In Niedersachsen planen SPD und CDU eine neuerliche Änderung des Polizeirechts, die der Landtag «noch 2018» verabschieden soll. So steht es in der Koalitionsvereinbarung, auf die sich die beiden Parteien Mitte November geeinigt haben: «Wir wollen (…) die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung (elektronische Fußfessel), Meldeauflagen, Kontaktverbote und Aufenthaltsgebote, die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die Onlinedurchsuchung gesetzlich regeln». Enthalten soll das neue Gesetz auch «eine Rechtsgrundlage für die Präventivhaft für Gefährder», die insgesamt – mit Verlängerungen – für zweieinhalb Monate verhängt werden könnte. Und auch sonst haben die neuen Partner einiges in ihrem Sicherheitsköcher: Die «Vermummung» bei Demos soll wieder zur Straftat werden. Die erst 2016 eingeführten halbherzigen Beschränkungen für die Spitzel des Verfassungsschutzes will man wieder aufweichen.
Da ist sie also wieder, die Große Koalition, wie wir sie in den letzten Jahren im Bund kennen gelernt haben. Selbst wenn man nur die Zeit von Anfang 2017 bis zu den Bundestagswahlen in den Blick nimmt, kommt einem das Gruseln. Sie erinnern sich: Die Ausweitung der Video-Überwachung unter anderem auf Bahnhöfen; die BKA-Gesetz-Novelle, die nicht nur den großen Datenpool, sondern auch die ganze Bandbreite der geheimen und technischen Überwachungsmethoden enthielt und auf die im letzten Moment – quasi als Sahnehäubchen – die «elektronische Fußfessel» für «Gefährder» aufgepoppt wurde; die Änderung der Strafprozessordnung, die ebenfalls im letzten Moment ergänzt wurde um die Befugnis zum Trojaner-Einsatz zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) und zur «Online-Durchsuchung».
Kaum sind die niedersächsischen Sozis ihre alten grünen KoalitionspartnerInnen los, lassen sie alle Hemmungen fallen. Gemeinsam mit der CDU machen sie im Land da weiter, wo sie im Bund aufgehört haben (resp. gerade mal pausieren und sondieren). Typisch Groko, oder? Stimmt leider nicht so ganz. Denn der Blick in andere Bundesländer zeigt, dass auch in anderen farblichen Konstellationen ähnliche gesetzgeberische Leistungen mach- und erwartbar sind.
Fall 1: Bei der weiß-blauen Variante von schwarz – sprich: unter der Herrschaft der CSU in Bayern – wundert uns das nicht. Bayern war das erste Bundesland, das die Inhalte des BKA-Gesetzes in sein Polizeiaufgabengesetz transferierte und den De-Maizière-Plan gleich noch übererfüllte: Trojaner, «Fußfessel» und zwar nicht nur für «terroristische Gefährder», zusätzlich Präventivhaft – gegebenenfalls bis zum St.-Nimmerleinstag. Stichwort Ewigkeitshaft.
Fall 2: In NRW regiert jetzt die CDU zusammen mit der liberalen «Bürgerrechtspartei». Die hat sich etwas geziert und erreicht, dass die Schleierfahndung jetzt «strategische Fahndung» heißt. Aber sonst? Die Kennzeichnung von PolizeibeamtInnen mit Namens- oder Nummernschildern hat man ratz-fatz abgeschafft. Und ein Blick in die schwarz-gelbe Koalitionsvereinbarung verrät, dass da noch einiges auf uns zukommt. «Gesetzliche Rahmenbedingungen und Eingriffsbefugnisse» der Polizei will Schwarz-Gelb an die Anforderungen anpassen, die das Bundesverfassungsgericht im April 2016 in seinem Urteil zum BKA-Gesetz formulierte. Bei der Gelegenheit kann man dann auch gleich «die elektronische Fußfessel für terroristische Gefährder im Sinne des BKA-Gesetzes rechtskonform im nordrhein-westfälischen Polizeigesetz verankern … (und) … die präventiv-polizeiliche Überwachung von terroristischen Gefährdern und Organisierter Kriminalität auf Lücken überprüfen.» In NRW soll es zwar keine «Präventivhaft» weder im bayerischen noch im niedersächsischen Format geben, aber: «Wir werden die Dauer des Unterbindungsgewahrsams für terroristische Gefährder auf maximal 7 Tage ausdehnen.» Darüber hinaus verfolgt die Koalition im größten Bundesland auch bundespolitische Ziele: Mit einer Bundesratsinitiative will sie «Sympathiewerbung für terroristische Vereinigungen rechtssicher unter Strafe stellen».
