06. Apr. 2022 © dpa (Symbolbild)
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Pressemitteilung: Oberbergischer Kreis schiebt Mädchen nach Sri Lanka ab: Kreis nimmt schwere Gefährdung des Kindes in Kauf und trennt Mädchen vom Vater

Inmitten eines mehrmonatigen gerichtlichen Verfahrens zur Prüfung einer möglichen Kindeswohlgefährdung eines vierjährigen Mädchens durch dessen Mutter hat der Oberbergische Kreis das Mädchen Ende Januar 2022 zusammen mit seiner Mutter aus Gummersbach nach Sri Lanka abgeschoben. Das Jugendamt zweifelt die Erziehungsfähigkeit der Mutter allerdings erheblich an.

Aufgrund zahlreicher Kindeswohlgefährdungsmeldungen über einen längeren Zeitraum, die sowohl von Nachbar:innen, Ämtern als auch der Polizei erfolgten, empfahl das Jugendamt die Erstellung eines Erziehungsfähigkeitsgutachtens im Hinblick auf das Erziehungsverhalten beider Eltern.

Da sich die Kindesmutter aus Sicht des Jugendamtes in einem geistig verwirrten Zustand befand, empfahl es zudem dringend die Aufnahme einer psychiatrischen Behandlung. Das Mädchen wurde mit der Abschiebung vom gleichfalls sorge- und umgangsberechtigten Vater getrennt.

Die Eltern lebten in getrennten Haushalten und haben seit Juli 2019 das Sorgerecht gemeinsam inne. Das Kind lebte im Haushalt seiner Mutter. Das örtliche Jugendamt hatte Anfang September 2021 ein Verfahren nach § 8a SGB VIII (Kindeswohlgefährdung) beim AmtsgerichtGummersbach eingeleitet. Die Situation des Kindes bewertete das Jugendamt in dem mehrseitigen Antragsschreiben an das Gericht als „chronische Kindeswohlgefährdung, die aufgrund der massiven Verletzungen der Aufsichtspflicht [der Mutter] plötzlich akut werden kann“.

Der nigerianische Kindsvater bemühte sich schon seit längerem um die Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts für seine Tochter auf ihn. Insgesamt waren zum Zeitpunkt der Abschiebung drei familiengerichtliche Verfahren beim Amtsgericht Gummersbach anhängig, die nun jäh abgebrochen wurden.

Die Ausländerbehörde hatte von all diesen Verfahren Kenntnis. Neben dem Kindeswohlverfahren und dem Verfahren über das Aufenthaltsbestimmungsrecht lief noch ein Verfahren über das Umgangsrecht für das Kind. Die Kindsmutter hatte wiederholt die mit dem Kindsvater vereinbarten Umgangskontakte mit dem Kind nicht wahrgenommen.

Durch die Abschiebung sind dem Kindsvater nun faktisch sämtliche elterlichen Sorgerechte entzogen worden. Besonders dramatisch ist die Abschiebung für das vierjährige Mädchen. Vieles deutet daraufhin, dass es durch seine Mutter nicht hinreichend versorgt werden kann.

Die vom Amtsgericht Gummersbach´eingesetzte Verfahrensbeiständin des Mädchens schrieb noch sieben Tage vor der Abschiebung: „Es wird mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein, dass bei der Kindesmutter eine psychische Erkrankung vorliegt. (…) Ein Verbleib [des Kindes] bei der Kindesmutter wird zum jetzigen Zeitpunkt als fragwürdig angesehen.“

Bei dem Mädchen sei eine „enorme Entwicklungsverzögerung erkennbar“. Auch das Jugendamt kam zuletzt zu einer klaren Einschätzung. Eine Mitarbeiterin bewertete noch acht Tage vor der erfolgten Abschiebung in einer Auskunft an die Ausländerbehörde die Situation des Kindes als eine chronische Gefährdung des Kindes im Bindungsverhalten zwischen der Kindesmutter und der Tochter. Allerdings wurde festgehalten, dass derzeit keine aktuelle Gefährdung nach § 8a SGB VIII vorgelegen habe, die eine sofortige Inobhutnahme des Kindes begründen könne.

