Am 18. und 19. Juli 2022 hatte unter dem Motto „28 Jahre PKK-Betätigungsverbot. Jetzt reden wir!“ ein Forum in Berlin stattgefunden, um die schwerwiegenden Folgen für Kurd*innen in Deutschland kritisch zu reflektieren.
Eine Jury aus vier Vertreter*innen der kritischen Zivilgesellschaft in Deutschland - darunter 2 Vertreter*innen des Grundrechtekomitees - nahm vor dem Hintergrund der zahlreichen Betroffenenberichte sowie der Stellungnahmen von Anwält*innen und Expert*innen, die während des Forums vorgetragen wurden, wie folgt Stellung:
1. Zusammenfassung des Forums
Zwei Tage lang haben rund 300 Gäste, Repressionsbetroffene und Expert*innen über die Folgen des seit 1993 bestehenden Betätigungsverbots gegenüber der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) diskutiert. Dabei umfasst das vom damaligen Innenminister Manfred Kanther auf den Weg gebrachte Gesetz nicht allein die PKK selbst, sondern verschiedene Teilorganisationen sowie zahlreiche kurdische kulturelle und soziale Initiativen, die in Verbindung mit der PKK gebracht werden können. Auch das Zeigen von PKK-Symbolen oder Symbolen, die aus Sicht der Sicherheitsbehörden von der PKK genutzt werden, erfüllt einen Straftatbestand.
Die persönlichen Berichte von Betroffenen am ersten Tag der Konferenz machten deutlich, dass die Repression gegenüber Kurd*innen auch in den vergangenen Jahren nicht nachgelassen hat - und sich in bestimmten Bereichen sogar noch verschärfte. Sie zeigt sich in unterschiedlichsten Maßnahmen der staatlichen Institutionen: Politisch Aktive berichteten etwa, wie sie als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung nach Paragraph 129a und 129b verfolgt wurden. Kurd*innen aus verschiedenen Städten sprachen daneben eindrücklich darüber, wie ihnen aufgrund ihres Engagements der Aufenthaltsstatus aberkannt wurde.
Dieses Druckmittel schafft demnach enorme Unsicherheit bei den Betroffenen – Lebensplanungen sind kaum mehr möglich. Aktivist*innen mit Hafterfahrung berichteten schriftlich von verschärften Bedingungen in Gefängnissen, die unter anderem umfassten, dass sie gewünschte Zeitungen und Bücher nicht erhalten durften. Die Haftstrafen mussten die Betroffenen zudem antreten, obwohl ihnen häufig keine persönlichen Straftaten nachgewiesen werden konnten. Aktivist*innen, die aus der Haft entlassen wurden, berichteten von Schikanen, wie etwa der Anordnung sehr strikter Meldeauflagen, die eine starke Einschränkung der Bewegungsfreiheit bedeuten.
Am zweiten Tag setzten sich Expert*innen mit den juristischen und politischen Hintergründen des PKK-Betätigungs-Verbots auseinander. So wurde erklärt, wie ministerielle Exekutivermächtigungen zur Strafverfolgung eingesetzt werden. Dazu gingen die Vortragenden auch auf die Ausrichtung der deutschen Kurd*innenpolitik an den Interessen der Türkei ein: Der sogenannte Flüchtlingsdeal von 2016, die strategisch wichtige Position der Türkei als südöstliche NATO-Grenze sowie die seit Jahrzehnten bestehende wirtschaftliche und militärische Kooperationen beider Länder haben demnach zur Folge, dass der türkische Präsident auf Deutschland und andere EU- und NATO-Partner Druck ausüben kann. Die Berichte zeigten die enge Zusammenarbeit der Polizeibehörden und Geheimdienste Deutschlands mit den Sicherheitsbehörden der Türkei auf.
Die Jurist*innen verwiesen als mögliche politische Lösung auf eine Gerichtsentscheidung aus Brüssel. Der dortige Kassationshof, das höchste Gericht in Belgien, hat 2020 entschieden, dass es sich bei der Auseinandersetzung zwischen der kurdischen Bewegung und dem türkischen Staat um einen innerstaatlichen Konflikt handelt. Die PKK ist demnach nicht als terroristische Organisation einzustufen und genießt einen entsprechenden Schutz gemäß dem Völkerrecht.