Fall 3: In Schleswig-Holstein gibt es eine «Jamaika»- oder «Schwarze-Ampel»-Koalition. Die CDU musste bei der Regierungsbildung also gleich mit zwei «Bürgerrechtsparteien» Kompromisse eingehen – mit der gelben und der grünen. Das zeigt sich dann auch an den äußerst genauen Aussagen im Koalitionsvertrag: Das geltende Polizeirecht will die schwarz-gelb-grüne Regierung «unverzüglich einer Schwachstellenanalyse unterziehen, um Handlungsnotwendigkeiten, insbesondere im Bereich der Terrorismusbekämpfung und in Fällen der organisierten Kriminalität, zu identifizieren.» Aber keine Angst: «Änderungen der Sicherheitsgesetze werden die Koalitionspartnerinnen und -partner nur im Konsens vollziehen.» In Sachen «Trojaner»-Einsatz heißt das: «Der Telekommunikationsüberwachung und der Online-Durchsuchung sowie anderen grundrechtssensiblen Verschärfungen von Seiten des Bundes werden wir nur dann zustimmen, wenn die Maßnahmen nach Auffassung aller Koalitionspartnerinnen und -partner keine unverhältnismäßigen Eingriffe in Freiheitsrechte darstellen.»
Sehr präzise sind auch die Pläne der Koalition für den Umgang mit «Gefährdern». Hier «müssen die bestehenden rechtlichen Regelungen genutzt werden, um diese - wenn möglich - vorrangig in ihre Heimatländer zurückzuführen.» In diesem Zusammenhang braucht «Jamaika im Norden» gar nicht über neue Gesetze zu diskutieren, denn erstens ist das Aufenthaltsrecht Bundessache und zweitens hat die Groko die Verschärfungen bereits kurz vor Toresschluss erledigt. Ansonsten, also im Polizeirecht des Landes «wollen wir hier zu gezielten, effektiven und rechtsstaatlichen Verbesserungen im Sinne der Sicherheit kommen.» Die «elektronische Fußfessel» sei «umstritten», teilt die Koalition in ihrem Vertrag mit. «Wir werden prüfen, wie wir durch eine landesrechtliche Umsetzung der elektronischen Fußfessel die Sicherheit effektiv erhöhen, wenn ihre Geeignetheit und rechtssichere Anwendung im Hinblick auf den Grundrechtsschutz der Betroffenen gewährleistet ist.» Alles klar?
Fall 4: In Baden-Württemberg ist die grüne «Bürgerrechtspartei» die stärkere Partnerin in der Koalition mit der CDU. Letztere stellt zwar den Innenminister, aber der weise grüne Ländlesvater ist nicht minder auf Sicherheit bedacht. «Als Staat ist es unsere erste Aufgabe und Pflicht, für die Sicherheit der Menschen im Land zu sorgen», erklärte er am 17. Januar 2017, rund einen Monat nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. «Wir werden dabei besonnen handeln und den Rechtsstaat stärken.» Und weiter: «Wir werden insbesondere beim Umgang mit Gefährdern bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Möglichen gehen.»
Am 15. November beschloss der Landtag dann sein «Anti-Terror-Paket». Das geänderte Verfassungsschutzgesetz erlaubt dem Landesamt in Zukunft bei seinen Telekommunikationsüberwachungen (TKÜ) auch Trojaner einzusetzen.
Ähnliches gilt auch für die Polizei: Sie erhält nun erstens Befugnisse zur präventiven TKÜ und – damit verbunden – zur Nutzung von Trojanern (Quellen-TKÜ). Und dies nicht nur gegen vermutete «terroristische Gefährder», sondern auch zur «Abwehr von dringenden Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Sachen von bedeutendem Wert». Das zuständige Amtsgericht kann die Überwachung zunächst für drei Monate anordnen und sie dann um je einen Monat verlängern. In Baden-Württemberg können bestimmte Dinge auf ewig «dringlich» sein.
Das veränderte Polizeigesetz erlaubt zweitens auch eine «intelligente Videoüberwachung» an «gefährdeten Objekten», Kriminalitätsschwerpunkten und bei «öffentlichen Veranstaltungen und Versammlungen, wenn dort terroristische Anschläge drohen». Vorerst ist damit keine Gesichtserkennung angestrebt, sondern «nur» eine automatische Auswertung zum Erkennen von «Verhaltensmustern, die auf die Begehung einer Straftat hindeuten».
Drittens ist Baden-Württemberg nach Bayern nun das zweite Bundesland, das Aufenthaltsvorgaben und Kontaktverbote sowie die Überwachung durch «elektronische Fußfesseln» zur Verhütung von Straftaten nach § 129a StGB zulässt.
Und viertens erlaubt das Polizeigesetz nun den Einsatz von Sprengmitteln zwar nicht gegen Menschenmengen, aber gegen Personen zur Verhinderung eines Verbrechens oder eines mit Schusswaffen begangenen Vergehens sowie der Gefangenenbefreiung.
Die im ursprünglichen Entwurf ebenfalls vorgesehene Ermächtigung der Ortspolizeibehörden zum Erlass von Alkoholverboten an öffentlichen Orten wurde abgetrennt und als «Gesetz zur Abwehr alkoholbedingter Störungen der öffentlichen Sicherheit» beschlossen.
