Schriftliche Fassung einer Laudatio, gehalten auf dem Symposium „Umverteilung von Arbeit, Geschlechterdemokratie, globale Gerechtigkeit“ zum Eintritt in den Vollzeit-Unruhestand von Peter Grottian am 8. Juni 2007 am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin Roland Roth
Peter Grottian ist am 27. Mai 65 geworden, tritt mit Semesterende in den Ruhestand und seine Freundinnen und Freunde richten zu seinem Abschied ein Symposium aus, das wichtige Themen seiner Arbeit als Politikwissenschaftler am berühmten OSI der FU noch einmal aufgreift.
Ein durchaus übliches Szenario für solche Übergangsrituale, die wir alle mehr oder weniger brauchen, selbst wenn sie uns konventionell anmuten. Hier endet aber auch schon das Übliche. Denn wir haben es mit einem in vieler Hinsicht außergewöhnlichen Menschen mit außergewöhnlichen Leistungen zu tun. Wer dies über einen Freund sagt, mit dem er sich seit mehr als dreißig Jahren nicht zuletzt in wissenschaftlicher und politisch-menschenrechtlicher Absicht verbunden weiß, gerät leicht in den Verdacht, nur etwas Selbstverständliches zu sagen. Schließlich ist jede Frau und jeder Mann ein Original, unverwechselbar und einmalig – das wussten wir schon vor der entsprechenden Zigarettenwerbung, die ja ihr Geld gerade mit der Selbst-Vernichtung der „Originale“ verdient.
Nein, ich benutze dieses wertschätzend und bewundernd gemeinte Adjektiv „außergewöhnlich“, dem Ort entsprechend, durchaus bezogen auf sein Wirken als Hochschullehrer. Selbst unter den weniger werdenden linken und politisch engagierten Politikwissenschaftlern kommt Peter Grottian eine Ausnahmestellung zu. „Exot“, „Krawallschachtel“ oder „Schlachtross der Zivilgesellschaft“ lauten einige der mehr oder weniger freundlichen medialen Zuschreibungen.
Vor wenigen Jahren bescheinigte ihm ein Spiegel-Redakteur: „Peter Grottian ist ein ungewöhnlich umtriebiger Hochschullehrer. Andere Wissenschaftler freuen sich über eine schicke Festschrift zum 60. Geburtstag, bereisen ausdauernd Kongresse oder veröffentlichen dickleibige Sammelbände. Während sie schon mal ihre Beamtenpension durchrechnen, denkt Grottian über neue soziale Protestformen nach – als Normalbürger und als Professor zugleich, und so ein gestandener Politologe ist ja praktisch Experte für alles“ (Jochen Leffers, Fahrt Schwarz, Grottian zahlt – Spiegel online vom 10. Dez. 2004).
Sieht mal einmal von dem abwertenden Expertenvorbehalt ab, hat der Autor nicht unrecht. Peter Grottian vereint unwahrscheinliche Fähigkeiten: als Hochschullehrer und Wissenschaftler. Vor allem ist er seit vielen Jahren ein vielseitiger und erfolgreicher, meist erfolgreich scheiternder Bewegungs“unternehmer“, der in immer wieder neuen Initiativen, Konstellationen und Aktionsformen aktiv wird. Als Bewegungsunternehmer ist Peter Grottian längst zu einer „Marke“ geworden, mit „Exzellenz“ und klaren „Alleinstellungsmerkmalen“, um mich nur einmal von dem Jargon anstecken zu lassen, nach dem heute die Hochschulflure so penetrant müffeln.
Da er uns auf seiner Einladung versprochen hat, künftig Vollzeit für Unruhe zu erzeugen, möchte ich zunächst auf den Teil seines Wirkens eingehen, der nun allmählich gewollt/ungewollt zu Ende gehen wird.
