17. März 2020
Corona / Gefangenenunterstützung / Lebenslange Haftstrafe / Sicherungsverwahrung / Soziale Menschenrechte

Coronagefahr im Gefängnis: Wir fordern die Aussetzung der Ersatzfreiheits- und Kurzzeitstrafen: Rundschreiben an die Justizministerien

In Deutschland breitet sich das Corona-Virus weiter aus und stellt damit auch die Frage nach einem verbesserten Umgang in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik. Das Grundrechtekomitee hat sich daher an einem Brief an die Justizministerinnen und Justizminister der Länder beteiligt, mit den folgenden Forderungen:

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Lothar H. Wieler,

am 09.03.2020 wurden im Iran ca. 70.000 Inhaftierte aus den Haftanstalten entlassen, um der Corona-Krise angemessener begegnen zu können. In Deutschland breitet sich das Virus weiter aus und es stellt sich die Frage nach einem verbesserten Umgang auch in den Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik. Hier sind Menschen untergebracht, die wesentlich häufiger von schweren Vorerkrankungen betroffen sind, als in der Gesamtbevölkerung. Wie Sie wissen, leidet der Justizvollzug schon seit längerer Zeit an einem Ärztemangel, freie Stellen können aufgrund fehlender geeigneter Bewerber_innen nicht nachbesetzt werden. Ein weiteres Problem ist, dass viele Menschen auf engem Raum untergebracht sind und die baulichen Gegebenheiten oftmals eine gute Zufuhr frischer Luft erschweren. Dies sind alles Faktoren, die eine Ausbreitung dieses Virus begünstigen.
Um Inhaftierte, Bedienstete und damit auch die Gesamtbevölkerung zu schützen, fordern die unterzeichnenden Organisationen und Verbände die Aussetzung der Ersatzfreiheits- und Kurzzeitstrafen. Insbesondere unter denen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, befinden sich viele Menschen mit einer Suchterkrankung, die auch unter chronischen Atemwegserkrankungen leiden. Die ersatzweise Verbüßung einer Geldstrafe erscheint uns insbesondere in diesen Zeiten als unverhältnismäßig und zu risikobehaftet.

Jetzt besteht noch die Möglichkeit vorausschauend zu handeln. Mit der Entlassung oder der Aussetzung der Ersatzfreiheitsstrafe wären 10% und mit der Entlassung oder Aussetzung der Kurzzeitstrafen (bis einschl. 9 Monate) weitere 34% weniger Gefangene in den Haftanstalten untergebracht. Weitere Maßnahmen, wie eine großzügigere Handhabung der Entlassung zur Halbstrafe u.a. sind zu prüfen. Mit einem solchen Schritt werden die zu Entlassenen und auch die weiterhin Inhaftierten und Beschäftigten besser geschützt. Zudem würden die medizinischen Dienste eine notwendige Entlastung erleben.