Wir schließen uns der folgenden Stellungnahme des Justice Collective und des Schildower Kreises zur Cannabislegalisierung an und unterstützen die Forderung nach einem gerechteren Legalisierungsrahmen, der auf Wiedergutmachung und Sozialpolitik setzt und Kriminalisierung beendet:
Wenn die Bundesregierung ihre eigenen Pläne umsetzt, werden Besitz von 25 g und Anbau von bis zu 50g Cannabis im Laufe des kommenden Jahres legalisiert. Der aktuelle Gesetzentwurf (‘CanG’) wird jedoch keineswegs die Kriminalisierung von Cannabis-Konsumierenden beenden.
Ganz im Gegenteil: Es ist abzusehen, dass CanG in der derzeitigen Form ein Zweiklassensystem schaffen würde – legaler Zugang und Straffreiheit für einige; Kriminalisierung für rassifizierte, migrantisierte und andere überproportional polizierte Menschen.
Um dies zu verhindern, muss der aktuelle Entwurf des CanG dringend nachgebessert werden. Im Jahr 2022 registrierte die Polizei 206.394 Rauschgiftdelikte in Verbindung mit Cannabis, darunter 85% “konsumnahe Delikte”.
Aktuell werden Menschen aus von Rassismus betroffenen sowie migrantischen Gruppen unverhältnismäßig häufig wegen Cannabisdelikten kriminalisiert. Und das, obwohl Untersuchungen zeigen, dass insbesondere der Cannabiskonsum in allen Gruppen ähnlich verbreitet ist .
Der Grund für diese Ungleichheit ist einfach: Die Polizei betreibt Racial Profiling und kontrolliert weiße Deutsche seltener auf Marihuana-Besitz. Insgesamt waren im Jahr 2021 28,1 % der wegen Drogenbesitzes verurteilten Personen nicht-deutsche Staatsbürger*innen, obwohl diese nur 14 % der Bevölkerung ausmachen. (Daten für deutsche Staatsbürger*innen nach Hautfarbe und/oder ethnischer Zugehörigkeit sind nicht verfügbar).
Im selben Jahr wurden mehr als 77.000 Menschen wegen Drogendelikten verurteilt, mit gravierenden Folgen unter anderem für ihre psychische Gesundheit und Erwerbstätigkeit. Unterschiede in der polizeilichen Vorgehensweise erklären auch, dass rassifizierte und migrantisierte Menschen überproportional für Handelsdelikte kriminalisiert werden.
Entgegen landläufiger Meinungen finden heute etwa 90% des Cannabis-Handels in privaten Räumen statt. Dieser Teil des Marktes, der mehrheitlich von weißen Deutschen bedient wird, ist für die Polizei weitgehend unsichtbar und wird nur selten verfolgt. Die rassifizierten und migrantisierten Dealer*innen, die keinen Zugang zum privilegierten Marktsegment haben, handeln hingegen häufig in öffentlichen Räumen.
Nicht selten handelt es sich um Menschen ohne Arbeitserlaubnis, die mangels Zugang zum offiziellen Arbeitsmarkt kein legales Einkommen generieren können, oder um anderweitig strukturell diskriminierte Menschen. In dieser Situation will das CanG nun den Zugang zu Cannabis unter bestimmten, strikt definierten Bedingungen legalisieren. Diese Bedingungen sind jedoch so gestaltet, dass sich unter bestimmten Bedingungen die Lage für rassifizierte und migrantisierte Menschen durch eine Verlagerung von Polizeiaktivität noch verschlechtern und die Ungleichheiten bei der Bestrafung sogar noch vergrößern könnten.
Auch in den USA werden rassifizierte Personen seit jeher in unverhältnismäßig hohem Maße für den Vertrieb von Cannabis kriminalisiert. Aus diesem Grund haben mehrere Bundesstaaten im Zuge der Legalisierung von Cannabis die Löschung von Vorstrafen, unter anderem auch für Handelsdelikte, ermöglicht. Zudem wurde die Bestrafung von Handel neu evaluiert und für Menschen mit Vorstrafen Zugänge zu dem neu entstandenen legalen Markt für Cannabis geschaffen. Einige US-Bundesstaaten haben auch Reparationspakete verabschiedet, die in Stadtviertel und Communities investieren, die zuvor besonders von polizeilicher Verfolgung und Kriminalisierung in Bezug auf Cannabis betroffen waren.
