Schwerpunkte des alternativen Verfassungsschutzberichts sind die Folgen der NSA-Überwachungsaffäre, das demokratie- und rechtsstaatsfeindliche Agieren des bundesdeutschen Verfassungsschutzes sowie der Umgang mit MigrantInnen – von der Zurückweisung an den europäischen Grenzen bis hin zur mangelnden Aufnahme in den Kommunen.
Am heutigen Tag wird der Grundrechte-Report 2014 durch die frühere Bundesjustizministerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, in Karlsruhe präsentiert. Der von acht namhaften Bürgerrechtsorganisationen herausgegebene Report zieht für das Berichtsjahr 2013 eine kritische Bilanz zum Umgang mit den Bürger- und Menschenrechten in Deutschland.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erklärte anlässlich der Präsentation des Berichts: „Die Vorgänge um die NSA und den NSU zeigen, dass es im Kernbereich des Grundrechtsschutzes in Deutschland schlecht aussieht. Ein freiheitlicher Rechtsstaat kann es nicht dulden, dass die im Geheimen agierenden Dienste den einzelnen Menschen zum bloßen Objekt ihrer Informationsbegehrlichkeiten entwürdigen. Der Grundrechte-Report analysiert dies schonungslos.“
Die im Zuge der NSA-Affäre bekannt gewordenen Geheimdienstaktivitäten sowie die bisherige Verweigerung jeglicher rechtspolitischer Konsequenzen und Schutzmaßnahmen durch Bundesregierung und Justiz bilden einen Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe. Rolf Gössner beschreibt in seinem Einleitungsbeitrag die Folgen der ausufernden, grenzen- und verdachtslosen Massenüberwachung. Die geheimdienstlichen Datenexzesse übertreffen nicht nur alle bisherigen Vorstellungen, sondern befördern Selbstkontrolle und vorauseilenden Gehorsam. Gössner spricht von einem „geheimen Informationskrieg“ und einem präventiven Ausnahmezustand, in dem demokratische und rechtsstaatliche Regeln praktisch außer Kraft gesetzt werden. Der Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte stellt fest: „Dieser Angriff auf Substanz und Selbstverständnis freiheitlicher Demokratien erfolgt nicht etwa von außen, von ‚extremistischen’ oder terroristischen Kräften, sondern aus dem Inneren des Systems – wie eine aggressive, überschießende Reaktion des Immunabwehrsystems.“
Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie betont anlässlich der Präsentation: „Der Zustand der Verfassungswerte zeigt sich gerade am Umgang mit den Schwächsten in der Gesellschaft. Wie schlecht es darum bestellt ist, zeigen zahlreiche Fallbeispiele des aktuellen Reports.“ Dazu gehören Obdachlose, die von öffentlichen Orten verdrängt werden; Kinder, Jugendliche sowie psychisch auffällige Menschen, die in geschlossene Einrichtungen abgeschoben werden; MigrantInnen und Flüchtlinge, die von der deutschen Politik und Gesetzgebung oft nur noch als Sicherheits- und Sozialrisiko wahrgenommen werden.
Der Grundrechte-Report 2014 enthält zahlreiche Beispiele für die zunehmende Perfektionierung der Ausgrenzung und Abschottung gegenüber Flüchtlingen: Das beginnt mit der Überwachung und dem Zurückdrängen von Flüchtlingsbooten in internationalen Gewässern beispielsweise vor Mauretanien und Senegal; reicht über die 340 Millionen Euro teure Aufrüstung des neuen Grenzüberwachungssystems EUROSUR - und endet noch lange nicht in der wahllosen Inhaftierung von Flüchtlingen in Europa, für die sich niemand zuständig fühlt und denen selbst einfachste Unterkünfte verweigert werden. Daneben werden zunehmend europäische BürgerInnen diskriminiert, denen in Deutschland Leistungen der Existenzsicherung verwehrt werden. Das zwingt sie in die Billiglohnarbeit und führt sie in die Obdachlosigkeit. Martin Heiming vom Republikanischen Anwältinnen und Anwälteverein: „Europa will gegenwärtig der Ukraine `die Demokratie´ bringen, und muss doch selbst erst lernen, dass menschliche Solidarität darin eine tragende Säule ist. Europa ist eine Sozialunion – oder überflüssig.“
Der jährliche Report zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland bilanziert in insgesamt 42 Beiträgen kritisch die Verfassungswirklichkeit Deutschlands. Als „wichtiges Instrument des Menschenrechts-Monitorings in Deutschland“ (Beate Rudolf) behandelt er die gesamte Bandbreite von Einschränkungen der Grundrechte durch Gesetzgeber, Verwaltung und Justiz sowie durch private Unternehmen. Aktuelle Fälle zur unverhältnismäßigen Einschränkung der Privatsphäre, der Glaubensfreiheit oder des Streikrechts im Arbeitsleben sind ebenso vertreten wie die zahlreichen Beschränkungen politischer Freiheitsrechte beispielsweise von Demonstrierenden und JournalistInnen. Die 18. Ausgabe des alternativen Verfassungsschutzberichts bietet deshalb einen ebenso umfassenden wie ernüchternden Blick auf den Zustand der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland.
Grundrechte-Report 2014 – Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland Herausgeber: T. Müller-Heidelberg, E. Steven, M. Pelzer, M. Heiming, H. Fechner, R. Gössner, U. Engelfried und S. Rotino; Preis 10,99 €; 240 Seiten; ISBN 978-3-596-03018-7; Fischer Taschenbuch Verlag; Juni 2014