Wer zukünftig behauptet, die NPD vertrete „ein auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept“, wolle „die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten >Volksgemeinschaft< ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen“, und ihr politisches Konzept missachte „die Menschenwürde und sei mit dem Demokratieprinzip unvereinbar“, wobei die NPD auch „planvoll und mit hinreichender Intensität auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele“ hinarbeite, der kann sich dafür nun auch auf das Bundesverfassungsgericht berufen.
Na und? Das Urteil ändert nichts. Um die NPD als Demokratie-feindlich und antisemitisch zu kritisieren, hat es schon bisher keinen Urteilsspruch aus Karlsruhe gebraucht. Und das lange Urteil wird auch niemanden von der Behauptung abhalten, in der NPD organisierte Neonazis ag(it)ierten auf dem Boden des deutschen Grundgesetzes.
Die Möglichkeit, eine Partei ,verbietenʻ zu lassen, präziser: sie vom BVerfG als „verfassungswidrig“ deklarieren zu lassen, basiert auf Art. 21 Abs. 2 GG. Der lautet: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“
Grundgesetz Artikel 21 Absatz 2
Das Parteienverbot sei die "schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde", sagt das BVerfG. Es ist ein Element der "wehrhaften Demokratie", die nach 1945 als Lehre aus dem deutschen Faschismus konzipiert wurde. Eine ̶ vorsichtig ausgedrückt ̶ problematische Lehre: Zumindest in der historischen Rückschau erscheint es einigermaßen bizarr anzunehmen, ein Reichsverfassungsgericht hätte ̶ ‚bewaffnet‘ mit dem scharfen Schwert des Parteienverbots ̶ den Aufstieg der NSDAP stoppen können oder auch nur wollen. Die Weimarer Justiz hatte diesbezüglich auch in anderer Hinsicht eklatant versagt, so wie sie sich im Kampf gegen links ebenso eklatant bewährt hatte. Und spätestens seit dem KPD-Verbot von 1956 war klar, was sich die BRD mit der Möglichkeit des Parteienverbots eingehandelt hatte.
Ob es vor diesem historischen Hintergrund überhaupt eine gute Idee war, das Verbot der NPD beim BVerfG zu beantragen, erscheint doch – wenn auch im Kontext der Aufdeckung der terroristischen NSU-Mordserie Ende 2011 nachvollziehbar – sehr fraglich, ganz abgesehen davon, dass bereits der erste Anlauf 2003 gescheitert war. Vielleicht waren Bundesregierung und Bundestag ja gut beraten, der Länderinitiative (allen voran Mecklenburg-Vorpommern) von 2013 nicht beizutreten.
So konnte man sich nach einem Scheitern (wie geschehen) distanzieren, wobei auch oberlehrerhafte Kommentare nicht ausblieben. Wie dem auch sei: Der zweite Versuch, die NPD verbieten zu lassen, ist ebenfalls gescheitert. Diesmal immerhin nicht, weil der Staat selbst (durch V-Leute etc.) zu sehr in die Parteistrukturen verstrickt war, sondern – was nicht unbedingt vorhersehbar war – weil das BVerfG einerseits das Kriterium der „Potentialität“ entwickelte, das beim KPD-Verbot (noch) keine Rolle spielte (s.u.), und weil andererseits das Vorliegen dieses Kriteriums im konkreten Fall (Zustand/Potenzial der NPD anno 2016/17) verneint wurde:
„Das politische Konzept der NPD ist auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet. […] Einem Verbot der NPD steht aber entgegen, dass das Tatbestandsmerkmal des >Darauf Ausgehens< i.S.v. Art. 21 Abs. 2 S. 1 GG nicht erfüllt ist. Die NPD bekennt sich zwar zu ihren gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Zielen und arbeitet planvoll auf deren Erreichung hin, so dass sich ihr Handeln als qualifizierte Vorbereitung der von ihr angestrebten Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellt. Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen. Weder steht eine erfolgreiche Durchsetzung dieser Ziele im Rahmen der Beteiligung am Prozess der politischen Willensbildung in Aussicht, noch ist der Versuch einer Erreichung dieser Ziele durch eine der NPD zurechenbare Beeinträchtigung der Freiheit der politischen Willensbildung in hinreichendem Umfang feststellbar.“
Wer dem Instrument des Parteienverbots mit guten Gründen kritisch gegenüber steht, dürfte es grundsätzlich (wenn auch gewissermaßen systemimmanent) begrüßen, dass das BVerfG – auch unter Berufung auf Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – die dafür erforderlichen Voraussetzungen verschärft hat. Die inkriminierte Partei muss danach nicht nur „darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen“, sondern es bedürfe auch „konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen“. Art. 21 Abs. 2 GG ziele zwar darauf ab, nach der Maxime „Wehret den Anfängen“ frühzeitig die Möglichkeit des Vorgehens gegen eine verfassungsfeindliche Partei zu eröffnen, so das BVerfG wörtlich, aber nur – nicht frei von Widersprüchen – wenn sie über „hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügt, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen, und wenn sie von diesen Wirkungsmöglichkeiten auch Gebrauch macht“.
