Anlässlich der geplanten Einstufung der Republik Moldau als sogenannter Sicherer Herkuftsstaat, schließen wir uns mit vielen weiteren Organisationen der folgenden Stellungnahme des Roma Center e.V. an:
Die geplante Einstufung der Republik Moldau als „Sicherer Herkunftsstaat“ ist aus historischen und humanitären Gründen abzulehnen.
Wir betrachten diese Maßnahme als weiteres Beispiel für Symbolpolitik auf Kosten flüchtender Roma, um einer flüchtlingsfeindlichen Stimmung in Deutschland entgegen zu kommen. Diese Maßnahme wird keine nennenswerte Auswirkung auf die Gesamtzahl der nach Deutschland flüchtenden Menschen haben.
Wir befürchten allerdings, dass sie die Ausgrenzung und Stigmatisierung von Roma in Deutschland und in Moldau verstärken wird, und dass die mit der Einstufung einhergehende Einführung einer von der Realität losgelösten gesetzlichen Vermutung rechtsstaatlicher Verhältnisse die Geltendmachung von Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen im Asylverfahren erschweren oder verunmöglichen. Schließlich weisen wir darauf hin, dass die Maßnahme in direktem Widerspruch zu den Empfehlungen der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (UKA) steht.
Im Jahr 2022 gab es 5218 Asylanträge von moldauischen Staatsangehörigen in Deutschland. Das sind 2% aller in Deutschland gestellten Asylanträge.
Berücksichtigt man noch die rund eine Million Geflüchteten aus der Ukraine, verschwindet der zahlenmäßige Anteil der Geflüchteten aus Moldau noch mehr in der Bedeutungslosigkeit – in dieser Berechnung stellen sie nur 0,4% der Geflüchteten, die 2022 nach Deutschland kamen. Selbst wenn keine einzige Person aus Moldau mehr in Deutschland Asyl beantragt (was nicht passieren wird – 2022 stellten immerhin rund 10 000 Personen aus den „Sicheren Herkunftsstaaten“ des Westbalkans Asylanträge in Deutschland), würde dies keine wahrnehmbare Auswirkung auf die Gesamtzahl der nach Deutschland ankommenden Geflüchteten haben.
Wir halten die geplante Einstufung der Republik Moldau als „Sicheren Herkunftsstaat“ daher für reine Symbolpolitik auf dem Rücken von flüchtenden Roma, denn es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Asylantragstellenden aus diesem Land Angehörige der Roma-Community sind.
Diese Strategie der Migrationsabwehr gegen Roma hat eine lange Geschichte. 1992 waren geflüchtete Roma aus Rumänien die ersten Opfer des rechtsextremen Pogroms von Rostock-Lichtenhagen. Wenige Wochen später wurde eine Rücknahme-Abkommen mit Rumänien geschlossen, und 1993 waren Rumänien und Bulgarien die ersten beiden „Sicheren Herkunftsstaaten“, auf die sich die Schwarz-Gelbe Bundesregierung und die SPD einigten.
2014 und 2015 wurde die Einstufung der Westbalkanstaaten als „sicheren Herkunftsstaaten“ vor allem damit rechtfertigt, dass die Menschen aus diesen Ländern, vor allem Roma, keine legitimen Fluchtgründe haben und unrechtmäßig Ressourcen in Anspruch nehmen würden, die für die „echten“ Flüchtlinge – vor allem die aus Syrien – gebraucht würden.
Auch heute stehen Roma – nunmehr die aus Moldau – wieder im Fokus in einem Ausmaß, der in keinem Verhältnis zu ihrem zahlenmäßigen Anteil an der Gesamtzahl der nach Deutschland flüchtenden Personen steht.
In einer Zeit, in der insgesamt mehr Menschen nach Deutschland flüchten und der politische, mediale und öffentliche Diskurs zunehmend von Stimmen dominiert wird, für die eine Begrenzung der Anzahl der ankommenden Geflüchteten oberstes Ziel ist, werden ein ums andere Mal Roma als Problem ausgemacht, stigmatisiert und durch Delegitimierung ihrer Fluchtgründe zu „unerwünschten“ bzw. „nicht-hilfsbedürftigen“ Geflüchteten erklärt, die den „guten“ Geflüchteten (aktuell: Ukrainische Geflüchtete) gegenüber gestellt werden.
Eine Maßnahme, die sich gegen 0,4% der Geflüchteten richtet, wird keine realen Auswirkungen auf die Anzahl der in Deutschland ankommenden Geflüchteten haben. Sie wird aber insofern reale Auswirkungen haben, als dass sie rassistische Stereotype und Vorurteile gegen Roma verstärkt und reproduziert, was sich ganz konkret auf die realen Lebensumstände von Roma in Deutschland und in Moldau auswirken wird.
