Über Meinungs- und Kunstfreiheit wird dieser Tage lebhaft diskutiert und öffentlichkeitswirksam für diese Grundrechte gestritten. Die Staatsanwaltschaft Koblenz jedoch verfolgt einen Friedensaktivisten wegen eines Flugblattes in maßlosem Engagement, obwohl ein Oberstaatsanwalt derselben Behörde bereits einmal einen Anfangsverdacht verneint hatte. Es geht um die nukleare Teilhabe Deutschlands und die Aufrüstung der in Büchel stationierten Atomwaffen.
Hermann Theisen fordert in unterschiedlichen Flugblättern Soldaten und Zivilbeschäftigte auf, die Öffentlichkeit über die Hintergründe der geplanten Neustationierung von zielgenaueren Atombomben zu informieren, die er als völkerrechts- und grundgesetzwidrig erachtet. Die öffentlichen Aktionen sollen selbstverständlich zu öffentlichen Diskussionen führen. Die Adressaten sind aufgefordert, sowohl über die mögliche Rechtswidrigkeit staatlichen Handelns und ihre Beteiligung daran nachzudenken, wie auch über die möglichen Konsequenzen einer öffentlichen Information.
Nach zwei Verurteilungen zu Geldstrafen (80 und 40 Tagessätze in mehreren zum Teil zusammengezogenen Verfahren) durch das Amtsgericht Cochem sind Berufungsverfahren am Landgericht Koblenz anhängig. Die Staatsanwaltschaft Koblenz führt in ihrer Berufungsbegründung aus, dass „bei zutreffender Würdigung aller Strafzumessungsgründe“ die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zur Bewährung notwendig sei. Damit nicht genug, sie konnte das Amtsgericht zu weiteren zwei Anklagen bewegen, drei weitere könnten folgen.
In der dem Thema angemessenen Kriegsrhetorik könnte man sagen: Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Über das offene Geheimnis der Lagerung und Aufrüstung der Atomwaffen in Büchel möchte die Bundeswehr nicht öffentlich sprechen. Über die Völkerrechts- und Grundgesetzwidrigkeit dieser Teilhabe erst recht nicht. Das alles weiß Hermann Theisen und weist deshalb die Soldaten in einer Rechtshilfebelehrung auch auf die Gefahren hin, wenn sie Dienstgeheimnisse verraten.
Wie wichtig für Gesellschaft und Demokratie Whistleblowing ist, zeigt sich jedoch immer wieder – zuletzt wieder im Kontext der Panama Papiere. Hier aber soll nur schon die Aufforderung zu Whistleblowing exzessiv verfolgt werden. Es mutet lächerlich an, dass eine Staatsanwaltschaft einem Flugblatt, verteilt vor allem auch an Politiker, Bürgermeister und normale Bürger, eine solch staatsgefährdende Bedeutung zumessen will. Aber wenn es um Krieg, um den diesen vorbereitenden Vorkrieg geht, dann soll wohl der Wahrheit keine Chance eingeräumt werden.
Über das „Vergehen“, über ähnliche Vergehen und ähnliche Kontexte haben Gerichte schon häufiger entschieden und vor allem eines anschaulich gemacht: auch die juristischen Meinungen zur Bewertung gehen weit auseinander. Als wir Kriegsgegner*innen aus dem Umfeld des Grundrechtekomitees die Soldaten im Kosovo-Krieg aufforderten, die Befehle zu verweigern und sich nicht an einem völkerrechtswidrigen Krieg zu beteiligen, kam erst das Kammergericht Berlin zu einem klaren Freispruch. Der notwendige Meinungskampf mache pointierte Äußerungen notwendig, um Aufmerksamkeit zu erregen. Einzelne Aussagen dürften nicht isoliert betrachtet werden, sondern müssten im Kontext der Intention und des Meinungskampfes interpretiert werden.
Das AG München, das über Flugblätter gegen den Waffenhandel entschied, nahm 2013 in sein schuldsprechendes Urteil immerhin auf, dass „der Angeklagte in früheren Strafverfahren wegen anderer Proteste gegen Kriege und Waffen zwar mehrfach erst- und zweitinstanzlich verurteilt, aber letztinstanzlich (nach Wiederaufnahme des Strafverfahrens) bisher stets frei gesprochen wurde.“ Die Staatsanwaltschaft Koblenz und manche Richter aber hoffen wohl, dass ausufernde Strafverfolgung, Androhung von Freiheitsstrafen und Fehlurteile wenigstens abschreckend auf diesen wie andere Bürger*innen wirken.
„Soldaten sind Mörder“ sagte schon Tucholsky und wurde deshalb verurteilt. Pointierte Kritik und die Warnung davor, „dass die Welt auf einem Pulverfass sitzt“ (Publik Forum Nr. 7/ 2016) sind notwendiger denn je. Dafür ist zu streiten und zugleich gilt unsere Solidarität Hermann Theisen, denn auch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit muss hier und jetzt verteidigt werden.
Zum Nachhören: längeres Interview mit Elke Steven auf http://www.nachdenkseiten.de/?p=33180