Der Abbau von Freiheitsrechten zugunsten vermeintlicher Sicherheit hat eine lange Tradition. „Der Staat“ muss ein großes Interesse haben, möglichst viel über „seine“ Bürger und Bürgerinnen zu wissen. Je besser dieses Wissen zentral koordiniert und abgeglichen werden kann, je größer ist die Eingriffs- und Überwachungsmacht des Staates. Mit einer freiheitlich-demokratischen Ordnung, mit den Menschenrechten als Grundlage eines demokratischen Rechtsstaates hat dies allerdings nichts zu tun.
Das Grundgesetz und die darin gesicherten Grundrechte sollten diesem Verlangen zumindest Grenzen setzen. Die Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Sicherheitsdiensten soll dafür sorgen, dass nicht zu viele Informationen und Eingriffsrechte an einer Stelle zusammenkommen können. Die Erfahrungen mit der Gestapo (Geheimen Staatspolizei) hatten die Notwendigkeit einer strikten Trennung von Geheimdiensten und Polizei deutlich gemacht - und darauf hatten die (westlichen) Besatzungsmächte gedrängt. Polizeiarbeit war von Beginn der BRD an vorrangig Ländersache. 1951 wurde der Bundesgrenzschutz zunächst als paramilitärische Organisation mit begrenzten Aufgaben gegründet. Nach und nach übernahm er immer mehr polizeiliche Aufgaben und Befugnisse und wurde vor allem seit dem Fall der Mauer systematisch zur Bundespolizei umgerüstet. Seit den 70er Jahren, zunächst begründet mit dem RAF-Terrorismus, wurden die Rechte der Sicherheitsdienste immer weiter mittels unbestimmter Rechtsbegriffe und pauschal genannter Kompetenzen ausgedehnt. Ängste der Bürger und Bürgerinnen werden hierzu mit immer neuen Gefahrenkonstrukten - Organisierte Kriminalität, internationaler Drogenhandel, Sexualstraftaten - geschürt. Seit dem 11.9.2001 bestimmt der „Krieg“ gegen den Terrorismus die Argumentation für die Einschränkung der Freiheitsrechte der Bürger und Bürgerinnen und dient der Ausdehnung aller Möglichkeiten der Datensammlung und Überwachung. Deutlich wird diese Entwicklung auch an Eingriffen in das Grundgesetz. Das Grundrecht auf politisches Asyl (Art. 16 GG) wurde schon zum 1. Juli 1993 bis zur Unkenntlichkeit eingeschränkt. Dies schuf die Voraussetzungen für all die Abwehr-, Kontroll- und Abschiebemöglichkeiten, die in der Folge geschaffen wurden. Seit den Terroranschlägen vom 11.9.2001 sind die Migranten und Migrantinnen die vorrangigsten Opfer einer verfehlten „Sicherheits“politik. Ihre Daten werden fast unbegrenzt erhoben und zentral gespeichert. Diese Daten können gar an Geheimdienste weitergegeben werden. Mit dem Zuwanderungsgesetz vom 1.1.2005 wurde das Ausweisungsrecht massiv verschärft. Zur Ausweisung kann der Terrorismus-Verdacht ausreichen. 1998 erfolgte mit der Einführung des großen Lauschangriffs der Angriff auf das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat erst 2005 entschieden, dass die gesetzlich geschaffenen Eingriffsrechte zu weit gehen. Aber eine informelle große Koalition zum Abbau von Grundrechten hat noch im Jahr 2005 ein neues Gesetz geschaffen, das die Rechte der Horcher und Schnüffler weiter ausdehnt als es das Bundesverfassungsgericht vorgesehen hatte. Auch die Trennung der Dienste wird immer weiter aufgeweicht. Der Bundesgrenzschutz, der zur Bundespolizei wurde, nimmt immer mehr Aufgaben im Inneren wahr. Militärische und polizeiliche Aufgaben überschneiden sich, wenn sowohl der Einsatz der Bundeswehr im Inneren ermöglicht werden soll - ein erstes Einfallstor ist mit dem Luftsicherheitsgesetz geschaffen - als auch der Einsatz der Bundespolizei an den weltweiten „Grenzen“ in Unterstützung der Bundeswehr. Die diversen Dienste arbeiten in immer mehr Feldern zusammen und von dieser Zusammenarbeit sind in erster Linie MigrantInnen betroffen. Zukünftig soll es eine gemeinsame Datei „islamistischer Extremismus und Terrorismus“ von Polizei und Geheimdiensten (als Indexdatei) geben. Das so schön klingende Wort Prävention hat im Zeichen des drohenden Terrors Hochkonjunktur erhalten. Fühlen sich die Bürger und Bürgerinnen nur stark genug bedroht, dann scheinen sie auch bereit, für vermeintliche Sicherheit auf Rechte zu verzichten und sich überwachen zu lassen. Der gute und unbescholtene Bürger hat ja nichts zu verbergen. Je mehr „Prävention“ in den Vordergrund polizeilicher Arbeit rückt, es also nicht vorrangig um die Ermittlung nach Straftaten oder vor unmittelbar bevorstehenden Straftaten geht, je mehr steht das angebliche „Vorfeld“ im Mittelpunkt der Überwachung. Dieses „Vorfeld“ muss breit gefasst werden, damit alle potentiellen Täter frühzeitig erfasst werden. Wer unberechtigt in diesen allgegenwärtigen Verdacht gerät, muss gemäß dieser Logik die Unannehmlichkeiten im Interesse der Sicherheit aller hinnehmen. Zwar stehen generell