Erst wenn die Demokratie bereits real bedroht wird (ohne dass sie schon „konkret gefährdet“ ist), darf eine verfassungsfeindliche Partei demnach verboten werden, wenn sie also etwa bedeutende Wählermassen hinter sich bringen und entsprechend viele Mandatsträger in EU, Bund, Ländern und Kommunen vorweisen kann. Aber gerade in dieser Hinsicht erweist sich die ganze Absurdität des Ansatzes, was derzeit zu beobachten ist: Je größer die Wähler- und Anhängerschaft rechter Gruppierungen (GIDA-Bewegung; AfD etc.), je mehr greift im realpolitischen und medialen mainstream die Auffassung um sich, es handle sich nicht um rechten Extremismus, sondern nur um ‚berechtigte Sorgen‘ in der allzu großen ‚Mitte der deutschen Gesellschaft‘. Dass es personell, organisatorisch und inhaltlich fließende Übergänge gibt, in denen auch die NPD weiterhin eine wichtige Rolle spielt (auch insoweit ist das sehr ausführlich begründete Urteil aus Karlsruhe streckenweise durchaus lesenswert) … dem kommt man mit einem Partei-Verbotsverfahren gerade nicht bei.
Was ein BVerfG in Zukunft davon abhalten würde, eine kommunistische Partei zu verbieten (die GroKo für einen entsprechenden Antrag würde sich wohl finden), ist auch nach dieser NPD-Entscheidung nicht sicher vorherzusagen. Die Karlsruher Verfassungshüter geben zwar – selbstkritisch? – zu erkennen, dass sie von der im KPD-Urteil 1956 entwickelten Linie abweichen, es stehe einem Verbot nicht entgegen, wenn für die Partei nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können. Und doch hinterlässt das NPD-Urteil den faden Beigeschmack von zweierlei Maß:
Der Faschismus war erst wenige Jahre überwunden und schon stand – für kalte Krieger allemal – der Feind wieder links, während nicht nur die rechten Ränder aus dem Blick gerieten, sondern vor allem die Nazis in den eigenen Reihen: Die zu spät eingeräumten Fehler der NS-Aufarbeitung gerade auch in der (und durch die) Justiz hatten nach 1989 bekanntlich Funktionsträger der ehemaligen DDR auszubaden; und von dem (zu) späten Eingeständnis der Verfassungswidrigkeit des KPD-Urteils profitiert nun die NPD: Ein Schelm …
(nur am Rande: Eines Verbots der Sozialistischen Reichspartei/SRP durch das BVerfG im Jahre 1952 hätte es in Anbetracht des Kontrollratsgesetzes Nr. 2 gar nicht bedurft.
Es stellt sich rückblickend eher dar als Kosmetik im Ausgewogenheitsdogma der selbst erklärten Mitte im üblichen links/rechts-Schema.)
Nachtrag: In seiner Einführung zur Urteilsverkündung deutete der Präsident des BVerfG, wie berichtet wurde „Handlungsspielräume des Gesetzgebers bei der Parteienfinanzierung“ an. Der Wink mit dem Zaunpfahl (nach dem der Vorsitzende freilich gar nicht gefragt war) könnte noch zum Bumerang werden. So ärgerlich es anmutet, dass NPD & Co. auch noch staatliche Gelder erhalten, so bedenklich wäre es, der jeweiligen ‚großen Mehrheit‘ das Recht zuzugestehen, Parteien am – rechten, oder dann doch eher wieder am linken? – Rand die Parteienfinanzierung zu versagen. Schon werden verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet.
Nach allem erscheint es müßig, darüber zu spekulieren, für wen diese NPD-Entscheidung eine Blamage und wem sie wobei eine Hilfe ist. Mit diesem Urteil hat das BVerfG Geschichte geschrieben – wie diese in der Zukunft zu bewerten ist, steht dahin.
Helmut Pollähne