Todesurteile in Ägypten

Liebe Freundinnen und Freunde des Komitees für Grundrechte und Demokratie!

 

Uns alle überfällt angesichts der Todesurteile in Ägypten Trauer und Wut. Sind sie das Ergebnis der Revolte in Ägypten, auf die so viele von uns Hoffnungen geworfen hatten? Neue Repression, neue Militärherrschaft, Stiftung neuer Feindschaften in der Bevölkerung, statt Bemühungen um Aussöhnung und Gemeinsamkeit in der schwierigen Lage des Landes?

Was wird den zum Tode Verurteilten vorgeworfen? Sie alle werden beschuldigt, an den Unruhen im südlichen Oberägypten beteiligt gewesen zu sein (Erstürmen von Polizeistationen, Aufruf zur Gewalt). Zuvor wurde das Protestcamp der Anhängerschaft der Muslimbruderschaft, das wegen des Militärputsches gegen den gewählten Präsidenten Mursi errichtet worden war, gewaltsam aufgelöst. Weit über 800 Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi sind dabei am 14. August 2013 getötet worden. Ein westlicherseits tolerierter Webfehler in der ägyptischen „Entwicklung“, der nicht mehr behoben werden kann. Ägypten aber wird einen selbstbestimmten Weg nur wählen können, wenn es seine inneren Konflikte ohne neue Bluttaten löst, die Rache und neues Blut verlangen.

 

Wir fordern, alle ergangenen Todesurteile sofort zu suspendieren. 683 Menschen wurden am 28.4.2014 in einem Schnellverfahren in erster Instanz zum Tode verurteilt. Bereits am 24.3. waren 529 Todesurteile gegen mutmaßliche Mitglieder der Muslimbruderschaft ergangen, von denen jetzt 37 bestätigt und die anderen in lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt wurden. Am 21. Juni 2014 soll das Gericht – nach einem verfassungsmäßig vorgesehenen Votum des Groß-Muftis als höchster religiöser Autorität – über die jetzt ergangenen 683 Todesurteile erneut entscheiden. Auch hier werden teilweise Umwandlungen in lebenslange Haft erwartet. Aber selbst eine Umwandlung einiger Todesurteile in lebenslange Haftstrafe ist friedenspolitisch und menschenrechtlich abzulehnen. Es hat in keinem Fall der zum Tode Verurteilten ein Verfahren mit Untersuchung einer eventuellen individuellen Schuld und einer Möglichkeit rechtlicher Verteidigung stattgefunden.

 

Das Komitee bemüht sich gegenwärtig um einen Termin bei der ägyptischen Botschaft in Berlin für Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr und den Gefangenenbeauftragten des Komitees, Christian Herrgesell, um unsere Argumente vorzutragen.

 

An die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der übrigen Regierungen der EU richten wir die dringende Bitte, alle diplomatischen Mittel und Wege zu nutzen, damit nicht ein neues kollektives Unrecht eine Interessen ausgleichende Entwicklung in Ägypten verhindere. Jegliche militärische Zusammenarbeit mit Ägypten ist einzustellen. Die anfänglich friedliche Revolution in Kairo wurde auch mit von Deutschland ausgerüsteten Panzern überrollt. Solange keine rechtsstaatlichen Verfahren in Ägypten möglich sind, sollte die Bundesrepublik den über 1.000 Verurteilten, die noch nicht in Haft, sondern untergetaucht sind, über die deutsche Botschaft in Kairo aus menschenrechtlichen Gründen Asyl anbieten.

 

Auch Amnesty International hat sich für die Freilassung und für gerechte Gerichtsverfahren in Ägypten eingesetzt. Wir wiederholen hier nicht die Argumente von Amnesty. Sie können den Amnesty-Appell gegen die Todesurteile unterstützen: www.amnesty.de/urgent-action.

 

Ferner bitten wir Sie/Euch, an den deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (Auswärtiges Amt, 11013 Berlin) und an den ägyptischen Botschafter (Botschaft der Arabischen Republik Ägypten, Stauffenbergstr. 6-7, 10785 Berlin) mit Ihren/Euren eigenen Worten Eure Forderungen und Eure Empörung kundzutun. Bei aller Besorgnis über den Krieg in Syrien und die Konfrontation in der Ukraine dürfen wir die menschenrechtlich und friedenspolitisch gefährliche Entwicklung in Ägypten nicht aus den Augen verlieren.

 

Freundlich grüßend!

 

Andreas Buro, friedenspolitischer Sprecher des Grundrechtekomitees

Martin Singe, Geschäftsstelle des Grundrechtekomitees