alle unter Verdacht und gilt die prinzipielle Unschuldsvermutung nicht mehr, aber der Verdacht betrifft vor allem die mit der „falschen Gesinnung“. Dies führt weg vom Tat- zum Gesinnungsstrafrecht. Diejenigen nicht-deutscher Herkunft, erst recht wenn sie islamischen Glaubens sind, stehen inzwischen an erster Stelle unter prinzipiellem Verdacht, Nicht-Angepasste Deutsche betrifft es des Weiteren. Gefahrenabwehr mit allen Mitteln? Im Verlauf der letzten Jahrzehnte haben sich die technischen Möglichkeiten der Datensammlung, -speicherung und ihres Abgleichs enorm verändert. Damit wachsen Begehrlichkeiten. Hatte das Bundesverfassungsgericht im Dezember 1983 noch die Volkszählung mit dem Hinweis auf das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in Grenzen verwiesen, so scheint dieses Recht inzwischen nur noch pro forma genannt zu werden, um es im nächsten Schritt verletzen zu können. 1. Ganze Gruppen werden unter Verdacht gestellt und ihre Daten gespeichert. Dies betrifft nach den AusländerInnen einerseits diejenigen, die irgendwann einmal Straftaten begangen haben, und andererseits politisch aktive KritikerInnen. Der genetische Fingerabdruck wird seit der Einführung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes am 7. September 1998 beim BKA gespeichert. Trotz einschränkender Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ist die Liste der Anlassstraftaten, die zur DNA-Speicherung für die Verwendung in zukünftigen Strafverfahren führen können, auch 2005 wieder ausgedehnt und die Freiwilligkeit, die den Richtervorbehalt umgehen lässt, eingeführt worden. (Vgl. Elke Steven: Im Namen der „Sicherheit“, In: Gen-Ethischer Informationsdienst, Nr. 170, Juni/Juli 2005) Im Januar 2001 wurden zentrale Verdachtsdateien über „Gewalttäter“ beim BKA eingerichtet. Hierin sind alle diejenigen gespeichert, die polizeilich unter den Verdacht des Extremismus gestellt werden. Gerichtliche Verurteilungen sind hierfür nicht notwendig. Entsprechende Dateien gibt es auch bei den LKÄmtern und bei den Polizeibehörden. Kürzlich wurde bekannt, dass Bayerns Staatsschutz hunderte Jugendliche als „Linksextremisten“ gespeichert hatte, weil sie 2002 an einer verbotenen Demonstration gegen die Münchener Sicherheitskonferenz teilgenommen hatten. Die Folgen solcher Speicherungen sind immer erneute Kontrollen, Verweise, Verbote und erneute Speicherungen nach Kontrollen - oder die Abschreckung vor der weiteren Wahrnehmung politischer Grundrechte. (2) Immer wieder werden Daten durch schwerwiegende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte gesammelt. Abgesehen vom großen Lauschangriff spielt die Telefonüberwachung eine bedeutende Rolle. Im Jahr 2004 wurden allein 29.017 Anordnungen gemeldet. In 10 Jahren hat sich die Zahl mehr als versechsfacht. (Vgl. Werner Hülsmann: Telekommunikationsüberwachung und Vorratsdatenspeicherung, In: Datenschutz-Nachrichten 2/2005) Das „Niedersächsische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ ermöglicht als erstes Polizeigesetz das Abhören von Telefonen zu präventiven Zwecken. Über eine Klage gegen diese Möglichkeit wird das Bundesverfassungsgericht noch entscheiden. Einer der ersten Betroffenen ist ein Atomkraftgegner, der zwei Wochen vor dem Castortransport nach Gorleben im November 2004 unter fadenscheinigen Begründungen abgehört und observiert wurde. Betroffen davon ist sein ganzes Umfeld. So wie schon die Anwendung des § 129 a vor allem zu Zwecken der Überwachung und Ausspionierung genutzt worden ist, erleichtert auch dieses Gesetz das Ausspionieren politischer Zusammenhänge. Dies schreckt Bürger von der Wahrnehmung ihrer grundrechtlichen Rechte, vor allem ihrer Beteiligungsrechte ab. Das aber gefährdet die Demokratie. Die EU diskutiert zur Zeit ein Gesetz zur Speicherung aller Telefonverbindungen über ein Jahr, um gegebenenfalls feststellen zu können, wer mit wem telefoniert hat. (3) Immer häufiger werden die Daten aller Bürger und Bürgerinnen zugänglich und verwertbar gemacht. Im November 2005 wird ein Reisepass mit Funkchip (RFID) eingeführt, auf dem zunächst die Gesichtsdaten, ab 2007 der elektronische Fingerabdruck und vielleicht irgendwann die Irismerkmale gespeichert werden. Die Einführung eines entsprechenden Personalausweises wird folgen. Ab Januar 2006 soll eine Gesundheitskarte für alle eingeführt werden, mit der sämtliche Patientendaten gespeichert werden können. Nach den Terrortaten in London im Juli 2005 wird die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen voraussichtlich verstärkt werden. Elke Steven IN: Ja sicher, … schon klar! Ein Magazin zum Sicherheitswahn, hrsgg. von junge linke köln (c/o Naturfreundehaus Kalk, Kapellenstr. 9a, 51103 Köln), jungelinke@gmx.de