I. Der Hochschullehrer und praktische Hochschulreformer
Mit seinem Ausscheiden verliert das OSI sicherlich einen seiner engagiertesten Hochschullehrer. Dies gilt zunächst für die Studierenden. Er hat nie einen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie im Zentrum seiner Arbeit an der Hochschule standen und stehen. Ich kenne niemanden, der so phantasievoll und unermüdlich versucht hat, die Universität zu einem lebenswerten Ort gemeinsamen Lernens, Handelns und Lebens zu machen.
Die Adressen halber Studierendenjahrgänge fanden den Weg in sein überquellendes Ringbuch, seinem ständigen Begleiter. Studierende drängeln sich vor seinem Büroraum, den er mit bunten Wänden, einem geschwungenem Schreibtischensemble, mit Obstkorb und Keksen in eine Oase in der Wüste der Funktionsräume verwandelt hat. So wie die Hochschulen insgesamt ausgesehen haben und noch immer, vielleicht noch schlimmer, aussehen, konnte und kann es Peter Grottian nicht nur um Atmosphärisches gehen.
An einige seiner Versuche, aus Hochschulen demokratische und gesellschaftlich verantwortliche, phantasievolle und produktive Lernorte zu machen, die permanente praktische Hochschulreform, sei erinnert:
1. Als Assistent 1974 an die FU gekommen und 1979 als Professor berufen ging es im ihm früh um den Kampf gegen die Berufsverbote. Er protestierte nicht nur gegen dieses Repressionsinstrumentarium, sondern schuf mit Anderen einen über viele Jahre funktionierenden „Arbeitslosenfonds“, in den Stelleninhaber einzahlten, um besonders die von Berufsverboten Betroffenen zu unterstützen. Gegenstand des Protests war die mit den Berufsverboten weit über ihre unmittelbaren Wirkung ausstrahlende Eingrenzung des Spektrums legitimen Wissens, die Einschüchterung politischen Engagements und die Produktion von Duckmäusern.
2. Lange bevor es populär wurde, machte sich Peter Grottian für Frauenförderung an der Hochschule stark und unterstützte feministische Ansätze. Die von ihm 1985 erfundene und noch heute praktizierte Professorenteilzeit (zwei oder drei Kollegen verzichten auf ein Drittel bzw. die Hälfte ihrer Stelle zugunsten eines/r Neueinzustellenden) wurde dazu verwendet, feministischen Nachwuchswissenschaftlerinnen eine Chance zu verschaffen. Das Teilzeitmodell fand auch an einigen anderen Universitäten Nachahmer.
3. Bereits Ende der 1980er Jahre initiierte Peter Grottian einen „Guide-Dozi“, der die Lehr- und Betreuungsleistungen der damals rund 100 Dozenten des OSI transparenter machte. Ihm ging es nicht zuletzt darum, die Position der Studierenden, deren legitime Ansprüche an das Lehrpersonal zu stärken. – ein Effekt, der von den inzwischen häufig obligatorischen Lehrevaluation kaum zu erwarten ist.
4. Peter Grottian war maßgeblich an der Erfindung und Umsetzung der berlin-dienlichen Nachwuchsförderung und von Frauenförderprogrammen an der FU beteiligt.
Das berlin-dienliche Stipendienprogramm, inzwischen lange abgeschafft, bot Absolventen eine Chance, mit lokal bezogenen Themen Übergänge in den Qualifizierungs- und Arbeitsmarkt zu finden und dabei gleichzeitig zur Lösung kommunaler Problemlagen beizutragen.
5. Wie kaum ein anderer Hochschullehrer hat sich Peter Grottian für die Öffnung der Hochschule für die Belange Berlins eingesetzt. Ob in U-Bahn Aktionen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus oder intervenierenden Projekten und Seminaren aller Art (zu städtischer Armut, zur Situation von Behinderten etc.) hat Peter Grottian auf eine erfahrungsorientierte Lehre orientiert, die häufig Elemente von Aktionsforschung, organizing und Kampagnenpolitik enthielten, die jenseits des Elfenbeinturms, genauer die Existenz in Rost- und Silberlauben führten. Dass dazu auch die Unterstützung von stadtpolitisch intervenierenden studentischen Projekten zählte, ist selbstverständlich.
