Gemeinsame Presseinformation des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V., des Komitees für Grundrechte und Demokratie e.V. und des Abschiebungsreporting NRW
Am 25.10.20023 hat das Bundeskabinett den Regierungsentwurf zum sogenannten „Rückführungsverbesserungsgesetz“ verabschiedet und an Bundestag und Bundesrat übermittelt. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein e.V., das Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. sowie das dem Grundrechtekomitee angegliederte Projekt Abschiebungsreporting NRW kritisieren vor allem die weitreichenden Eingriffe in Grundrechte, namentlich in das Recht auf Freiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Recht auf Privatsphäre sowie den Grundsatz, sich nicht selbst belasten zu müssen sowie das Gesetzgebungsverfahren selbst scharf.
Der 72-seitige Referent:innenentwurf wurde den Verbänden ohne sachlichen Grund mit einer Stellungnahme-Frist von nur 48 Stunden übermittelt. Eine ernsthafte fachliche Auseinandersetzung mit Expert:innen ist seitens der Bundesregierung offensichtlich nicht erwünscht.
Julia Schulze Buxloh vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. erklärt.:
„Eine Vielzahl der geplanten Regelungen ist eindeutig verfassungs- und europarechtswidrig. Statt eines Überbietungswettbewerbs an Schäbigkeiten und verfassungswidriger Scheinlösungen brauchen wir sachgerechte Debatten und eine menschenrechtskonforme Politik.“
Britta Rabe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. kritisiert:
„Das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ enthält populistisch motivierte Maßnahmen. Mit noch unnachgiebigerer Härte und Mitteln der Gewalt – wie Inhaftierung und polizeilicher Kontrolle und Disziplinierung – soll gegen Menschen vorgegangen werden. Ziel ist vor allem, Geflüchtete als angeblich unberechtigt „Leistungen erschleichende“ Straftäter:innen rassistisch zu markieren.“
Sebastian Rose vom Abschiebungsreporting NRW stellt fest:
„Dieses Gesetz wird sein propagiertes Ziel nicht erreichen. Schon jetzt werden Rechte von Betroffenen bei Abschiebungen verletzt, wie wir aus den Recherchen und Dokumentationen des Abschiebungsreporting NRW wissen. Die geplante Einschränkung von Grundrechten steht in keinerlei Verhältnis zu den von der Bundesregierung propagierten zusätzlichen 600 Abschiebungen pro Jahr.“
Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein e.V., das Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. und das daran angegliederte Abschiebungsreporting NRW fordern daher – auch angesichts der weiteren Verschärfungen, die aktuell diskutiert werden – Bundesregierung, Bundesrat und Parlament zu einer grundlegenden Umkehr in der Migrationspolitik auf.
Es braucht eine progressive Politik, die sich endlich traut, den Menschenrechtsschutz in den Mittelpunkt zu stellen, den Fakt von immerwährenden Migrationsbewegungen anzuerkennen und positiv zu gestalten.
Zu einigen vorgeschlagenen Gesetzesänderungen im Einzelnen:
•Die Ausweitung der Inhaftierungsmöglichkeiten von Geflüchteten (§ 62 Abs. 3 S. 4 AufenthG– E): Abschiebehaft soll etwa auch immer dann angeordnet werden, wenn feststeht, dass die Abschiebung innerhalb von sechs Monaten und nicht mehr wie zuvor innerhalb von drei Monaten durchgeführt werden kann.
•Die Fortdauer und die Anordnung von Abschiebungshaft (§ 71 Abs. 8 AsylG – E) soll künftig zudem unabhängig von etwaigen Asylantragstellungen und Folgeanträgen möglich sein. Dies wird dazu führen, dass Menschen gezielt in eine nicht endende Situation von Furcht vor möglicher Haft gedrängt werden.
•Der sogenannte Ausreisegewahrsam (§ 62b Abs. 1 AufenthG– E) soll von zehn auf 28 Tage erhöht werden. Dieser kann schon jetzt unter noch geringeren Voraussetzungen als die Abschiebungshaft verhängt werden, etwa auch ohne vorliegende Fluchtgefahr. In der Praxis wird der Ausreisegewahrsam zudem meist unrechtmäßig in den gleichen Haftanstalten vollzogen wie andere Formen der Abschiebungshaft.
•All diese Maßnahmen werden geplant, obwohl bereits jetzt häufig Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam im Nachhinein von Gerichten als rechtswidrig eingestuft werden. Neben dem generell massiven Eingriff in das Freiheitsrecht der Betroffenen wird diese Regelung entsprechend zu noch mehr rechtswidriger Haft führen. Auch werden die Gerichte noch weiter belastet.
•Ausweitung der Befugnis für staatliche Behörden, in Privaträume einzudringen (§ 48 Abs. 3 AufenthG – E)
Der Schutz der Privatsphäre und die Unverletzlichkeit der Wohnung, die in Art. 13 GG grundrechtlich geschützt sind, werden in Zukunft für Geflüchtete und Menschen mit prekärem Aufenthaltsrecht noch weiter eingeschränkt. So soll in Sammelunterkünften zukünftig auch in Räume von Dritten eingedrungen werden können.
Diese anderen Räume sollen nach Personen, die abgeschoben werden sollen, durchsucht werden dürfen. Der Richtervorbehalt, den es zur Durchsuchung von Wohnungen bedarf, wird schon derzeit regelmäßig missachtet. Mit der Erweiterung der Befugnisse zum Nachteil von Dritten steht zu befürchten, dass der Richtervorbehalt noch weniger beachtet werden wird.
