06. Nov. 2024 © picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow
Abolitionismus / Demokratie / Frieden/Pazifismus / Menschenrechte / Nationalismus & Neue Rechte / Polizeigewalt / Repression / Strafrecht / Versammlungsrecht

Offenen Brief für einen Alternativentwurf zur Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland gezeichnet

Als Reaktion auf den von CDU/CSU und Ampelparteien in den Bundestag eingebrachten Resolutionsentwurf "Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken" und das intransparente und undemokratische Verfahren seiner Entstehung ist eine breit getragene zivilgesellschaftliche Initiative entstanden, die den von den Parteien geplanten Resolutionstext und seine repressive Ausrichtung zurückweisen. 

Die vielfach geäußerte Kritik von Jurist*innen, jüdischen Intellektuellen, israelischen Menschenrechtsorganisationen, sowie aus Wissenschaft und Kultur wurde von einer Gruppe verschiedener Wissenschaftler*innen in konkrete Formulierungsvorschläge übersetzt. Sie sprechen sich für inklusive Wege aus, Jüd*innen und Juden zu schützen, und fordern eine öffentlich geführte Debatte über den richtigen Umgang mit dem wichtigen Thema, anstelle einer schnellen und intransparenten Abstimmung. Als Grundrechtekomitee haben wir mit vielen weiteren Organisationen und Einzelpersonen den folgenden Offenen Brief gezeichnet, der Kritik an dem Vorhaben aus dem Parteienspektrum übt und die Alternativvorschläge unterstützt:

Wir, unterschiedliche zivilgesellschaftliche Akteur:innen, Wissenschaftler:innen, Jurist:innen sowie Kunst- und Kulturarbeiter:innen, begrüßen die Formulierungsvorschläge zur Resolution zum Schutz jüdischen Lebens. Uns beunruhigt seit einigen Jahren, spätestens mit dem Aufstieg der AfD, der Anstieg von antisemitischen, antimuslimischen, rassistischen, misogynen und queerfeindlichen Entwicklungen in unserem Land. 

Autoritäre und rechtsextreme Tendenzen intensivieren die Vergiftung unseres gesellschaftlichen Klimas, wodurch Solidarität und Wohlwollen über ethnische und religiöse Grenzen hinweg erschwert werden. Ein Teil dieser Dynamiken ist der Angriff auf die konstitutionellen Grundlagen des Rechtsstaates, darunter das Gleichbehandlungsgesetz und die Grund- und Menschenrechte.

Alldem stellen wir uns aktiv entgegen. Wir begreifen die Verteidigung von Grundgesetz und Demokratie und die Bekämpfung von Diskriminierung durch Antisemitismus und Rassismus als gesellschaftliche und politische Aufgaben, die sich gegenseitig bedingen und intrinsisch zusammengehören. 

Das Leben und die Sicherheit aller Menschen gleich welcher Herkunft, Identität oder Religionszugehörigkeit muss in Deutschland allumfassend geschützt sein; das ist unsere verfassungsmäßige Pflicht sowie unser Auftrag angesichts unserer besonderen historischen Verantwortung gegenüber Jüdinnen und Juden und anderen Minderheiten in Deutschland. Rechtliche und moralische Sanktionierung reichen nicht aus, um Antisemitismus und anderer gruppenbezogener Diskriminierung wirksam zu begegnen - dafür braucht es das pluralistische Selbstverständnis und den Einsatz einer demokratisch gestärkten Zivilgesellschaft. 

Erfolgreich kann das nur im Rahmen eines Rechtsstaats funktionieren, der Grundrechte schützt und Räume für Verhandlung und kollektive Meinungsbildung öffnet. Wir setzen uns als aktive Zivilgesellschaft für eine solche plurale Demokratie ein. Wir begrüßen daher politische Vorhaben, Ansätze und Projekte, die sich dem Minderheitenschutz verpflichten und Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und jede Form von Diskriminierung vorbeugen und bekämpfen. 

Daher begrüßen wir die in der FAZ veröffentlichten Formulierungsvorschläge zur Resolution zum Schutz jüdischen Lebens. Sie erscheinen uns als wertvoller Ausgangspunkt für die wichtige Debatte darüber, wie Staat und Zivilgesellschaft jüdisches Leben in Gänze und im Rahmen des Rechts schützen können, ohne Minderheiten gegeneinander auszuspielen, weil sie:

  • die Menschenwürde aller Menschen anerkennen, diskriminierte Bevölkerungsgruppen nicht gegeneinander ausspielen und damit einen realen Minderheitenschutz zulassen,
  • Diskriminierungsstrukturen in ihren intersektionalen Verflechtungen in den Blick nehmen und ihnen entgegensteuern,
  • auf Eigenverantwortung und Mitgestaltung setzen,
  • grundgesetzkonform sind,
  • statt auf unsichere Definitionen auf konkrete Handlungen (Sensibilisierung, Förderung, Bildung, Reform des AGG, etc.) setzen,
  • ein breites Bewusstsein für die Notwendigkeit politischer Bildung und Strukturarbeit schaffen

und damit nachhaltig jüdisches Leben ebenso wie das anderer marginalisierter Gruppen schützen.

Die Anerkennung und Förderung gesellschaftlicher Pluralität in all ihren Aspekten gelten als eines der höchsten Güter jeder Demokratie. Dies schließt den Schutz jeglicher Minderheiten ein. Sofern eine Resolution weiterhin als das geeignete Mittel für Diskriminierungsschutz erscheint, setzen wir uns hiermit dafür ein, dass diese Formulierungsvorschläge in die Diskussion einbezogen und in wesentlichen Teilen - und aufbauend auf weitere öffentliche Debatten - anstelle des bisherigen Resolutionsentwurfs übernommen werden.

Einordnung durch die Verfasser:innen der Formulierungsvorschläge:
https://www.faz.net/einspruch/exklusiv/antisemitismus-in-deutschland-debatte-um-bundestagsresolution-110063856.html?share=Email&gift&premium=0x05695151a6c949fa1e712de1b7e1e6772eb32beca378ef329ab411948110be9b

Die alternativen Formulierungsvorschläge:
https://www.faz.net/einspruch/nachrichten/vorschlag-zur-bundestagsresolution-gegen-antisemitismus-110063906.html
 

Der Offene Brief kann weiterhin gezeichnet werden: https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLScyErqrcDRrzrZ1EPuk6iX9x10g8JrwishN2rlnAhRyYZQwPg/formResponse