Offener Brief an die Innenminister der deutschen Bundesländer und an den Bundesinnenminister
Sehr geehrte Damen und Herren, am 16. und 17. November werden Sie sich in Nürnberg zusammensetzen und eine Bleiberechtsregelung für bisher geduldete Flüchtlinge beschließen. Im Vorfeld dieser Entscheidung werden derzeit auch von Ihnen mögliche Kriterien einer Bleiberechtsregelung diskutiert. Dabei zeichnet sich eine zunehmend restriktive Tendenz ab, die dazu führen würde, dass nur eine kleine Minderheit der Dauergeduldeten von der Bleiberechtsregelung profitieren würde.
Ohnehin stehen viele der in die Diskussion eingebrachten Kriterien, die im Kern darauf hinauslaufen, dass Flüchtlinge integriert sein müssen, um ein Bleiberecht zu erhalten, in völligem Widerspruch zu den zur Zeit geltenden schlechten gesetzlichen Bedingungen für die Geduldeten. Denn diese zielen ja gerade darauf ab, Flüchtlinge auszugrenzen statt sie in unsere Gesellschaft zu integrieren.
Von den über 180.000 Geduldeten leben schätzungsweise 120.000 schon länger als fünf Jahre in Deutschland (Kettenduldungen). Hinzu kommen 20.000 Asylbewerber, die sich seit fünf Jahren im Asylverfahren befinden. Werden die diskutierten Restriktionen verabschiedet, werden nur wenige dieser bislang Geduldeten eine Aufenthaltserlaubnis erhalten - nach Schätzungen des Bayerischen Innenministeriums lediglich 20.000 bis 30.000, womit sich für die übergroße Mehrheit der seit Jahren in Deutschland lebenden Flüchtlinge die schon bisher unhaltbare Situation nicht nur nicht verbessern, sondern deutlich verschlechtern würde, weil sie noch stärker als bisher unter den Druck geplanter, aber nicht vollziehbarer Abschiebung gesetzt werden.
Das ist menschenrechtlich inakzeptabel! Trotz unserer weit darüber hinausgehenden Forderungen nach einem menschenrechtsgemäßen Umgang mit allen Flüchtlingen, fordern wir Sie - gemeinsam mit vielen anderen Institutionen und Organisationen, darunter Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften sowie Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen - auf, die Bleiberechtsregelung nicht als Minimallösung zu beschließen.
Das bedeutet konkret u.a. folgendes:
• Die bisher geduldeten irakischen Flüchtlinge dürfen nicht von einer Bleiberechtsregelung ausgeschlossen werden.
• Der Kreis der Begünstigten darf nicht zu eng gefasst werden: Von der Bleiberechtsregelung dürfen nicht nur die Duldungsinhaber, sondern müssen auch die Inhaber einer Aufenthaltsgestattung erfasst werden.
• Nicht nur Familien mit schulpflichtigen Kindern müssen nach sechsjährigem Aufenthalt ein Bleiberecht erhalten, sondern auch Eltern mit erwachsenen Kindern und Familien mit Kleinkindern, ohne dass sie – wie vorgesehen – unter eine achtjährige Frist als Voraussetzung für das Bleiberecht fallen. Wer länger als fünf Jahre in der Kettenduldung gelebt hat, muss bleiben dürfen.
• Geduldete, die als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland eingereist sind, müssen bereits nach zweijährigem Aufenthalt ein Bleiberecht erhalten. • Es widerspricht dem Sozialstaatsprinzip, diejenigen aus der Bleiberechtsregelung auszuschließen, die aufgrund ihrer besonderen Lebenslage ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Erwerbstätigkeit finanzieren können. Gerade sie abzuschieben, obwohl sie fest in dieser Gesellschaft verwurzelt sind, ist inhuman.
• Der Ausschlussgrund wegen strafrechtlicher Verurteilungen von mindestens 50 Tagessätzen – wie teilweise vorgeschlagen – bedeutet in der Praxis, dass in großer Anzahl ausländerrechtliche Delikte, insbesondere die so genannte Residenzpflichtverletzung, zum Ausschluss von einer Bleiberechtsregelung führen würden.
Auch hier gilt: Die aktuellen, gesetzlich normierten Lebensbedingungen von geduldeten Flüchtlingen laufen geradezu darauf hinaus, dass viele Flüchtlinge an der Messlatte von Wohlverhalten und Integration scheitern müssen.
Das Komitee für Grundrechte und Demokratie fordert Sie deshalb auf, eine Bleiberechtsregelung zu beschließen, die diesen Namen zumindest schon deshalb verdient, weil die Kriterien für die langjährig hier lebenden Flüchtlinge erfüllbar sind. Wir wissen und kritisieren zugleich, dass jede auf Kriterien beruhende Regelung zu einer menschenrechtlich inakzeptablen Unterscheidung innerhalb der Gruppe der betroffenen Flüchtlinge führt. Für diejenigen Flüchtlinge, die nicht unter diese Kriterien fallen, verschlechtert sich die Situation in dem Maße, wie sie sich für die andere Gruppe verbessern mag.
Die Forderung nach einer Bleiberechtsregelung, die auf dürftigen humanitären Mindeststandards beruht, bedeutet deshalb kein Einverständnis zu einem sich nicht mehr an menschenrechtlichen Standards orientierendem Umgang mit den Flüchtlingen, die nicht von dieser Regelung profitieren werden. Im Gegenteil: Sie bedürfen dann unserer besonderen Aufmerksamkeit und unseres Schutzes vor inhumanen Lebensbedingungen.
Mit freundlichen Grüßen!
Theo Christiansen (geschäftsführender Vorstand)
Köln, 10.11.2006