Dies stellt einen erheblichen Verstoß gegen Art. 13 GG dar. Diese rechtlich explizite Billigung dient vor allem der Legitimierung behördlicher Schikanen, die alle Bewohner:innen von Gemeinschaftsunterkünften in Angst versetzen wird und zu weiterer Traumatisierung führen kann. Dem Gesetzgeber ist bei alledem zudem bekannt, dass die Frage der Unverletzlichkeit von Wohnraum bei Abschiebungen derzeit beim Bundesverfassungsgericht zur Klärung anhängig ist. Diese Entscheidung wird aber bewusst nicht abgewartet.
•Nichtankündigung von Abschiebungen (§ 60a Abs. 5a AufenthG – E)
Laut Gesetzentwurf soll die einmonatige Ankündigungspflicht für Abschiebungen, denen eine mindestens einjährige Duldung vorausging, die widerrufen wurde, gestrichen werden. Hierbei soll lediglich eine Ausnahme für Familien mit Kindern unter 12 Jahren gelten. Die Nichtankündigung von Abschiebungen schränkt schon bisher den effektiven Rechtsschutz der Betroffenen massiv ein.
Nun soll diese Praxis ausgeweitet werden. Dabei wird sie von den Betroffenen oft als besonders unwürdig beschrieben. Abzuschiebende Menschen können sich nicht auf die Ausreise vorbereiten, sich nicht verabschieden oder die Auflösung ihres Haushaltes organisieren.
Weiter ist vorgesehen, dass künftig auch abzuschiebenden Ausländer:innen in Haft oder im öffentlichen Gewahrsam die Abschiebung nicht mehr angekündigt werden soll (§ 59 Abs. 5 S. 2 AufenthG – E). Dabei ist einer der oft genannten Gründe für die Nichtnennung der Abschiebetermine, dass die Betroffenen sich sonst verborgen halten könnten. Genau dies ist in Haft oder öffentlichem Gewahrsam aber gerade nicht möglich.
Daher kann diese Maßnahme im Gesetzentwurf nur so interpretiert werden, dass auch hier die Rechte der Betroffenen weiter eingeschränkt werden sollen.Effektiver Rechtsschutz wird verhindert. Der Gesetzentwurf selbst nennt nämlich als Grund der Maßnahme einzig die Entlastung der Ausländerbehörden.
• Erweiterung der Strafbarkeit: (§§ 15 Abs. 2, 85 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 AsylG – E)
Falsche oder unvollständige Angaben im Asyl- sowie Widerrufs- oder Rücknahmeverfahren sollen zukünftig strafbar werden. Haben bislang falsche oder unvollständige Angaben zur Ablehnung des Asylgesuchs oder zum Verlust des Schutzstatus führen können, wird hier nun zusätzlich mit dem schärfsten Schwert des Rechtsstaates agiert.
Diese Regelung verstößt gegen den Grundsatz, sich nicht selbst belasten zu müssen, der einen grundlegenden Baustein unseres Rechtsstaates darstellt. Zum anderen wird damit Asylsuchenden die Sicherheit genommen, dass der Inhalt der Anhörung vertraulich bleibt, was für viele eine grundlegende Voraussetzung ist, über erlebte Verfolgung sprechen zu können. Auch sind Eingriffe in die Berufsfreiheit von Anwält:innen und Berater:innen zu befürchten, sollten die Strafverfolgungsbehörden von Amts wegen angehalten sein, auch gegenüber diesen zu ermitteln.
Einhergehend könnte damit eine Pflicht, eine erschöpfende Prüfung der Wahrheit des Vortrages vorzunehmen, was die Beratungstätigkeit verunmöglichen könnte. Zudem wird dieses Vorhaben zur ohnehin schon bestehenden Überlastung der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte beitragen.
• Ausweitung der Ausweisungsgründe: (§ 54 Abs. 1 Nr. 2a AufenthG – E)
Die bereits äußerst weit gefassten Ausweisungsinteressen3 sollen noch einmal erweitert werden. Ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse soll zukünftig bereits dann bestehen, „wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass [eine Person] einer Vereinigung im Sinne des § 129 des Strafgesetzbuches angehört oder angehört hat“.
Eine rechtskräftige Verurteilung wird folglich nicht erforderlich sein; bereits Ermittlungsverfahren oder gar Bewertungen der Ausländerbehörden können ausreichen, um die betroffene Person mit dem scharfen Damoklesschwert der Aufenthaltsbeendigung zu konfrontieren.
Vor dem Hintergrund,
- dass bereits jetzt eine hohe Anzahl an Ermittlungsverfahren gem. § 129 StGB geführt wird, ohne, dass jedoch die Verdachtsmomente für eine Verurteilung schließlich genügen,
- dass bereits jetzt u.a. § 129 StGB in Zusammenhang mit sog. „Clan“-Kriminalität gebracht wird – erneut ohne entsprechende strafgerichtliche Verurteilung – und damit rassistisch konnotiert gegen Personen vorgegangen wird,
- dass zunehmend Ermittlungsverfahren gem. § 129 StGB gegen Antifaschist:innen und Klimaaktivist:innen eingeleitet werden, um missliebige politische Haltungen zu kriminalisieren, wird hiermit ein Instrument geschaffen, dass aus hiesiger Sicht demokratischem Recht widerspricht: Die Ausweisung von Betroffenen wird lediglich aufgrund einer Verdachtslage möglich.
• Die Gründe, ein Asylverfahren als „offensichtlich unbegründet“ abzulehnen, sollen ausgeweitet werden (§ 30 Abs. 1 AsylG – E). Dies verstößt gegen Unionsrecht und verkürzt erneut den Rechtsschutz, gerade für diejenigen, die ihn am dringendsten benötigen: Geflüchtete, und damit besonders schutzbedürftige Personen. Diese Erweiterung ist ein weiterer Ausdruck davon, Geflüchtete unter den Verdacht zu stellen, „Betrüger“ und „Asyl-Erschleicher“ zu sein.