Im Folgenden gehen wir genauer auf einige ungerechte Punkte im CanG ein und erläutern, was gegen sie zu tun wäre.
CanG und Verbraucher*innen:
Die Kernidee des CanG sind sogenannte Cannabisclubs (“Anbauvereinigungen”). Um Cannabis legal zu erwerben, müssen Konsumierende Mitglieder solcher Clubs werden – eine Regelung, die Menschen an den Schnittstellen wirtschaftlicher, sozialer und anderer Nachteile de facto ausschließen wird. Das neue Gesetz sieht beispielsweise vor, dass sich die Club-Mitglieder “aktiv” am Anbau beteiligen sollen, um im Gegenzug Zugang zu Cannabisblüten zu erhalten – ein Problem beispielsweise für Menschen mit gesundheitlichen Problemen oder mit mehreren Niedriglohnjobs. Ohne Zugang zu legalem Cannabis können diese Menschen weiterhin nur den illegalen Markt nutzen.
Die Polizei erwartet, Cannabisdelikte auch weiterhin zu verfolgen (womöglich unrechtmäßig), weil der illegale Markt fortbestehen wird und weil die Regelungen des CanG-Entwurfs unnötig restriktiv ausfallen. Besitz bleibt ab einer bestimmten Menge strafbar und Konsum bleibt im Umkreis von 100 Metern von Schulen, Kitas, oder sonstigen Kinder- und Jugendeinrichtungen verboten. In städtischen, dicht besiedelten Gebieten, wo verhältnismäßig mehr nicht-deutsche Personen leben, betrifft das relativ viele Flächen. Mutmaßlicher Cannabis-Besitz wird der Polizei also weiterhin einen Vorwand für Racial Profiling liefern. Zudem kommt es gerade in Fällen mit rassifizierten Personen vor, dass diese selbst bei kleinen Mengen Cannabis des Handels bezichtigt werden. Die Folge ist ein höheres Strafmaß.
In einem Verfahren, das Justice Collective jüngst beobachtete, glaubte das Gericht einer weißen Angeklagten, dass mehrere Tüten Cannabisblüten einen “persönlichen Vorrat” darstellen. Im Fall unmittelbar davor wurde eine rassifizierte Person wegen Handels zu Haft verurteilt, obwohl die gefundene Menge geringer war. Eigenbedarf geltend zu machen war hier offenbar keine verfügbare Option. Angesichts von Fällen wie diesem – und es gibt weitere Beispiele – scheint absehbar, dass die im CanG vorgesehene 25-Gramm-Grenze rassifizierte Menschen nicht effektiv schützen wird. Sehr problematisch in diesem Zusammenhang ist nach derzeitigem Stand z.B. der Umstand, dass jegliche, auch unentgeltliche Weitergabe strafrechtlich verfolgt werden soll.
Diese Ungleichheiten könnten mit einer Gesetzgebung vermieden werden, die stärker von Kriminalisierung im Allgemeinen wegführt und einen weniger eingeschränkten Zugang ermöglicht. Dies würde bedeuten, Cannabisclubs für alle zugänglich zu machen (auch unabhängig von etwaigen Vorstrafen) und die mit dem Besitz verbundenen straf- und zivilrechtlichen Strafen abzuschaffen. Der Gesetzgeber sollte sicherstellen, dass das CanG keine anhaltenden rassistischen Polizeimaßnahmen wie Racial Profiling mit Cannabis als Vorwand weiter antreibt.
CanG und Vetrieb:
Auf Basis der Erfahrungen anderer Länder erwarten Expert*innen, dass das CanG einen signifikanten Anteil des Cannabis-Handels in den legalen Bereich verlagern wird. Dennoch wird ein großer illegaler Markt auch in Zukunft existieren. In seiner aktuellen Form setzt ds CanG die lange Geschichte harter Bestrafung für Cannabishandel in Deutschland fort – trotz der “reduzierten Risikoeinschätzung” der Regierung was die Schädlichkeit der Substanz betrifft. Der aktuelle Entwurf geht nicht annähernd weit genug, da er zwar die Obergrenzen für einige Strafen herabsetzt, aber einige der willkürlichsten und härtesten Aspekte der Strafzumessungsrichtlinien beibehält, einschließlich der obligatorischen Mindeststrafen, wenn Cannabis-Handel “gewerbsmäßig” erfolgt.