Die Situation der Romain Moldau ist gut dokumentiert und muss an dieser Stelle nicht ausführlich wiederholt werden. Wir verweisen auf den Bericht von Pro Asyl und dem Berliner Flüchtlingsrat aus dem Jahr 2022 hin, der unter anderem schreibt:
"Insgesamt lässt sich feststellen, dass Rom*nja in der Republik Moldau in allen Lebensbereichen von erheblicher Diskriminierung durch die Mehrheitsbevölkerung, durch staatliche und private Institutionen betroffen sind. Dies reicht vom Zugang zu Arbeit, Wohnung und Bildung über den Zugang zu Gesundheit und Recht bis zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit. In besonderer Weise betroffen sind Frauen, Kinder sowie chronisch kranke und behinderte Menschen. Folgen der Diskriminierung von Rom*nja sind eine extrem prekäre ökonomische, Wohn- und soziale Situation sowie fehlende Perspektiven innerhalb der Gesellschaft.
Aus Ausgrenzung und prekären Wohnverhältnissen resultiert häufig das Fehlen von Dokumenten wie Meldeadresse, Personalausweisen, Geburts- und Heiratsurkunden mit den entsprechenden Folgeproblemen etwa beim Zugang zu Gesundheit und Recht.
Dies alles ist vor dem Hintergrund zu bewerten, dass die Republik Moldau das Land mit dem niedrigsten Einkommensniveau Europas ist. Der Zugang von Rom*nja zu Leistungen wie Schulbildung und medizinischer Versorgung wird durch umfassende Diskriminierungen be- und verhindert, er ist meist auch nur durch informelle Zuzahlungen möglich, die Rom*nja sich aufgrund ihrer extrem prekären ökonomischen Situation regelmäßig nicht leisten können".
Das oft vorgebrachte Argument, die Einstufung als „Sicherer Herkunftsstaat“ würde das individuelle Recht auf ein faires Asylverfahren nicht tangieren, weil weiterhin jeder Einzelfall geprüft werde, entspricht nicht der Wahrheit.
Die Einstufung eines Staates als „Sicherer Herkunftsstaat“ schafft eine gesetzliche Regelvermutung, dass es im jeweiligen Staat einen funktionierenden Rechtsstaat gebe, dass der Staat keine Menschenrechtsverletzungen begehe und dass der Staat Menschenrechtsverletzungen durch Dritte verhindere bzw. ahnde.
In den Westbalkanstaaten ist dies nachweislich nicht der Fall. Es gibt systematische Diskriminierung von Roma seitens Polizei und Justiz. Roma werden zu Unrecht verdächtigt, Straftaten begangen zu werden, erhalten oft keine fairen Gerichtsverfahren und werden überdurchschnittlich hart bestraft.
Straftaten gegen Roma werden oft nicht ernsthaft verfolgt, mitunter werden die Opfer zu Tätern gemacht. Roma erfahren Gewalt und Schikanen seitens der Polizei. Staatliche Stellen bleiben untätig, sogar bei extremen Ausprägungen von Diskriminierung wie rassistische Segregation in Schulen.
Diese Umstände, die in zahlreichen Berichten, Studien und auch in Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte belegt sind, dürfen in deutschen Asylverfahren nicht berücksichtigt werden, weil es sie in einem „Sicheren Herkunftsstaat“ per Definition nicht geben darf. BAMF und Gerichte sind gezwungen, die Realität zu ignorieren und von der Fiktion einer funktionierenden Rechtsstaatlichkeit auszugehen, selbst dort, wo es eine solche nachweislich gar nicht gilt.
Die Einstufung der Westbalkanstaaten als „Sichere Herkunftsstaaten“ und die damit einhergehende öffentliche Debatte, die einen Zusammenhang zwischen Roma und „Asylmissbrauch“ herstellte, führte in einigen dieser Staaten zu einer noch stärkeren Stigmatisierung von Roma. Wir befürchten, dass das gleiche in Bezug auf Moldau passieren wird, denn auch Moldau wird den Ansprüchen, die das Gesetz an „Sichere Herkunftsstaaten“ stellt, nicht ansatzweise gerecht. Das ist nicht etwa nur unsere Meinung – das US-Außenministerium schreibt in seinem aktuellen Bericht von März 2023, es gebe in Moldau
„glaubwürdige Berichte über: Folter oder grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch die Behörden; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; schwerwiegende Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; schwerwiegende Akte staatlicher Korruption; fehlende Untersuchung und Rechenschaftspflicht bei geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich häuslicher und intimer Partnergewalt und sexueller Gewalt; Gewaltverbrechen oder Gewaltandrohungen gegen Roma; antisemitisch motivierte Verbrechen, Gewalt und Gewaltandrohungen; Gewaltverbrechen oder Gewaltandrohungen gegen lesbische, schwule, bisexuelle, transgender, queere oder intersexuelle Personen; Gewaltverbrechen oder Gewaltandrohungen gegen Menschen mit Behinderungen; und die schlimmsten Formen der Kinderarbeit.“
Wer unter diesen Umständen dafür stimmt, ein solchen Land zum „Sicheren Herkunftsstaat“ zu erklären, hat entweder die Vorgaben des Grundgesetzes nicht verstanden oder missachtet diese wissentlich.
