eine weitere Abschottung der EU und eine bewusste Aufkündigung von Menschenrechten bedeuten.
  • Es geht um die neuen Polizeigesetze – in Bayern und Baden-Württemberg schon in Kraft, in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Niedersachsen im Gesetzgebungsverfahren –, die mit der Schaffung der Rechtsfigur der »drohenden Gefahr« polizeiliche Eingriffsbefugnisse weit über die Abwehr mutmaßlicher (Terror-)Gefahren hinaus entgrenzen. Mit der Ausweitung auf das polizeiliche Alltagsgeschäft werden so wir alle zum rechtlich nicht mehr kontrollierbaren ›Fall‹.
  • Es geht um die Verschärfung der Paragrafen 113, 114 StGB, nach denen jeder Kontakt mit Polizeibeamt*innen von der Drohung mit einer Freiheitsstrafe begleitet ist – während rechtswidrige Polizeigewalt weiterhin ignoriert wird und faktisch sanktionslos bleibt.
  • Es geht um einen Verfassungsschutz, der nicht nur von seinem ehemaligen Leiter, sondern von seiner Grundstruktur her eine Gefahr für Demokratie und Verfassung ist – der im Ergebnis aber nicht weniger, sondern immer weitere Befugnisse bekommt.
  • Es geht um einen BND, der sich erfolgreich gegen demokratische Kontrolle wehren kann, weil die Bundesregierung mit dem Blick auf ›befreundete Dienste‹ den Schutz vor anlassloser Ausspähung der Bevölkerung ablehnt.
  • Es geht um ein Mietrecht, das uns täglich vor Augen führt, dass Schutzrechte für Mieterinnen und Mieter ihre Grenzen in ökonomischen Verwertungsinteressen finden. Denn solange Wohnraum eine Ware ist, bleibt die Erfüllung eines Grundbedürfnisses ganz elementar von finanziellen Möglichkeiten begrenzt.
  • Es geht um eine weiterhin bestehende Ungleichbehandlung und Ungleichstellung von Männern und Frauen und LGBTIQ*-Personen. Es geht um die Zurückdrängung erkämpfter Rechte wie z.B. durch die aktuelle Kriminalisierung von Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen, die Förderung eines rückwärtsgerichteten Familienbildes durch Zahlung von Müttergeld und die geplanten Streichungen der Mittel für Gender Studies. Gleichzeitig werden Fälle häuslicher und sexualisierter Gewalt für rassistische Hetze benutzt.
  • Es geht um ein bestrafendes Sozialrecht, das mit Hartz IV über vier Millionen Menschen in Armut hält und ihnen, weitgehend entrechtet, jede Perspektive verbaut.
  • Es geht um die Zunahme von Personen in einem unbefristeten, generalpräventiven Freiheitsentzug namens Maßregelvollzug – von ca. 2.500 auf mehr als 7.000 Betroffene in den letzten dreißig Jahren.

Diese Aufzählung ist weder vollständig noch abschließend. Sie macht aber deutlich, dass das Recht in seiner Funktion als Schutz vor Diskriminierung, Ausgrenzung und staatlichen Eingriffen an Bedeutung verliert und immer offener zu einem Mittel zum Schutz der herrschenden Eigentumsordnung und der Legitimierung staatlichen Handelns wird.

Das ist alles nicht neu. Neu ist allerdings die Zuspitzung, die diese Entwicklung erfährt. Wir haben es nicht mehr mit einzelnen Gesetzesverschärfungen und Einschränkungen von Grundrechten zu tun. Vielmehr sehen wir uns einem rassistischen und nationalistischen Diskurs, einem Rechtsruck in Politik und Gesellschaft gegenüber, der Inhumanität und Menschenverachtung sagbar und umsetzbar macht. Dieser Rechtsruck wird begleitet von einer Politik der europäischen Staaten, die zur Verteidigung der eigenen wirtschaftlichen Interessen und zur Abwehr der Folgen einer verheerenden globalen Wirtschaftsordnung und des Klimawandels rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien zur Disposition stellt. Dabei wird auch zu dem Mittel des offenen Rechtsbruchs gegriffen. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Lebensbedingungen von Millionen von Menschen in Deutschland und Europa verschlechtert werden, während gleichzeitig der Rechtsstaat zu einem Sicherheitsstaat umgebaut wird, ist kein Zufall. Sie ist Folge einer Politik, die auf die Absicherung wirtschaftlicher Interessen und Profite in den Metropolen durch repressive Einschüchterung im Innern, Abschottung nach außen und die globale Infragestellung von Menschenrechten zielt.

Wo Polizei und Politik aktiv rechtsstaatliche Mindeststandards unterlaufen und dafür auf ein obskures Rechtsempfinden der Bevölkerung‹ verweisen und sich der Bundesinnenminister über eine obergerichtlich als rechtswidrig erklärte Abschiebung freut, steht der Rechtsstaat nicht mehr nur auf dem Spiel, sondern ist im Konkreten außer Kraft gesetzt. Das ist bedrohlich. Denn der Rechtsstaat ist kein Selbstzweck. Er soll die Freiheiten der Bürger*innen schützen – vor staatlichem Machtmissbrauch und Behördenwillkür. Stattdessen werden Menschen, die die für sie geltenden Rechte in Anspruch nehmen, und ihre Unterstützer*innen und Rechtsanwält*innen kollektiv unter der Betitelung »Asylindustrie« als Rechtmissbrauchende hingestellt.

Das Recht als Waffe einzusetzen, um sich gegen Herrschaft und Macht zur Wehr zu setzen – dieser Auftrag ist wichtiger denn je. Wir werden weiter Bürger*innen- und Menschenrechte gegenüber staatlichen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Machtansprüchen verteidigen. Wir werden dem stetigen Verlust von Rechtsstaatlichkeit nicht zusehen und weiter für eine fortschrittliche Entwicklung des Rechts kämpfen. Wir werden uns dabei der im Windschatten dieser Entwicklung alltäglich gewordenen Inhumanität und Menschenverachtung, den rassistischen und nationalistischen Diskursen entgegenstellen.

Gemeinsam mit einer Vielzahl anderer Menschen, die u.a. in Initiativen gegen Wohnungsnot, Pflegenotstand und prekarisierte Lebens- und Arbeitsverhältnisse, gegen Überwachung und Polizeiwillkür, für die Rechte von Geflüchteten, gegen Rassismus, Antisemitismus, Heteronormativität und sexualisierte Gewalt aktiv sind, werden wir auf die Straße gehen. Ein Bündnis wie #unteilbar, in dem sich die Vielfalt der Zivilgesellschaft vereint und dagegenhält, ist notwendig. Wir denken, dass soziale und politische Rechte einander bedingen. Deswegen sind wir als RAV, VDJ und Komitee für Grundrechte und Demokratie Teil dieses Bündnisses und rufen zur Teilnahme an der Großdemonstration am 13. Oktober 2018 in Berlin auf.

Für ein gemeinsames Streiten gegen Diskriminierung, Ausgrenzung und soziale Ungerechtigkeit.

Für einen Zugang zum Recht für alle.

Für die Unteilbarkeit der Menschenrechte.

Diese Pressemitteilung wurde von uns gemeinsam mit dem Republikanischen Anwältinnen und Anwälteverein (RAV) und der Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) heraus gegeben.