War es der Auftrag von nordrhein-westfälischer Polizei und Bundespolizei, das Desaster der letzten Silvesternacht in Köln in diesem Jahr „um jeden Preis“ zu verhindern – wie es in der Tagesschau vom 2.1.2017 hieß? Dann hat die Politik versagt ̶ wie gerade sichtbar wird. Wer den Erfolg nur an der Vorgabe misst und die Verhältnismäßigkeit der Mittel außer acht lässt, opfert den Rechtsstaat, der an Verfassung und Menschenrechte gebunden ist.
Die Polizei hat „nur“ in dem Sinne versagt, dass sie einen solchen Auftrag angenommen hat. Im Kölner Stadt Anzeiger wird am 2. Januar 2017 berichtet: „Bei Kontrollen werden ganze Gruppen arabisch aussehender Männer aussortiert.“ Zuvor wird noch notiert: „Ein Sprecher (der Polizei, d. V.) sagt, die kontrollierten Personen ‚fallen in das Raster derer, die im Jahr zuvor Probleme gemacht haben‘.“ Eine Minderheit, zu der allerdings in NRW viele Menschen gehören, wird pauschal aufgrund ihrer Ethnie unter schweren Verdacht gestellt. Diese Minderheit soll erhebliche Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit hinnehmen. Aber Rechtsstaatlichkeit und insbesondere Menschenrechte verbieten es, Menschen zu instrumentalisieren, damit andere in Ruhe feiern können.
Seit den ersten Berichten und den berechtigten Empörungen über die Nutzung des Wortes „Nafri“ durch die Polizei auf Twitter wurde zurückgerudert. Aber selbstverständlich wurde nur ein wenig in der Beschreibung relativiert. Die Fakten bleiben so, wie sie in der Nacht beschrieben wurden. Junge Männer, von denen die Polizei glaubte, sie könnten irgendwelche Wurzeln in nordafrikanischen Ländern haben, wurden aussortiert und am Kölner Hauptbahnhof zu einem bestimmten Ausgang geschickt. Dort landeten sie dann in einem polizeilichen Kessel. Dass darunter auch Deutsche mit dem „falschen“ Aussehen sein konnten, ist selbstverständlich.
Der Polizeipräsident gab nach all der Kritik zu, dass der Begriff „Nafri“ nicht in der Öffentlichkeit hätte benutzt werden dürfen. Denn dieser Begriff wird polizeiintern für Intensivstraftäter aus Nordafrika genutzt. Selbstverständlich sah die Polizei den Aussortierten nicht an, ob sie Straftäter, gar Intensivstraftäter waren. Vermittelt wurde – und wird letztlich noch immer – dass dieser ganze Personenkreis als Straftäter betrachtet werden müsse – bis jeder einzelne das Gegenteil bewiesen hat. Unschuldsvermutung gilt hier nicht. Nach der ersten vorsichtigen Kritik war der Polizei klar, dass Kontrollen aufgrund der Ethnie verfassungswidrig sind. Dann wäre es racial profiling. Also betont sie nun, dass sie „hochaggressive Gruppen“ kontrolliert habe. Belegen tut sie dies nicht.
Aber auch weiterhin drehen sich die Berichte um die Frage, wieso so viele junge nordafrikanische Männer nach Köln kommen wollten. Manche meinen gar, diese Menschen hätten doch nach den Vorfällen letzten Jahres von selber einsehen müssen, dass sie Köln meiden müssten. Vielleicht definieren sich aber viele der jungen Männer selbst gar nicht als Nordafrikaner, sie sind ja noch vieles andere. Zudem hat diese Art des polizeilichen Aussortierens ja auch konkrete Folgen. Jede Kontrolle kann zu einem Eintrag in der Polizeidatenbank führen und erhärtet dann den Verdacht bei der nächsten Kontrolle. Einmal in diesen Mühlen gefangen, hat man kaum eine Chance, aus dieser Verdachtskonstruktion heraus zu kommen.
Die Tagesschau berichtete am 2.1.2017, die Bundespolizei hätte 1.200 Menschen (Nafris?) kontrolliert, 900 dieser Menschen erhielten Platzverweise, konnten also gar nicht in Köln feiern. Die Kölner Polizei habe weitere 1.000 Personen kontrolliert und von 650 die Personalien festgestellt. Es war keine kleine Gruppe, die von diesem Vorgehen betroffen war. Wenn es habhafte Gründe für den Verdacht gab, dass die 900 Personen, die Platzverweise erhielten, Straftaten planten, dann stellt sich die Frage, wie sie an anderen Orten davon abgehalten wurden.
Genauso erschreckend wie dieses polizeiliche Vorgehen selbst, ist das überragende Lob wie die lautstarke Empörung über jeden Ansatz von Kritik. Noch nicht einmal das Wort „aussortieren“ lässt Journalist*innen und Bürger*innen zurückschrecken. Ein Wort aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Selbst gegen leise Kritik wird vehement vorgegangen. Die Grünen-Vorsitzende Simone Peter wurde so unter Druck gesetzt, dass sie ihre anfänglichen (berechtigten) Fragen zum Polizeikonzept wieder zurücknahm. Frank Lübberding wetterte in der FAZ, wer der Polizei Rassismus vorwerfe, setze die Handlungsfähigkeit des Staates aufs Spiel.
Die „Pegidisierung der Rechtspolitik“ beklagte Helmut Pollähne schon letztes Jahr beim Rückblick auf die Silvesternacht. Er schrieb: „Über alle (!) Parteigrenzen hinweg wurde die Härte des Rechtsstaats beschworen, die die ,Täterʻ (für die die Unschuldsvermutung de facto noch in der Neujahrsnacht abgeschafft wurde) treffen müsse. In unsäglicher Pauschalisierung brachen sich offen Rassismus und Islamfeindlichkeit Bahn.“
So werden die Fehler der Politik erneut offensichtlich, die nicht an Problemlösungen orientiert ist, sondern solche Situationen parteipolitisch ausschlachtet. Problemlösungen müssten die Situation junger Männer aus einigen nordafrikanischen Staaten und die Gründe, warum einige straffällig werden, in den Blick nehmen.
Elke Steven