6. Seine letzte gemeinsame Initiativen mit Wolf-Dieter Narr, in der öffentlich den Studierenden die Ablehnung von MA/BA-Studiengängen und das „alte“ Diplom empfohlen wurde, hätte beinahe die Veranstaltung an diesem Ort verhindert. Dass mit dem Bologna-Prozess eine weitgehende Verschrottung des universitären Lernens einhergeht, ist der eigentliche Skandal, der von vielen empfunden, aber öffentlich weitgehend „beschwiegen“ wird.
Mit alledem hat sich Peter Grottian nicht nur Freunde gemacht, sondern ist kräftig angeeckt. Immer wieder hat die Universitätsleitung vergeblich versucht, ihn zu maßregeln und „mäßigen“, haben sich seine Kollegen auf die Füße getreten gefühlt, weil er ihnen Privilegien und Bequemlichkeiten nehmen wollte und zum „Umverteilen“ aufforderte. Wer in einem Buchtitel die Frage stellt „Wozu noch Beamte?“ kann mit Abwehr bei der beamteten Professorenschaft rechnen. Zudem stand er konsequent auf der „falschen“ Seite, weil er es mehr mit den Studierenden und dem nicht-akademischen Personal hielt. Er hat die – freilich relativen – Privilegien eines deutschen Professors zurückgebaut wissen wollen – und für sich selbst auch durch das Teilungsmodell vollzogen.
Seinen Kollegen ist er oft kräftig auf die Nerven gegangen, hat er sie doch immer wieder damit belästigt, den zumeist gemeinsamen Normen auch Taten folgen zu lassen – innerhalb und außerhalb der Hochschule. Es dürften sich auch etliche Studierende zurückgezogen haben, weil ihnen Peter Grottians Version des „Forderns und Förderns“ zu anspruchsvoll war. Als praktischer Hochschulreformer ist Peter Grottian, wie wir alle, die daran mitgewirkt haben, weitgehend gescheitert. In Zeiten künstlich verknappter Kassen braucht es keine klassischen Berufsverbote mehr, um die Hochschulen bis zur gähnenden Bedeutungslosigkeit und Langeweile zu „mainstreamen“.
Es ist schon ein Jammer mit an zusehen, wie die kleinen linken Tupfer aus den Hochschulen in Frankfurt am Main oder Berlin oder Bremen entsorgt werden, wenn es um die Nachfolge geht. Der Frauenanteil bei den Hochschullehrerinnen dümpelt vor sich hin; die Hoffnung, mit den wenigen Frauen kämen auch die anderen Inhalte, hat nicht selten aus allzu naheliegenden Gründen getrogen. Studierende haben sich im Rattenrennen um credit points wieder in allzu brave Schülerinnen und Schüler verwandelt.
II. Der Bewegungsunternehmer
Peter Grottian ist ein Bewegungsunternehmer mit besonderem Profil. Das Wort Unternehmer ist in diesem Zusammenhang keine Verbeugung vor dem neoliberalen Zeitgeist, sondern in diesen Kontext wörtlich gemeint. Viele Engagierte von heute sind mehr oder weniger in Protestbewegungen politisiert worden. Nach Heiligendamm ist bereits von einer „Rostock-Generation“ die Rede. Die Beteiligung an Demonstrationen ist heute fast so selbstverständlich wie das Wählen. Aber Kampagnen und Demonstrationen bedürfen der Organisierung. Dies leisten meist Organisationen, wie z.B. das Komitee für Grundrechte und Demokratie oder attac.
