Nicht nur das Motto des dritten Wahlkampfs von Tony Blair (FR, 24.11.04) in England lautet „Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit“. Dies ist das unterschwellige Motto der „Innen“politik zumindest aller EU-europäischen und der US-amerikanischen Staaten seit dem 11.9. - aber nicht erst seitdem. Lokal heißt das Motto dann „Köln macht mobil gegen Kriminalität“ (KStA, 27./28.11.2004). Bis 2010 soll sie die sicherste deutsche Millionenstadt werden. Überwachung, Abschreckung und Förderung des Denunziantentums sind die gängigen Mittel.
Der 11.9. als Vorwand
Seit dem Attentat vom 11.9. in New York und dann dem in Madrid werden die Regierungen nicht müde, die Angst vor „den Terroristen“ bei den Bürgern und Bürgerinnen zu schüren, um sie auf alle möglichen Formen der Einschränkung bürgerlicher Freiheit zugunsten vermeintlicher Sicherheit einzustimmen.
Tatsächlich geht es nicht so sehr um die Sicherheit der BürgerInnen als vielmehr um die Sicherheit der Nationalstaaten, die durch diese Art von Attentaten in den Metropolen bedroht scheinen. Die weltweiten Konflikte machen nicht mehr vor den Toren der reichen und mächtigen Staaten halt. Die neue Bedrohung wird von den Staaten als neue Form von „Krieg“ definiert, auf die mit kriegerischen Mitteln reagiert wird.
Die bisherige Trennung von militärischen, geheimdienstlichen und polizeilichen Aufgaben wird folglich fließend. In der Bundesrepublik werden Möglichkeiten des Einsatzes des Militärs im Inneren diskutiert und gefordert - das Luftsicherheitsgesetz stellt ein erstes - überflüssiges und rechtswidriges - Einfallstor dar. Zugleich wird nun auch konsequent der umgekehrte Fall gefordert - die Aufgaben des Bundesgrenzschutzes sollen auf die weltweiten „Grenzen“ verlagert werden, als Bundespolizei soll er weltweit einen Teil der bisherigen Aufgaben des Militärs übernehmen.
Das ist konsequent nur insofern als das Militär tatsächlich überfordert ist, wenn es weltweit polizeiliche Aufgaben wahrnimmt. Mit der Übernahme von Aufgaben ziviler Konfliktbearbeitung hat dies jedoch gar nichts zu tun. Das Außergewöhnliche der terroristischen Gewaltanwendung wird instrumentalisiert für einen Herrschaftsdiskurs, der der Absicherung der eigenen Macht dient.
Die Entwicklungen zum Ausbau der Inneren Sicherheit - sprich des Abbaus von Freiheitsrechten - sind in Deutschland - wie prinzipiell auch in den anderen Ländern - älter als die Erfahrungen vom 11.9. Wenn jetzt so getan wird, als bedrohe zum ersten mal Terrorismus die westlich-europäischen Staaten und als wäre nur der Islamismus zu solchen Gräueltaten fähig, dann muss an die vielfältigen Erfahrungen in christlichen Ländern mit Terrorismus erinnert werden.
Irland und England haben lange Erfahrungen mit einem innergesellschaftlichen Konflikt, der nicht vor Waffengewalt und Attentaten auf „Unschuldige“ zurückschreckte. Auch Spanien kennt seit vielen Jahren den baskischen Befreiungskampf, der auf terroristische Akte zurückgreift. Diese Erfahrungen wie auch der Terrorismus der RAF und anderer „revolutionärer“ Organisationen haben immer wieder zur Legitimierung von Verschärfungen im Bereich der Inneren Sicherheit herhalten müssen. Die vielfältigen Gesetzgebungen und Veränderungen von Eingriffs- und Überwachungsrechten lassen sich in einem kurzen Aufsatz gar nicht alle aufzählen. Vom Patriot Act in den USA bis zu den Terrorismusbekämpfungsgesetzen in der BRD und weit darüber hinaus, kann man den Veränderungen und noch mehr den Ankündigungen und Forderungen kaum nachkommen. Es bleiben wenige grundsätzliche und aktuellere Entwicklungen zu benennen.
Gesinnungsstrafrecht und Segregation
Das so schön klingende Wort Prävention erhielt nach dem 11.9. neuen Auftrieb. Auf die Gefährlichkeit terroristischer Taten könne man nur mit deren frühzeitiger Verhinderung reagieren. Gemeint waren nicht die Lösung von Konflikten und die Herstellung einer gerechten Weltordnung, sondern die weitgehende Überwachung und Aufweichung bisheriger rechtsstaatlicher Prinzipien. Suggeriert wurde, die traditionellen polizeilichen Aufgaben der Ermittlung nach Straftaten oder bei konkretem Verdacht reichten nicht mehr aus.
Konkret bedeutete dies den Wechsel von der prinzipiellen Unschuldsvermutung zum generellen Verdacht, unter den alle Bürger und Bürgerinnen gestellt werden. Der Verdacht betrifft letztlich die „falsche“ Gesinnung und führt weg vom Tatstrafrecht zu einem Gesinnungsstrafrecht. War vorher noch die Idee der Integration dominierend - der Wille zur Integration aller in eine prinzipiell offene und von den Freiheitsrechten bestimmten Gesellschaft - so tritt nun der Gedanke der Segregation in den Vordergrund. Die Idee der (religiösen) Toleranz und der Fremdenfreundlichkeit wird gar zur Ursache einer bedrohlichen „islamistisch-fundamentalistischen Subkultur“.
