31. März 2025 © picture alliance / HMB Media/ Julien Becker | Julien Becker
(Anti-)Rassismus / Abschiebung / Flucht / Kriminologie / Nationalismus & Neue Rechte / Rechtsstaatlichkeit / Repression / Soziale Menschenrechte

Untersuchungsauschuss Solingen: Rassistische Selbstvergewisserung

Im Untersuchungsausschuss zum mutmaßlich islamistischen Anschlag von Solingen geht es vor allem um Abschiebungen

Der mutmaßlich islamistische Anschlag vom 23. August 2024, bei dem drei Menschen mit einem Messer getötet und zehn weitere teils schwer verletzt wurden, traf die Stadt Solingen mit ganzer Wucht – denn in Solingen ist der Schmerz über die vergangenen Gewalttaten noch sehr präsent. 

Der rechte rassistische Brandanschlag 1993 auf das Haus der Familie Genç, bei dem fünf Frauen und Mädchen starben, ist in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingeschrieben. Im März 2024 erschütterte ein rassistischer Brandanschlag die Stadt, bei dem eine bulgarische Familie ums Leben kam. Einen Brandanschlag auf ein Haus von Sinti*zze und Rom*nja am 9. Juni überlebten die Bewohnenden mit Verletzungen. 

Gegen den mutmaßlichen Täter des Anschlags beim Stadtfest im August 2024 Issa Al H. hat die Bundesanwaltschaft Ende Februar 2025 Anklage erhoben. Sie wirft Al H. dreifachen Mord und zehnfachen versuchten Mord sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland vor. Seit Mitte November 2024 läuft im Landtag NRW ein Untersuchungsausschuss, im Januar 2025 wurden dort die inhaltlichen Anhörungen aufgenommen.

 
Im »großen Stil abschieben«

Der Anschlag löste im vergangenen Jahr einen Sturm rassistischer Forderungen nach autoritären Maßnahmen aus. Politiker*innen nutzten den Anschlag, um bis dahin nicht durchsetzbare Gesetzesverschärfungen zu realisieren. 

Auf Bundesebene setzte die Ampel ein Sicherheitspaket um, »irreguläre« Migration sollte weiter verringert und noch schneller und mehr abgeschoben werden, vorgeblich als Sicherheitsmaßnahme. Es wurden unter anderem Grenzkontrollen intensiviert und die erste Abschiebung nach Afghanistan unter dem Taliban-Regime wurde durchgeführt. Die Landesregierung NRW beschloss zudem ein eigenes Maßnahmenpaket, das nun sukzessive umgesetzt wird – darunter der Bau eines zweiten großen Abschiebegefängnisses in Mönchengladbach zusätzlich zum bundesweit größten in Büren. Fragen nach der möglichen Prävention von derartigen Gewalttaten und nach Ursachen von Radikalisierung gingen sofort im schrillen Getöse von Bundes- und Landespolitik unter. 

Da der mutmaßliche Täter ein Geflüchteter ist, zählte nur eines: Wäre der mutmaßliche Täter vorher abgeschoben worden, wäre es nicht zu dem tödlichen Angriff gekommen, so die Logik. Der syrische Staatsangehörige Issa Al H. war über Bulgarien nach Deutschland geflüchtet, seine Abschiebung nach Bulgarien auf Basis der Dublin-III-Verordnung war 2023 gescheitert, weil er nicht in seiner Unterkunft angetroffen worden war. Da es keinen weiteren Abschiebeversuch gab, ging die asylrechtliche Zuständigkeit auf Deutschland über. Al H. zog nach einer Zuweisung nach Solingen um und erhielt einen subsidiären Schutzstatus. 

Nach dem tödlichen Attentat stand vordringlich die gescheiterte Abschiebung des mutmaßlichen Täters im Zentrum allen Interesses. Insbesondere der Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen Josefine Paul (Grüne) wurde die Verantwortung für das »Versagen« zugeschoben. 

Mit den Stimmen von CDU, SPD, Grünen und FDP wurde schließlich ein Untersuchungsausschuss eingerichtet. Sein Auftrag ist, »mögliche Versäumnisse, Unterlassungen, Fehleinschätzungen und etwaiges Fehlverhalten« von Behörden zu untersuchen sowie allgemein »die praktischen Voraussetzungen und mögliche strukturelle Defizite im Hinblick auf Rückführungen, Dublin-III-Überstellungen, Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam«, sowie möglichen »Optimierungsbedarf«. 

Relevante Fragen etwa nach Mängeln bei Gewaltprävention in Unterkünften oder die Nichtbeachtung von wissenschaftlichen Erkenntnissen über Ursachen von Radikalisierung sind im Untersuchungsausschuss nicht vorgesehen. Die 265 Fragen im Einsetzungsbeschluss schließlich zielen vornehmlich auf die Asylantragstellung und gescheiterte Abschiebung von Issa Al H., auf das Abschiebungsverfahren im Allgemeinen, auf Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle sowie auf sicherheitsbehördlichen Datenabgleich. 

Keine Grundrechte für Geflüchtete 

Obwohl für gewöhnlich in Untersuchungsausschüssen zunächst Zeug*innen geladen werden, begann dieser im öffentlichen Teil in Düsseldorf eine »Beweisaufnahme« mit Anhörungen von Sachverständigen aus Asyl- und Ausländerrecht. 