Indem sie anstrebt, einen weiteren Staat, aus dem vor allem Roma fliehen, auf die Liste der „Sicheren Herkunftsstaaten“ zu setzen, missachtet die Bundesregierung in eklatanter Weise die Empfehlungen der UKA, die von 2019 bis 2021 beim Bundesministerium des Innern angesiedelt war und erstmals systematisch die Diskriminierung gegen Roma in Deutschland untersuchen sollte. Das Ergebnis der in Auftrag gegebenen Studien ist ein über 600 Seiten starker Bericht mit Handlungsempfehlungen an die Politik.
Eine der sechs zentralen Forderungen bezieht sich auf das Bleiberecht, nämlich einen sofortigen Abschiebestopp und die Anerkennung von geflüchteten Roma als besonders schutzwürdige Gruppe aus historischen und humanitären Gründen. Darin heißt es:
„Der Bundesregierung und dem Gesetzgeber des Bundes wird empfohlen, die menschenrechtlich nicht haltbare Einstufung von Serbien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Montenegro und dem Kosovo als „Sichere Herkunftsstaaten“ zurückzunehmen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wie auch die Verwaltungsgerichte haben bei ihren asylrechtlichen Entscheidungen grundsätzlich zu beachten, dass sich Erfahrungen von Diskriminierung in diesen Staaten im Rahmen staatlicher Strukturen wie auch im Alltag individuell in unterschiedlicher Intensität verdichten können. Daher ist die bisherige Entscheidungspraxis mit Blick auf die tatsächliche Situation von Rom_nja in diesen Staaten zu prüfen. Kumulative Verfolgungsgründe sind anzuerkennen.“
Statt dieser Empfehlung nachzukommen, plant die Bundesregierung, nun auch die Republik Moldau als „sicher“ einzustufen und damit das Konstrukt der „Sicheren Herkunftsstaaten“ ein weiteres Mal zu bestätigen und auszuweiten, statt wie von der UKA empfohlen, die bisher erfolgten Einstufungen von Einstufung von Serbien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Montenegro und dem Kosovo zurückzunehmen.
Indem sie das genaue Gegenteil von dem macht was die UKA empfiehlt, zeigt die Bundesregierung, dass sie nicht bereit ist, den von der UKA geforderten Perspektivwechsel zu vollziehen und aus vergangenem Unrecht zu lernen.
Dazu gehört nicht nur das NS-Unrecht, das sich selbstverständlich auch gegen die Roma aus dieser Region richtete, sondern auch die lange Geschichte der Migrationsabwehr im wiedervereinigten Deutschland, die sich immer wieder gegen Roma wendete und wendet.
Statt Gerechtigkeit nachzuholen und flüchtenden Roma Schutz zu gewähren, setzt auch diese Bundesregierung den altbekannten Kurs der deutschen Migrationspolitik fort, der vulnerable Roma im Stich lässt und an den Pranger stellt, um rassistischen Stimmungen in der Gesellschaft entgegen zu kommen.
Erstunterzeichnende Organisationen
Bundes Roma Verband • Roma Center/ Roma Antidiscrimination Network • Roma Women Platform "ROMNI“, Moldova • RomaniPhen • Pro Sinti & Roma • Förderverein Roma • Amaro Drom • Rom e.V. • Wakti Romano • Romani Kafava • Internationaler Kultur und Sport Verein der Roma – Carmen • Amaro Foro • Gruppe gegen Antiromaismus Dresden • Verband Deutscher Sinti und Roma Landesverband Hessen
Pro Asyl • Seebrücke • Komitee für Grundrechte und Demokratie • Jugendliche ohne Grenzen • Flüchtlingsrat Baden-Württemberg • Flüchtlingsrat Brandenburg • Flüchtlingsrat Bremen • Flüchtlingsrat Hamburg • Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt • Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein • Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen • Flüchtlingsrat Niedersachsen • Flüchtlingsrat Rheinland-Pfalz • Hessischer Flüchtlingsrat • With Wings and Roots • Each One Teach One (EOTO) e.V. • No Lager Osnabrück • Berlin Muslim Feminists • Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz • Refugee Law Clinic Berlin • Ausländerbeirat des Landkreises Gießen • Geschäftsführender Vorstand von Antidiskriminierung Mittelhessen • Integrationshaus, Köln • frauen- und menschenrechte-aktiv • Arbeitskreis Flüchtlingshilfe Nordhorn • amnesty international Gruppe Lauf • REFUGIUM Flüchtlingshilfe Braunschweig • Bildungswerk für Erinnerungsarbeit und Frieden • Medizinische Flüchtlingshilfe Bochum