Kommentar zum „Entwurf eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ des Bundesinnenministeriums: Wer nach den zahlreichen Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts in den letzten rund zwei Jahren glaubte, nun sei alles nur Mögliche getan, um Wege zum Bleiberecht für Flüchtlinge zu versperren und sie abzuschieben, wird durch die neuen Pläne aus dem Bundesinnenministerium eines Besseren belehrt. Der „Entwurf eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ führt die parteiübergreifende Linie weiter, Abschiebungen um jeden Preis zu vollziehen - und zu legitimieren.
Der Entwurf des Innenministeriums vom 7. Oktober 2016 umfasst Änderungen im Aufenthaltsgesetz, im Asylbewerberleistungsgesetz und im Asylgesetz sowie die Einschränkung des Grundrechts der Freiheit der Person. Konkret soll u.a. ein neuer Status noch unterhalb der Duldung geschaffen werden. Betroffene unterlägen einem Arbeits- und teilweisen Ausbildungsverbot sowie extrem gekürzten Sozialleistungen, und wären von der erst 2015 beschlossenen Bleiberechtsregelung ausgeschlossen. Dies droht allen, denen die Behörden unterstellen, selbst dafür verantwortlich zu sein, dass sie nicht abgeschoben werden können - und auch denjenigen, deren Herkunftsstaaten ihnen keine Papiere beschaffen. Weiterhin sollen Abschiebungen nun gar nicht mehr angekündigt werden. Wer Behördentermine versäumt, soll in Abschiebehaft genommen werden können.
Rechtlich ist dieser Gesetzentwurf in vielen Punkten unhaltbar, wie Pro Asyl aufzeigt. Politisch ist er Teil einer großangelegten Abschiebungskampagne, welche die rücksichtslose Aushebelung von Rechten mit gesellschaftlicher Desinformation verknüpft.
Dazu gehört die diskursive Strategie, einen abgelehnten Asylantrag oder bereits dessen Erwartung mit illegalem und illegitimem Aufenthalt gleichzusetzen. So werden die vielen anderen berechtigten Gründe verschleiert, in Deutschland zu bleiben. Dazu dienen suggestive Wendungen wie „Bleibeperspektive“, die von den Medien leichtfertig übernommen werden, als beschrieben sie Tatsachen. Dadurch entstehen irreführende, alarmistische Zahlen z.B. zu abgelehnten Asylsuchenden oder Geduldeten. Eine weitere Suggestion findet sich auch in der Einleitung des Gesetzentwurfs: Diese Menschen seien irgendwie schuldig, weil sie nicht sofort wieder das Land verlassen haben oder sich bereitwillig abschieben ließen. Auch wird, auch in diesem Gesetzentwurf, mit dem Zauberwort „Straftäter“ hantiert, das in Zeiten der Terrorangst fast alles zu legitimieren vermag. Sie werden dann nicht abgeschoben, sondern „rückgeführt“ oder „müssen gehen“.
Während der Blick der Öffentlichkeit so von der Vielfalt individueller Bleibegründe abgelenkt wird, schaut der Gesetzgeber umso genauer auf diese - um sie so weit wie möglich zu untergraben. So hat eine eigene Arbeitsgruppe der Länder und der Bundespolizei „Abschiebehindernisse“ aufgespürt und stieß dabei auf verschiedene Ursachen, von Krankheiten über die mangelnde Kooperation der Herkunftsstaaten bei der Ausstellung von Dokumenten bis zur gesellschaftlichen Ablehnung von Abschiebungen. Gegen letzteres wirkt die oben beschriebene Stimmungsmache, gegen die übrigen Faktoren die Gesetzesverschärfungen. Der aktuelle Entwurf soll deren Wirkung wohl vollenden.
Wo Krankheiten vom Schutzgrund zum „Abschiebungshindernis“ umdeklariert werden, da kommt es auch sonst nicht mehr auf Feinheiten an. So beim ohnehin fragwürdigen Kriterium der „Schuld“: Nicht einmal das Innenministerium behauptet, dass es auf Flüchtlinge zutreffe, deren Herkunftsstaat ihnen keine Dokumente ausstellt. Es sieht sich aber nicht einmal in der Pflicht zu erklären, warum sie dennoch mitbestraft werden. Da verwundert es nicht, dass die unteren Behörden ebenso großzügig zu Ungunsten der Betroffenen arbeiten und immer wieder klar rechtswidrige Abschiebungen und Abschiebeversuche bekannt werden - ohne Folgen für die Verantwortlichen (1,2).
„Die Akzeptanz der großzügigen Aufnahme von Schutzbedürftigen kann dauerhaft nur erhalten bleiben, wenn diejenigen, die nicht schutzberechtigt sind, auch zeitnah in ihre Herkunftsländer zurückkehren“, wird zu Beginn des Entwurfstextes behauptet. Diese These begleitet bereits die ganze Reihe der sogenannten Asylrechtsverschärfungen, obgleich sie nicht belegt ist. Im Gegenteil, es mehren sich die Berichte über ehrenamtliche UnterstützerInnen, die frustriert und wütend auf Abschiebungen reagieren. In Bayern fand am 1. Oktober ein solidarischer Streik der Ehrenamtlichen statt. Hass gegen Flüchtlinge wird hingegen durch Gesetzentwürfe wie diesen und die dazugehörige Rhetorik eher befeuert als gedämpft.
Johanna Wintermantel hat Soziologie, Philosophie und Psychologie in Freiburg studiert und arbeitet als freie Journalistin vor allem für den freien Sender Radio Dreyeckland in Freiburg. Sie arbeitet beim Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung mit.