Die Beiträge der Sachverständigen schlossen sich nahtlos an die rassistische migrationspolitische Debatte von August 2024 an. Nicht der Solinger Anschlag selbst wurde verhandelt, die meisten Geladenen schienen vielmehr einer fachlichen Legitimation politischer Entscheidungen in Asylrechtsverschärfungen zu dienen. 

Juristen wie Daniel Thym, Kay Hailbronner, Martin Fleuß, der Politikberater Gerald Knaus sowie der Psychologe Ahmad Mansour lieferten als »Experten« die Rechtfertigung zur weitergehenden Einschränkung von Grundrechten für Geflüchtete. Thym konstatierte in der ersten Sitzung die »geringe Erfolgsquote« von Abschiebungen aus Deutschland in die Erstankunftsländer wie Bulgarien, Italien und Kroatien. Viele Abschiebungen würden ihm zufolge nicht langfristig zum Erfolg führen, weil Menschen rasch wieder einreisten. 

Er brachte die auf europäischer Ebene diskutierten »return hubs« zur Sprache, als womöglich politisch leichter umsetzbare Alternativen zu den von den Unionsparteien propagierten vollständigen Auslagerungen von Asylerstverfahren in Drittstaaten wie Ruanda. In »return hubs« in Drittstaaten außerhalb der EU sollen formal als ausreisepflichtig geltende Personen festgehalten werden, bis eine Rückkehr in ihre Heimatstaaten möglich sei. 

Die EU-Grundrechteagentur hatte jüngst ihre grundsätzlichen Bedenken an diesen europäischen Überlegungen geäußert. Richter Martin Fleuß, am Bundesverwaltungsgericht u.a. für die rechtliche Prüfung von Abschiebungsanordnungen bei sogenannten Gefährdern zuständig, trat im Ausschuss als Honorarprofessor auf und nutzte die Bühne für rassistische Phrasen. Beiträge wie »es kämen einfach zu viele Menschen nach Deutschland«, die »Kriminalität« steige oder es gebe eine »ungesteuerte Migration nach Deutschland« wurden durch den Auftritt im Ausschuss geadelt.

Fleuß kam Forderungen wie von Jens Spahn (CDU) nach dem Austritt Deutschlands aus der Europäischen Menschenrechtskonvention mit dem Verweis auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte inhaltlich nahe: Es sei »einem Normalbürger nicht zu vermitteln, dass jemand, der gefährlich sei, nicht abgeschoben werden könne, weil er nach der Abschiebung in Haft in einen 40-Personen-Raum komme«. 

Der Untersuchungsausschuss wird damit zur Arena für eine offene Infragestellung rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Prinzipien, denn die Europäische Menschenrechtskonvention regelt, dass niemand in Folter und unmenschliche Behandlung abgeschoben werden darf. 

Daran knüpfte in der zweiten Sitzung der emeritierte Rechtsprofessor Kay Hailbronner an: Die Bevölkerung verstehe es nicht, wenn ein terroristischer Gefährder nicht abgeschoben werden könne, weil er in Syrien keinen Gefängnisraum von drei Quadratmetern zur Verfügung habe. Er plädierte außerdem für Abschiebehaft für alle Ausreisepflichtigen nach der Dublin- Verordnung. Er fordert mit anderen Worten Masseninhaftierungen – denn allein im Jahr 2024 hatten europäische Staaten über 44.000 Rückübernahmeersuchen Deutschlands zugestimmt. 

Auch Gerald Knaus, der Architekt des EU-Türkei-Deals wurde angehört und kritisierte das Dublin-System als »komplett gescheitert« und »nicht reformierbar«.

Einzig der Rechtswissenschaftler Benjamin Rusteberg hielt gegen das pauschale Fantasieren migrationspolitischer Verschärfungen und verwies auf die zahlreichen Sonderrechte gegen Ausreisepflichtige. Über den mutmaßlichen Attentäter habe nichts vorgelegen. Man könne nicht alle Abschiebepflichtigen inhaftieren, Menschen könnten mit Alltagsgegenständen wie einem Messer oder Auto furchtbare Taten begehen, der Zugang zu solchen alltäglichen Dingen sei nicht zu verhindern, die Anzahl der Personen, die Anschläge verüben oder gewalttätig werden, sei aber verschwindend gering. 

In den kommenden Sitzungen wird es wohl um Schuldzuweisung gehen, denn – CDU und Grüne wollen den Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für »Migrationsabkommen« Joachim Stamp (FDP) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) laden.

Mit dem Untersuchungsausschuss hat sich die NRW-Landespolitik ein Instrument geschaffen, um ihre fortwährenden Forderungen nach Verschärfungen bei Asylrecht und Sicherheitsstaat wissenschaftlich legitimieren zu lassen. Dabei ziehen alle beteiligten Parteien mit geringen Nuancen an einem Strang. Ihre Wahnvorstellungen von möglichst lückenloser Kontrolle über Asylsuchende und einer zunehmenden Zentralisierung des Asyl- und Abschiebesystems haben Konsequenzen für alle in Deutschland Schutzsuchenden. Einer gesellschaftlichen Sicherheit vor tödlicher Gewalt dienen sie mit Sicherheit nicht. 

Der Text erschien in der Märzausgabe 2025 in der Wochenzeitung Analyse und Kritik (ak 713)

Sebastian Rose ist Referent unseres Projekts Abschiebungsreporting NRW. Das Projekt dokumentiert seit August 2021 kritisch die Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen. 
 

 

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