Aber es gibt auch Einzelne, wie Klaus und Hanne Vack, die Protestmobilisierungen „erfinden“ und voranbringen. Zu diesen wenigen gehört - mit ganz eigenem Profil - Peter Grottian. Er hat zahllose Kampagnen und Initiativen anregt und mitbetrieben. Im Rückblick wird deutlich, dass sie sich auf vier übergreifende, für ihn zentrale Themen konzentrieren: Arbeit: „Da kommen echt Arbeitsplätze rüber!“ gehört zu den viel zitierten Worten von Peter Grottian, der immer wieder den Zugang zu sinnstiftender Arbeit eingefordert hat.
Es begann vermutlich mit der öffentlichen Kritik an ÖTV-Tarifrunden, nicht zuletzt weil zumeist die Arbeitslosen dabei „vergessen“ wurden. Es folgten Umverteilungsvorschläge an die Adresse der Gutverdienenden im öffentlichen Dienst, zur Stärkung der Beschäftigungspotentiale n Alternativ- und Selbsthilfeprojekte, in den letzten Jahren geht es immer wieder um Alternativen zu Hartz IV (Agenturschluss, Initiative gegen Zwangsumzüge etc.). Gender: Neben der Erwerbsarbeit ging und geht es Peter Grottian auch immer um die „schmutzige Wäsche“, d.h. die alltäglichen Formen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, wenn er z.B. mit Studierenden „alternative Beziehungsverträge“ ausarbeitet, neue Lebensmodelle entlang von Geschlechterdemokratie fordert oder das zarte Pflänzchen Männerforschung unterstützt. Soziale Ausgrenzung:
Das Engagement gegen Armut und Ausgrenzung ergibt sich daraus folgerichtig: Betteldemos für den Erhalt des Sozialtickets, Unterstützung der Erwerbslosenproteste etc. Berliner Stadtpolitik: Als Berliner Bürger hat sich Peter Grottian immer wieder „in die eigenen Belange“ eingemischt – ob bei Instandbesetzungen, in der Debatte über Staatsknete für Alternativbetriebe, zur Aufklärung des Bankenskandals, mit dem aktuellen Bürgerbegehren gegen die Privatisierung der Wasserbetriebe oder im Berliner Sozialforum. In den erwähnten Initiativen, die nur eine kleine Auswahl darstellen, ist es Peter Grottian gelungen, Mitstreiter zu aktivieren, sie zu „vernetzen“, Bündnisse zu schmieden.
Er hat dabei eine eigene „Handschrift“ entwickelt, die aus sechs Merkmalen besteht:
1. Riskante, aber zivile Formen der Protests: Gerade weil der Wirkung von großen „Latschdemos“ in der Regel bescheiden bleibt, drängt Peter Grottian immer wieder zu riskanteren Formen des Engagements. Dazu gehören z.B. das Instandbesetzen von leerstehenden Wohnungen oder von funktionslosen Arbeitsämtern, die Entzäunung von Asylbewerberunterkünften oder das Schwarzfahren für den Erhalt des Sozialtickets. Ein Effekt stellte sich häufig ein: Der empörte Ruf bürgerlicher Medien und Kollegen: „Darf ein deutscher Professor zu so etwas aufrufen, muss der Dienstherr da nicht einschreiten!“
2. Neigung zur dramatischen Zuspitzung: Sie zeigt sich in vielen Erklärungen, aber auch in den Aktionsformen, wie z.B. an der Aufforderung, einen möglichen Hungerstreik von Hartz IV-Betroffenen zu unterstützen.
3. Lust an der Inszenierung: Wer Peter Grottian als öffentlichen Akteur erlebt, macht auch Bekanntschaft mit dessen schauspielerischen Fähigkeiten, mit seiner Inszenierungslust, zu der z.B. Auftritte im klerikalen Kostümen gehören. Erinnert sei nur an den gemeinsamen Auftritt mit Peter Grohmann in der Nähe des Brandenburger Tors, bei der u.a. eine Waffensegnung den höchst einsamen Protest gegen die geplante Landesverteidigung am Hindukusch zum Ausdruck bringen sollte.