Das Paket bescherte also Schlapphüte genauso wie polizeiliche Überwacher, Rambos und Kleinstadtbürgermeister, die sicherstellen wollen, dass nur zu Hause oder in teuren Beizen (Kneipen) gesoffen wird und nicht auf ihren schönen herausgeputzten Plätzen. Es erhielt übrigens nicht nur die Stimmen der grün-schwarzen Regierungsparteien, sondern auch die der SPD-Opposition, denn schließlich hätten Grüne und CDU im Innenausschuss des Landtags «95 Prozent der Inhalte aus unseren (…) Änderungsanträgen übernommen».
Fall 5: Hessen wird nicht grün-schwarz, sondern schwarz-grün regiert. Und auch hier wird derzeit über Fußfesseln, Trojaner und einiges mehr diskutiert. Anlass dafür ist ein Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen «zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes», an den man der Einfachheit halber auch eine Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG), also des hessischen Polizeigesetzes drangeklemmt hat.
Die zentrale im SOG geplante Änderung ist die elektronische Fußfessel für «Gefährder». Trojaner muss man im SOG nicht mehr verankern. Die hessische Vorläuferkoalition aus CDU und FDP hat das schon erledigt: 2009 ermächtigte sie die Polizei zur präventiven TKÜ und ließ dann 2013 die sog. Quellen-TKÜ folgen.
Der Entwurf des Verfassungsschutzgesetzes ist dagegen eine komplette Neuformulierung. Das schwarz-grün regierte Hessen dockt im Wesentlichen an die Neufassung des Bundesverfassungsschutzgesetzes an, das die Grünen im Bundestag 2015 abgelehnt hatten. Auch hier ist in der Begründung die Rede von der Überwindung des NSU-Skandals, von mehr Transparenz etc. Versprochen wird sogar bessere Lesbarkeit, was nur als Witz gemeint sein kann, denn der Entwurf verweist ständig auf andere Gesetze und die Details werden nur verständlich, wenn man die entsprechenden Regelungen nachliest.
Der Entwurf verzichtet auch nicht auf die bisherigen Befugnisse des Landesamtes – von der Überwachung der Telekommunikation über den Großen Lauschangriff, die Ortung von Mobiltelefonen, die Auskunftsanfragen bei Post-, Telekommunikations-, Finanz- und Verkehrsunternehmen bis hin zu den beamteten und freiberuflichen Spitzeln («Verdeckte MitarbeiterInnen» und «Vertrauensleute»), die zwar keine Straftaten begangen haben und keine begehen sollen, aber es ausnahmsweise dann doch dürfen. Hinzu kommen als neue Befugnisse der Einsatz von Trojanern – und zwar sowohl zur Überwachung der Telekommunikation (Quellen-TKÜ) als auch zur «online-Durchsuchung».
Vollständige Auskunft über die eigenen Daten soll auch in Zukunft nur erhalten, wer ein «besonderes Interesse» geltend machen kann und auf einen «konkreten Sachverhalt» hinweist, sprich: sich selbst bezichtigt. Wenn «die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamtes zu befürchten ist», z.B. wenn öffentlich zu einer «Auskunftskampagne» aufgerufen wurde, soll die Auskunft gleich ganz unterbleiben.
Und zu allem Überfluss würde der Entwurf auch die Rechtsgrundlage für die Sicherheitsüberprüfung von Personen schaffen, die in Bildungsprojekten gegen Rechtsextremismus, Rassismus oder Antisemitismus tätig sind. Das Landesamt für Verfassungsschutz soll künftig dem «Hessischen Kompetenzzentrum Extremismusprävention», das die Fördergelder vergibt, personenbezogene Daten mitteilen.
Angestoßen durch die von der Groko auf Bundesebene durchgesetzten Gesetzesänderungen erleben wir also nun eine Welle der Angleichung in den Polizei- und Verfassungsschutzgesetzen der Länder. Solche Wellen hat es in den letzten Jahrzehnten immer wieder gegeben – in den 80er und 90er Jahren legitimiert mit der nebulösen Bedrohung durch «organisierte Kriminalität», danach meistens mit den Gefahren des Terrorismus. Die Unterschiede zwischen den sogenannten A- und B-Ländern in der Innenministerkonferenz, den SPD- bzw. CDU-regierten, blieben letztlich minimal.
In den letzten Jahren ist die Zahl möglicher Koalitionsmodelle gewachsen. Zwischen schwarz, rot-schwarz, schwarz-gelb, schwarz-gelb-grün, grün-schwarz sind auch dieses Mal die Unterschiede minimal. Bleibt die Frage, ob sich die rot-rot-grünen Ansätze in Thüringen und Berlin der neuen Gesetzgebungswelle entgegenstellen oder sich auch der großen grauen Koalition der Inneren Sicherheit anschließen. Gerne würden wir uns überraschen lassen.
Heiner Busch