Über fast alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche in Deutschland werden detaillierte Statistiken geführt. Die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland jedoch ist unbekannt. Weil es eine solche offizielle Wohnungslosenstatistik nicht gibt, schätzt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG-W) alle zwei Jahre die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland.
12.563.177 Rinder gab es am 3. Mai 2016 in Deutschland, auch die Zahl der Legehennen (40.624.047) und ihre Legeleistung (0,79 Eier pro Tag) werden statistisch erfasst. 447.177.524 Übernachtungen wurden in 2016 in deutschen Beherbergungsbetrieben erhoben und getreulich an das Statistische Bundesamt gemeldet. 41.703.300 Wohnungen wurden zum Jahresende 2016 gezählt. Über fast alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche in Deutschland werden detaillierte Statistiken geführt. Die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland jedoch ist unbekannt. Weder die Wohnungslosen, die ohne jeden Schutz obdachlos auf der Straße leben, noch die Wohnungslosen, die in kommunalen Unterkünften oder Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege notdürftig mit einem Obdach versorgt sind, werden bundesweit statistisch erfasst.
Weil es eine solche offizielle Wohnungslosenstatistik nicht gibt, schätzt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG-W) alle zwei Jahre die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland. Am 14. November 2017 wurde die jüngste Schätzung veröffentlicht und hat große mediale Resonanz hervorgerufen: Demnach waren 2016 ca. 860.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung, davon ca. 52.000 Menschen ohne jede Unterkunft auf der Straße. Ob diese Schätzung einigermaßen zutreffend ist oder nicht – unbestritten ist jedenfalls, dass die Zahl der Menschen ohne Wohnung in Deutschland seit einigen Jahren kräftig ansteigt. Die Zuwanderung nach Deutschland hat die Situation in den letzten drei Jahren deutlich verschärft. Die tieferliegenden Ursachen sind aber älter: Hierzu zählen die seit Jahrzehnten weitgehend fehlende soziale Ausrichtung der Wohnungspolitik, die Abnahme des belegungsgebundenen Wohnungsbestandes, die Privatisierung von Wohnungsbeständen, stark steigende Mieten, die Flucht ins „Betongeld“ nach der Finanzkrise. Aber auch die Vernachlässigung der Prävention von Wohnungsverlusten in vielen Regionen, die Schwäche von Programmen, die besonders Benachteiligte gezielt mit Wohnraum versorgen, und nicht genügend ausgebaute soziale Dienste, die Haushalte in Wohnungsnot unterstützen. Viele Gruppen werden vom Wohnungsmarkt weitgehend ausgegrenzt, sei es weil sie arm sind, oder aufgrund von Vermutungen über mangelnde Vertragstreue und Anpassungsfähigkeit oder schlicht weil sie Migranten/innen oder wohnungslos sind.
Einige Bundesländer erstellen Wohnungslosigkeitsstatistiken und beweisen damit, dass es möglich ist, auch zur Wohnungslosigkeit einigermaßen verlässliche Daten zu erheben. Die Bundesregierung jedoch hat sich jahrzehntelang der Forderung widersetzt, eine Bundesstatistik über die Zahl der Wohnungslosen im Land zu erstellen. Kurz vor der Bundestagswahl schien Bewegung in die Sache zu kommen – ob eine neue Regierung eine Statistik einführt, kann aktuell als völlig offen gelten.
In der jahrelangen Weigerung der Bundesregierung wird die Ignoranz einer Politik des Nicht-Wissen-Wollens deutlich; ein Nicht-Wissen-Wollen, welches wiederum zur Passivität des Bundes bei der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit passt. Aufschlussreich für die Frage, warum die Bundesregierung sich einer Wohnungslosenstatistik widersetzt, ist auch eine Äußerung vom November letzten Jahres (Deutscher Bundestag Drs. 18/10443: S. 35f): Die Bundesregierung sei für Wohnraumförderung und soziale Hilfen gar nicht zuständig und Wohnungslosigkeit sei „vielfach“ nicht in fehlendem Wohnraum, sondern „in der Regel“ individuell und psycho-sozial begründet. Für die Bundesregierung liegen die Ursachen also überwiegend im Individuum. Mit dieser Aussage wird nicht nur die statistische Erfassung von Wohnungslosigkeit abgelehnt, sondern auch ein Verständnis von Wohnungslosigkeit als Folge von Armut, mangelnder Wohnungspolitik und sozialer Exklusion.
Das ist ein altes Argumentationsmuster, das Peter Marcuse vor vielen Jahren als „Neutralisierung der Wohnungslosigkeit“ beschrieben hat: Weil eine an den Ursachen ansetzende und durchgreifende Bekämpfung der Wohnungslosigkeit gravierende Veränderungen der politischen Agenda und das Eingeständnis des Scheiterns der Wohnungsmärkte voraussetzte, wird das Problem kleingeredet, wird den Wohnungslosen die Verantwortung für ihre Situation zugeschoben (blaming the victim) und Wohnungslosigkeit zum speziellen Problem besonderer Gruppen (psychisch Kranke, vermeintlich Wohnunfähige, Süchtige, Haftentlassene) gemacht, statt die zentralen Ursachen Armut, falsche Wohnungspolitik und ungenügende soziale Dienste in den Blick zu nehmen.
Gegenüber der Hoffnung mancher, dass die Einführung einer bundesweiten Wohnungslosenstatistik gleichzeitig ein entscheidender Schritt zur Übernahme politischer Verantwortung für das drängende Problem Wohnungslosigkeit sei, ist allerdings Skepsis angezeigt.
Ein nachhaltiger Abbau der Wohnungslosigkeit ist nur zu erreichen, wenn tatsächlich eine entschieden sozialere Wohnungspolitik durchgesetzt werden kann, wenn größere Wohnungsbestände vom Marktsystem abgekoppelt werden und in einem bedarfsorientierten System direkt an Bedürftige zu einem erschwinglichen Mietpreis vergeben werden können. Biographische Krisen- und Umbruchsituationen wie die Trennung von Partnerschaften, Migration, konflikthafte und abrupte Lösung aus dem Elternhaus oder psychische Erkrankungen können, gerade wenn sie arme Menschen ohne starkes soziales Umfeld treffen, zu Wohnungslosigkeit führen. So entstandene Wohnungslosigkeit dauert aber nur dann länger an, wenn soziale Hilfen fehlen und keine preisgünstigen Wohnungen zugänglich sind oder Kommunen keine solchen Wohnungen vergeben können.