4. Starke Medienorientierung und Medienpräsenz: Früher als andere hat Peter Grottian aus dem Umstand Konsequenzen gezogen, dass Protest nur existiert, wenn über ihn berichtet wird. Umfangreiche Ordner mit Presseberichten sprechen eine eindeutige Sprache. Er hat bei seinen Initiativen und öffentlichen Auftritten einen Blick für die Medienresonanz von sozialen Bewegungen entwickelt.
5. Pragmatische Umsetzungen: Auffällig ist Peter Grottians Bestreben, dass selbst bei den utopischsten und radikalsten Fernziele immer auch etwas Konkretes und Praktisches herauskommen soll. Von „Verwirklichungssucht“ hat Wolf-Dieter Narr in seinem Geburtstagsbrief gesprochen. Immer geht es Peter Grottian auch um konkrete Adressaten, er will nicht nur den Mond anbellen, sondern praktische Ergebnisse erzielen (Beispiel: Umverteilungsvorschläge).
6. „Radikaler Reformismus“: Dieses von Joachim Hirsch formulierte widerspruchsreiche Konzept kennzeichnet wohl am besten das Profil des Grottianschen Bewegungsunternehmertums. Radikal in den Formen, aber auch um der Sache willen bereit zu pragmatischen Aktionen. Dazu können auch konventionelle Wege (Bürgerbehren, Briefe an Abgeordnete) gehören, wenn sie denn die Aussicht auf Erfolg verbessern. Zeigen sich die Adressaten widerständig, setzt die Suche nach radikaleren wirksameren Formen des Protests ein. Für utopische, radikal menschenrechtliche Alternativen (etwa in der Aufhebung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung) hat sich Peter Grottian stark gemacht, er ist aber immer interessiert an der Umsetzbarkeit seiner Vorschläge. Radikaler Reformismus ist stets eine Gratwanderung. Den Radikalen fehlt der konsequente Antikapitalismus und die radikale Staatskritik, den Reformern sind die Vorschläge zu utopisch, die Bürgerlichen stoßen sich an den Aktionsformen und daran, dass sich da ein Professor nicht auf seine Präsenz in gepflegten Talkshows beschränkt.
Überhaupt hat sich Peter Grottian mit seinem Engagement nicht nur Freunde gemacht. Er ist bei vielen Gewerkschaftern unten durch, weil er sie öffentlich kritisiert hat. Autonome aus der Kreuzberger Szene waren es vermutlich, die Peter Grottians Auto abfackelten, weil sie seine Bemühungen um einen alternativen 1. Mai nicht schätzten. Mit der Grunewald-Demo zu den Vorstands-Villen der Bankgesellschaft dürfte er auch einige seiner heimlichen Fans im Nobelviertel verloren haben, jene die sich nicht bereits zuvor heftig gegen seinen Vorschlag verwahrten, der Zeichner der unsittlich-faulen Promi-Fonds möchten diese doch zum öffentlichen Nutzen zurückgeben und ihnen die Veröffentlichung ihrer Namen ankündigte. „Schau nicht in mein Portfolio“, lautete die empörte Devise bei zu Geld gekommenen „Alt-Linken“.
III. Der kritische Wissenschaftler
Peter Grottian als Wissenschaftler. Viele Kollegen aus der Zunft fehlen bei diesem Abschiedskolloquium. Für sie ist Peter Grottian kein Wissenschaftler, er war zu viel auf der Straße und hat zu wenig in reviewed journals publiziert. Er hatte und hat andere, durchaus wissenschaftliche Schwerpunkte. Wer Peter Grottian näher kennt, weiß dass er auf wissenschaftliche Begründungen, Analysen, Erkenntnisse großen Wert legt, also kein „Anti-Wissenschaftler“ ist.