Sebastian Rose, Abschiebungsreporting NRW, Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.:

„Der Oberbergische Kreis hat durch die Abschiebung des vierjährigen Mädchens dessen Rechte sowie auch die Rechte des Vaters grob missachtet. Die Beziehung von Vater und Kind ist grundrechtlich streng geschützt. Wie kann es sein, dass ein in Deutschland geborenes Mädchen mitten in einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren zu einer möglichen Kindeswohlgefährdung durch dessen Mutter mit dieser gemeinsam in ein fremdes Land abgeschoben und damit auf unabsehbare Zeit vom ebenfalls sorgeberechtigten Vater getrennt wird? Die Ausländerbehörde hatte Kenntnis über alle anhängigen familiengerichtlichen Verfahren. Doch sie hat diese mit der Abschiebung bewusst unterlaufen.“

Jugendamt und Ausländerbehörde standen in regelmäßigem Austausch. Das Jugendamt kannte die konkrete Gefährdung des Kindes sehr genau. Dies ist dadurch belegt, dass es bereits seit Juni 2009 mit Unterbrechungen mit der Kindsmutter befasst war, die 2003 ein erstes Kind geboren hatte. Auch seit der Geburt des vierjährigen Mädchens im September 2017 war das Jugendamt intensiv mit der Familie beschäftigt.

Eine sozialpädagogische Familienhilfe war bis fünf Monate nach der Geburt des Kindes tätig. Ab September 2018 häuften sich dann die Gefährdungsmeldungen an das Jugendamt das Kind betreffend. Davor hatte das Amtsgericht Gummersbach bereits im Dezember 2019 per einstweiliger Anordnung beschlossen, dass die Kindsmutter an einer Beratung durch das Jugendamt u.a. zur Erstellung eines Hilfeplanes und eines Schutzkonzeptes teilnehmen müsse, da das Kindeswohl gefährdet sei.

Zwei Tage vor der nun erfolgten Abschiebung sollte eine weitere mündliche Verhandlung vor dem Amtsgericht Gummersbach über das Umgangsrecht für das Kind stattfinden, die jedoch auf Veranlassung der Kindsmutter verschoben wurde.

Die vom Amtsgericht Gummersbach in Auftrag gegebenen fachlichen Begutachtungen in der Frage der Kindeswohlgefährdung sollten dem Gericht bis Ende Mai 2022 vorgelegt werden. Nach Berichten des Kindsvaters sind die abgeschobene Frau und die vierjährige Tochter seit der Abschiebung nach Sri Lanka obdachlos und ohne hinreichende Versorgung, und müssen sogar hungern.

Dem Mädchen, das aufgrund des Verhaltens und der wahrscheinlich bestehenden psychischen Erkrankung der Mutter schon in Deutschland bisher keine hinreichende Erziehung und Förderung erhalten hat, droht nun die vollständige Verelendung. Wie die Hilfsorganisation medico international berichtet, erlebt Sri Lanka derzeit die schwerste Wirtschaftskrise seit seiner Unabhängigkeit 1948. Nur durch finanzielle Unterstützung des Kindesvaters und dessen neuer Lebensgefährtin kann überhaupt die Versorgung des Kindes und seiner Mutter mit Lebensmitteln gesichert werden.

Der Kindsvater fordert die Rückholung des Kindes nach Deutschland. Er ist bereit, sie sofort im gemeinsamen Haushalt mit seiner neuen Lebenspartnerin aufzunehmen und zu versorgen.

Kontakt:
Abschiebungsreporting NRW
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Sebastian Rose
Telefon 0221 / 972 69 -32
E-Mail: rose@abschiebungsreporting.de

Hintergrund:
Die Mutter des vierjährigen Mädchens lebte von 2002 bis 2022 mit 1,5-jähriger Unterbrechung (2007 bis 2009) in Deutschland. Der Kindsvater ist seit mehreren Jahren berufstätig. Er hat einen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsduldung gestellt, um ein festes Bleiberecht in Deutschland zu erhalten und lebt in einer neuen Partnerschaft.