Dieser unklare Begriff führt in der Praxis zur Bestrafung von Erwerbs- und Mittellosigkeit. Das Fortbestehen einer strenger Kriminalisierung des Cannabishandels wird weiterhin rassifizierte Menschen überproportional betreffen. Während somit der derzeit ‘unsichtbare’ Markt teilweise in Cannabisclubs und somit in die Legalität wechselt, werden diejenigen, die heute illegal dealen und kriminalisiert werden, auch in Zukunft illegal dealen und kriminalisiert. In den US-Staaten, die Cannabis legalisiert haben, wurde viel mehr getan, um die historischen Ungerechtigkeiten zu korrigieren, durch die rassifizierte Gruppen sowohl für den Besitz als auch für die Abgabe unverhältnismäßig stark kriminalisiert wurden.
Auch das CanG muss in dieser Hinsicht noch viel weiter gehen, denn Kriminalisierung löst keine sozialen Probleme. Die Fortsetzung strenger Kriminalisierung mit hohen Strafobergrenzen wird Strafen in der Praxis nicht verringern, da Richter*innen weiterhin einen großen Ermessensspielraum bei der Festsetzung von Strafen haben. Obligatorische Gefängnisstrafen, wie etwa für “gewerbsmäßigen” Vertrieb oder wenn eine Waffe involviert ist, werden ebenfalls hart und willkürlich verhängt.
Vorstrafen sollten allesamt automatisch gelöscht werden und auch Fälle von Handel umfassen - falls dies nicht möglich sein sollte, sollte der Staat Vorstrafen proaktiv identifizieren und löschen. Der aktuelle Entwurf adressiert auch nicht, dass selbst Verurteilungen, die nicht zu einem Eintrag im Bundesregister geführt haben, in Einwanderungsverfahren oder bei Polizeikontrollen gegen eine Person verwendet werden können. Schließlich antwortet der CanG-Entwurf auch nicht auf die Problematik, dass Menschen ohne legalen Status und somit ohne Arbeitsmöglichkeit weiterhin auf den illegalen Markt gedrängt werden, wo das Strafmaß hart bleiben soll.
Das CanG muss sozialpolitische Maßnahmen beinhalten, die diesen ungleich verteilten Auswirkungen entgegenwirken, einschließlich einer Beseitigung der Hindernisse zur Arbeitsaufnahme für Menschen mit nicht dauerhaftem Einwanderungsstatus. Zudem sollte Menschen, die in der Vergangenheit kriminalisiert wurden, die Teilnahme an kommerziellen Pilotprojekten ermöglicht werden. Jedoch noch grundlegender sollte in Deutschland (wie auch in den USA) die Forderung nach Wiedergutmachung sein, damit von Kriminalisierung Betroffene durch Entschädigungszahlungen und Investitionen in ihre sozialen Umfelder entschädigt werden können.
Der CanG-Gesetzentwurf ist weit davon entfernt, historische Ungerechtigkeiten wiedergutzumachen. In seiner aktuellen Fassung ist der Entwurf vor allem darauf ausgerichtet, einen imaginierten, weißen deutschen “Normalkonsumenten” von Stigmatisierung und Kriminalisierung in Bezug auf Cannabis zu befreien. Dadurch, dass er vor allem mit Blick auf diese Zielgruppe formuliert wurde, ist der Entwurf in seiner Wirkung diskriminierend. Hier sollte der Gesetzgeber dringend nachbessern, indem Aspekte der sozialen Gerechtigkeit implementiert und aktiv unterstützt werden. Eine Chance dazu böte dabei auch die Umsetzung von “Säule 2”: So sollte darauf geachtet werden, dass auch ehemals kriminalisierte Menschen an Modellversuchen teilnehmen und die Möglichkeit erhalten, im Verkauf von Cannabisprodukten beschäftigt zu werden.