Sehr wohl auf Distanz befindet er sich zum konventionellen Wissenschaftsbetrieb, zu einer sich zu Tode akademisierenden Politikwissenschaft einerseits, und einem das Ohr der Herrschenden suchenden, machiavellistisch inspirierten Hofschranzentum andererseits, das bei einem Frühstück mit Frau Merkel und einem Auftritt bei Christiansen seine Erfüllung findet. Seine eher konventionellen, allerdings durchaus kapitalismuskritischen Anfänge als Staats- und Verwaltungswissenschaftler haben andere Orientierungen nahe gelegt. In seinen „Strukturproblemen staatlicher Planung“ (1974) hat Peter Grottian auch eine empirische Analyse der Mentalitäten in der Bonner Ministerialbürokratie vorgelegt, die nach einem „Daumenpeilverfahren“ arbeitete statt wissenschaftlich informierte Planung zu betreiben. Seine Hoffnung, durch Wissenschaft, direkt auf Entscheidungsprozesse Einfluss nehmen zu können, hielt sich seither verständlicher Weise ebenso in Grenzen, wie sein Vertrauen in staatliche Handlungsfähigkeit und –bereitschaft.
Stattdessen hat Peter Grottian einen Typus von Politikwissenschaft geprägt, der stark von der Aktionsforschung inspiriert ist und dessen Wissen auf direktes eingreifendes Verändern angelegt ist. Ihm ist das Schicksal vieler seiner auf die Profession setzenden Kolleginnen und Kollegen erspart geblieben, wie es vor wenigen Wochen sehr eindrucksvoll Heidrun Abromeit, selbst lange Zeit eine Schlüsselfigur der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft, in ihrer Abschiedsvorlesung kritisiert hat1. Sie beklagt nicht nur die Unfähigkeit der Politik, die großen ökologischen und sozialen Probleme anzugehen, sondern liest auch der Politikwissenschaft, nicht zuletzt sich selbst, die Leviten.
Ihr Tenor lautet, die Politikwissenschaft habe nichts zur Problemlösung anzubieten, weil sie u.a. so banale Fakten wie Herrschaftsverhältnisse ausblende. „Als Demokratieforscher ermitteln wir akribisch Unterschiede der Demokratie-Qualität...und klammern die Frage nach der Möglichkeit von Demokratie im Kapitalismus aus“(5). Weil das Denken in Alternativen verweigert werde, habe sich die Zunft zu einem selbstreferentiellen System entwickelt: „Immer dieselben Autoren zitieren sich gegenseitig und erzählen einander immer die selben Geschichten“(6). Ihr affirmativer Charakter nehme unheimliche Züge an: „Zu einer Zeit, in der unsere Zukunft auf dem Spiel steht, ist die Botschaft: Ihr müsst nur genau hinsehen, dann werdet ihr feststellen, es ist gar nicht so schlimm“(6).
Peter Grottian hat sich früh gegen diese schleichende Selbstzerstörung von Wissenschaft als kritischer, öffentlich wirksamer Instanz gewendet. Stattdessen hat er immer wieder interventionstaugliches Wissen produziert und produzieren helfen, das die Möglichkeit von gesellschaftlichen Alternativen offen hält, und sich an der Formulierung konkreter Utopien bis hin zu nur scheinbar banalen Lösungen beteiligt. Zum Schluss möchte ich zwei Eigenschaften hervorheben, die Peter Grottian als Person vor allem auszeichnen: - Das Sich-Kümmern als „feministische“ Ader (caring) in Form einer unendlichen, gelegentlich selbstvergessenen Hilfsbereitschaft, die er in alle seine Lebensbereiche einbringt. - Seine barocke Lebenslust, die wissenschaftliche Projektarbeit und politisches Engagement sinnlich bereichert und seine Vernetzungsangebote so spaßvoll macht. In diesem Sinne wünschen wir ihm und uns einen guten Start in den von ihm angekündigten „Vollzeit-Unruhestand“. _______________ 1 Heidrun Abromeit, Gesellschaft ohne Alternativen. Zur Zukunftsunfähigkeit kapitalistischer Demokratien, Working Paper Nr. 11, TU Darmstadt, Institut für Politikwissenschaft, April 2007