Zum Jahreswechsel werden viele Fragen zur Situation und Zukunft der deutschen Friedensbewegung gestellt. Hier der Versuch zu antworten.
Die unabhängige deutsche Friedensbewegung blickt auf eine über 50-jährige erfolgreiche Arbeit mit vielen Aufs und Abs zurück. Große Mobilisierungen, wie sie keine Partei erreichen konnte, mit Hundertausenden von Menschen in den 60er Jahren, bei der akuten Bedrohung durch die Stationierung von Mittelstreckenwaffen in den 80ern und bei den bundesweiten Protesten gegen deutsche Beteiligung an US-Interventionskriegen zu Beginn dieses Jahrhunderts. Dazwischen hat sie kontinuierlich und erfolgreich mit großer Expertise Aufklärung über die militärische Entwicklung – auch z.B. gegen Rüstungsexporte - und die dadurch bewirkten Gefährdungen der Bevölkerung und die Möglichkeiten einer friedlichen Politik betrieben. Heute hat die Bundesregierung keine Mehrheit in der Bevölkerung für Interventionskriege – siehe Afghanistan!
Die Forderung nach einer großen Mobilisierung der Bevölkerung
Soziale Bewegungen können nicht nach Belieben die Menschen massenhaft mobilisieren. Das gelingt nur in besonderen Situationen starker Motivation. Das gilt auch für den aktuellen Ukraine-Konflikt, der intensiv diskutiert wird. Obwohl der Ukraine-Konflikt mit der erneuten Eskalation des West-Ost-Abschreckungssystems äußerst gefährlich ist, bildet er doch nicht einen Fokus der Mobilisierung. Viel zu viele andere Konflikte greifen ineinander. Was in Nah- und Mittelost geschieht ist immer auch ein integrierter Bestandteil der gesamten Konfliktsituation auf den verschiedenen Feldern der Auseinandersetzungen.
Neue Friedensbewegung?
Ein aktuelles Problem hatten wir mit der sogenannten ‚neuen Friedenbewegung’. Ihre Akteure haben sich den historischen Begriff der Montagsmahnwachen angeeignet und damit Aufsehen erregt. Etwas Neues im Sinne von Friedensarbeit ist allerdings von ihnen, soweit ich sehen kann, nicht ausgegangen. Anscheinend zerbröseln diese Montagsaktionen schon wieder. Einige ihrer Protagonisten wenden sich bereits dem neuen Mobilisierungsfeld PEGIDA zu. Meine herbe Einschätzung: Es entsteht keine neue Friedensbewegung. Diese Montagsaktion war jedoch eine Steilvorlage für alle diejenigen Medien, die schon immer die deutsche Friedensbewegung zugunsten einer militärgestützten Politik bekämpft haben.
Der große globale Wandel
Was unterscheidet die weltpolitische Situation Anfang 2015 von der früherer Jahre? Von welchen Themen ist die Friedensbewegung heute gefordert? Wir erleben in diesen Jahren den Untergang der unipolaren Machtstellung der USA und die Entstehung einer multipolaren Welt. Der berühmte Friedensforscher Johan Galtung zählt aktuell 15 Konflikte. An 13 von ihnen sind die USA beteiligt. Die großen Fragen: Werden die USA weiter versuchen, die großen globalen Umwälzungen militärisch zu stoppen? Was bedeutet dies für EU-Europa, das mit riesigen inneren Problemen zu kämpfen hat? Wo zeichnen sich Kräfte ab, die bereit sein könnten, zivile Konfliktbearbeitung auf ihre Fahnen zu schreiben? Wie sind sie zu unterstützen? Darauf zu antworten, erfordert viel neues Nachdenken über friedenspolitische Strategien. Da ist viel nachzuholen.
Die Binnenaufgaben der Friedensbewegung
Bei Veranstaltungen der Friedensbewegung trifft man häufig die bekannten Gesichter. Wird die Friedensbewegung irgendwann aussterben oder hat sie Chancen, neue Mitstreiter zu gewinnen? Zunächst ist zu erinnern, wie vieler Erfahrung es bedarf, an den Koordinierungs- und Repräsentationsstellen der Friedensbewegung zu arbeiten. Da springt man als Newcomer nicht einfach mit nur gutem Willen hinein. Generationswechsel erleben wir gegenwärtig durchaus in höheren Alterklassen. Lokale Gruppen und solche, die an spezifischen Themen arbeiten, sind die Schulen der Friedensarbeit für jüngere Menschen. Deshalb befürworte ich sehr, sich verstärkt um eine Aktivierung dieser Gruppierungen zu bemühen.
Sich auf neue Kommunikationsformen einstellen!
Selbstverständlich haben sich die Formen, in denen sich Friedensbewegung äußert und kommuniziert, mit der Entstehung der Computerwelt stark verändert. Das wichtigste erscheint mir trotzdem, Menschen in Kommunikations- und wo möglich in Arbeitszusammenhänge einzubeziehen. Diese dürfen sie nicht überfordern. Man muss auch auf Schwellenängste Rücksicht nehmen. Nicht sinnvoll ist es, sie mit Materialien zu überschwemmen. Wie weit Diskussionen im Internet hilfreich sein können, in denen der Einzelne seine Meinungen ausdrücken und erproben kann, ist für mich schwer zu beurteilen. Sicher wäre es vorteilhaft, hierzu Arbeitsgruppen mit jüngeren Personen zu bilden. Sie könnten sich vornehmen, die bestehenden Kommunikations- und Publikationsweisen der einzelnen Friedensorganisationen zu untersuchen und Vorschläge zur Verbesserung zu erarbeiten.
Immer wieder lese ich, der Pazifismus sei am Ende
Er könne nicht den Krieg in Irak und Syrien beenden. Das ist eine so groteske, unintelligente Aussage, für die sich die Befürworter militärgestützter Politik schämen sollten. Es ist ja nie pazifistische Politik von den Herrschenden betrieben worden. Wie sollte sie dann versagt haben! Die Kriegs- und Gewaltpolitik und die ideologischen Verhetzungen haben die Gewalt, die wir heute an so vielen Stellen der Welt erleben, bewirkt. Die Versager sind die Gewaltpolitiker, die die menschliche Gefährdung bis zur Vernichtungsgefahr großer Teile der Menschheit vorangetrieben haben und noch weiter vorantreiben. Pazifistische Arbeit zur Minderung von Gewalt und Förderung ziviler Konfliktbearbeitung und Kooperation dürfte eine Daueraufgabe in dieser gewaltträchtigen Welt sein.