2. Resümee
Das Betätigungsverbot der Bundesregierung gegenüber der PKK war und ist politisch motiviert. Es steht in krassem Gegensatz zum deutschen Grundgesetz und den darin garantierten politischen, sozialen und kulturellen Grundrechten. Die mit dem Verbot einhergehende vereins- und strafrechtliche Kriminalisierung und die auf dieser Basis eingeleiteten Ermittlungsverfahren gehen durchweg mit einer Repression politischer Aktivist*innen, der dichten Überwachung kurdischer Vereine und selbst der Zerschlagung von Medienverlagen einher. Das Verbot verstößt damit eklatant gegen die Versammlungs-, Vereinigungs-, Meinungs- und Medienfreiheit in Deutschland.
Damit werden der kurdischen community in Deutschland grundlegende demokratische Rechte vorenthalten. Die Folgen sind gesellschaftlich zu spüren: Die aktuelle Politik kriminalisiert die kurdische community und alle, die sich für sie einsetzen. Es verweigert die Anerkennung der Rechte von Kurd*innen. Und es verhindert eine rechtliche und politische Gleichstellung von Kurd*innen mit der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland. Daraus folgende rassistische Zuschreibungen schränken die Grundrechte von Kurd*innen noch weiter ein. Ein Ende des PKK-Betätigungs-Verbots ist notwendig, um die demokratischen Grundrechte gesamtgesellschaftlich zu verteidigen und die autoritäre Entgrenzung der Sicherheitsbehörden zu stoppen.
Dass ein anderer Weg möglich ist, zeigt das Urteil aus Belgien, das eine neue Bewertung der PKK vornimmt. Eine solche wäre auch aus politischen Gründen angebracht: Die Gruppierung hat nicht zuletzt bei den Friedensverhandlungen bis 2015 in der Türkei bewiesen, dass sie an einer Beilegung des Konfliktes mit der dortigen Regierung interessiert ist. Auch mit der Rettung tausender Jesid*innen vor dem Völkermord durch den Islamischen Staat zeigte sie die konstruktive und demokratisierende Rolle, die sie in der Region ausüben kann.
Die Bundesregierung hält bisher jedoch weiter an ihrer einseitigen Parteinahme für die türkische Regierung fest. Sie erschwert damit eine friedliche Lösung des innerstaatlichen Konfliktes in der Türkei auf dem Verhandlungsweg. Wenn die neue Ampel-Bundesregierung in Deutschland ihre selbst erklärte Ausrichtung der Außenpolitik an Menschenrechten und humanitären Werten ernst nimmt, wäre sie gut beraten, nicht nur ihre Politik gegenüber Ankara neu auszurichten. Genauso wichtig ist es, dass sie auch innenpolitisch ihre antikurdische Verbotspraxis überwindet und einen von türkischen Interessen unabhängigen und grundgesetzkonformen Umgang mit der kurdischen community findet.
3. Forderungen
Abseits dieser politischen Bewertung unterstützt die Jury die Forderungen von Anwält*innen, Repressionsbetroffenen und Aktivist*innen an die politischen Entscheidungsträger*innen in Deutschland:
- Einstufung des kurdischen Befreiungskampfes als innerstaatlichen Konflikt, gemäß dem Urteil des belgischen Kassationsgerichtes.
- Völkerrechtliche Anerkennung kurdischer Organisationen als Organe einer Befreiungsbewegung.
- Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots.
- Aussetzung der deutsch-türkischen Sicherheitskooperation – Stopp der Waffenlieferungen.
- Verhinderung von Spitzel- und Geheimdiensttätigkeiten – keine Auslieferungen.
- Keine Abschiebungen von kurdischen Aktivist*innen.
- Keine Einschränkungen des Aufenthaltsrechts für politisch aktive Kurd*innen.
- Aufhebung der Exekutivermächtigung als Grundlage für die Verfolgung von Kurd*innen durch das Justizministerium.
- Streichung der PKK von der Terrorliste der Europäischen Union.
- Verurteilung völkerrechtswidriger Angriffe und Kriegsverbrechen.
Mitglieder der Jury:
Dr. med. Gisela Penteker, Mitglied IPPNW
Yvonne Franke, Vorstand Grundrechtekomitee
Sebastian Bähr, Vorstand Grundrechtekomitee
Heinz Michael Vilsmeier, Dipl. Politologe, Publizist, Mitglied im Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus
*Disclaimer
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. gehört zum Trägerkreis des Forums „28 Jahre PKK-Betätigungsverbot. Jetzt reden wir!“. Die Komitee-Vorstände und Jury-Mitglieder Yvonne Franke und Sebastian Bähr haben in diesem Sinne eine differenzierte Bewertung getroffen, sind in ihrer Position formell jedoch nicht unabhängig.
Berlin 7.8.2022