Der Diskurs über die Grenzen der Belastbarkeit einer Migrationsgesellschaft, all die im November 2004 gehäuft vorgebrachten Vorschläge zur Ausgrenzung der Muslime, zu ihrer Überwachung und zur Überprüfung ihrer Verfassungstreue machen dies in extremer Form deutlich. Dem „wir“ der „anständigen“ Bürger und Bürgerinnen stehen „die anderen“ gegenüber, die die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die ein imaginäres „uns“ bedrohen. Dies sind zur Zeit vor allem die islamischen Bürger und Bürgerinnen, prinzipiell stehen jedoch alle unter dem Verdacht. Der (europäische) Umgang mit Asylsuchenden - die Diskussion von außereuropäischen „Lagern“ als eines der Höhepunkte der Abwehr und Ausgrenzung - festigt diese Segregation. Die Privatisierung und die ausgrenzende Überwachung ganzer Teile von Innenstädten bis hin zu den „gated communities“ in vielen Städten der USA, aber auch Südamerikas zeigen und verfestigen diese Tendenz.
Mit Blick auf den Wahlkampf kündigte die englische Regierung neben vielen weiteren Maßnahmen zur Inneren Sicherheit auch Maßnahmen gegen „antisoziales Verhalten“ an (vgl. FAZ, 24.11.04). Wenige fast willkürliche Beispiele der derzeitigen Entwicklung: Terrorlisten, Abschiebungen, Datensammelwut usw. - Die „Terrorliste“ der Europäischen Union zählt einige Organisationen zu den „terroristischen“, deren Mitglieder zuvor in der Bundesrepublik als asylberechtigt anerkannt wurden. In der BRD wird nun der Widerruf vorhergehend anerkennender Beschlüsse durch das „Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge“ eingeleitet. Flüchtlingen, die jahrelang legal und friedlich in Deutschland gelebt haben, droht die Abschiebung in Länder, in denen sie von Verfolgung und Folter bedroht sind (vor allem Türkei, Iran). (vgl. R. Gössner in: Ossieztky Nr. 24, 27.11.2004) - Bald nach dem 11.9. forderten die USA die Übermittlung aller verfügbaren Daten von Flüggästen in die USA.
Trotz des Einspruchs des EU-Parlaments, da diese Weiterleitung dem EU-europäischen Datenschutz widerspreche, wurden die Daten weitergegeben. Dann erließen die USA strengere Auflagen für ausländische Ausweise. Ab Ende Oktober 2005 sollten Touristen nur dann ohne Visum einreisen dürfen, wenn sie einen „sichereren“ Reisepass mit biometrischen Daten vorweisen könnten. Die Innenminister der 25 EU-Staaten - in deren Interesse weitere Überwachungsmöglichkeiten ebenfalls liegen - einigten sich Ende Oktober 2004 darauf, dass die Pässe einen Speicherchip mit digitalisiertem Foto und Fingerabdrücken erhalten sollen. Zwar meldeten Österreich und Finnland noch Vorbehalte an, ein formeller Beschluss wird jedoch in nicht allzu weiter Zukunft folgen. Es wird nur nicht ganz so schnell gehen, wie die USA - die inzwischen von ihren alten Zeitplänen abgewichen sind - dies wünschen. Warnungen sowohl vor den technischen Mängeln wie vor allem vor den Möglichkeiten der Verknüpfung mit anderen Überwachungsmöglichkeiten - erst recht bei RFID-Chips - werden missachtet. Die Gefahr eines Zentralregisters ist noch längst nicht gebannt. Selbst für Großbritannien ist die Einführung von Personalausweisen vorgesehen. Solche Dokumente staatlicher Registrierung gab es dort bisher nur während des zweiten Weltkrieges. Sie werden bisher als Zeichen eines „kontinentalen Polizeistaates“ angesehen (vgl. FAZ, 24.11.04). - Die Zentralisierung der Ermittlungen und die Aufweichung des Trennungsgebots zwischen Geheimdiensten und Polizei stehen in der BRD immer wieder zur Diskussion - so in der Frage der „Stärkung“ des Bundeskriminalamtes und in der Zubilligung von Ermittlungsbefugnissen zur Gefahrenabwehr für das BKA. Auch die Diskussion um die Errichtung einer gemeinsamen „Islamistendatei“ von Polizei und Verfassungsschutz sind hierfür kennzeichnend.
Wenigstens manchmal schreiten Gerichte gegen einige der schlimmsten Entwicklungen ein. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschied am 11.11.2004, dass die Entlassung eines Angestellten vom Flughafen München rechtswidrig sei. Nach einer „Sicherheitsüberprüfung“ war U. entlassen worden, weil er zeitweise bei Milli Görüs aktiv gewesen war. Dies reichte dem Arbeitgeber und den vorangehenden Gerichten aus, um ihn als Sicherheitsrisiko einzustufen. Das BVerwG entschied, dass statt der pauschalen Zuschreibung eine konkrete Überprüfung notwendig sei.
Elke Steven veröffentlicht in: FriedensForum 6/2004 (Schwerpunkt: Herausforderung Terrorismus)