Ob „Remigration“, „endlich im großen Stil abschieben“, oder die Forderung nach der Abschaffung des individuellen Grundrechts auf Asyl: Die politische Debatte um Abschiebungen hat jeden Anspruch auf Menschlichkeit weit hinter sich gelassen. Deutsche Behörden schieben seit Jahren erbarmungslos ab.
Angesichts der jüngst erneut verschärften Abschiebe-Gesetze haben das Grundrechtekomitee und das Abschiebungsreporting NRW im Januar 2024 zwei Veranstaltungen zur aktuellen Abschiebepolitik organisiert. Die Online-Veranstaltung „30 Jahre Abschiebeknast Büren: Kein Grund zum Feiern“ am 23. Januar schaute in das Innere des Abschiebeknasts Büren – mit 175 Haftplätzen inzwischen der größte Deutschlands.
Frank Gockel vom 1994 gegründeten Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ berichtete eindrücklich von den Lebensbedingungen und Kämpfen der dort Inhaftierten. Seit seiner Eröffnung unterstützt der Verein die Gefangenen und macht die zutiefst inhumanen Zustände öffentlich. Allein im Jahr 2023 wurden 1.371 Männer in Büren inhaftiert, 1.098 von ihnen wurden abgeschoben. Behörden versuchen um jeden Preis und mit technokratischer Kälte, die Abschiebezahlen zu erhöhen, egal ob Familien zerrissen, Kranke abgeschoben und Leben zerstört werden.
Als Folge der in den letzten Monaten beschlossenen Abschiebegesetze können Sachbearbeiter*innen Abschiebehaft in der Praxis nun einfacher beantragen. Amtsgerichte winken entsprechende Anträge oft durch, die Hälfte aller Fälle von Abschiebehaft ist rechtswidrig. Ausweglosigkeit und Ohnmacht erleben Gefangene in allen Abschiebeknästen. Suizidversuche und Selbstverletzungen sind daher nicht nur in Büren an der Tagesordnung.
Ein versuchter Selbstmord geschah im Januar 2024 in der Abschiebehaftanstalt Glückstadt, Schleswig-Holstein: Ein 22-jähriger zündete seine Matratze an. Die Anstaltsleitung leugnete einen Suizidversuch. Nachdem der Mann wieder zu sich kam, sperrte man ihn in den BGH, den „besonders gesicherten Haftraum“, der nichts enthält außer einer Matratze mit Fesselungsvorrichtung und einer Toilettenöffnung im Boden. Inhaftierte werden nackt eingesperrt und per Videokamera überwacht.
Psychische Notlagen, die durch staatliche Gewalt entstanden sind, werden mit staatlicher Gewalt bearbeitet. Im Bürener Knast starb zuletzt im September 2023 ein 24-Jähriger. Die Gründe dafür sind bis heute unaufgeklärt, die Landesregierung notiert den Todesfall bloß als „besonderes Vorkommnis“.
Für die zweite Veranstaltung am 30. Januar war der langjährige Aktivist Rex Osa zu Gast in Köln. Er berichtete von der Arbeit des Vereins „Refugees for Refugees“, der Menschen unterstützt, die nach Nigeria abgeschoben wurden. Von Deutschland gehen monatlich 1-2 Charterflüge nach Nigeria, oft sammeln sie in anderen europäischen Ländern weitere Menschen ein.
In sog. „Botschaftsanhörungen“ werden Personen geladen, deren Nationalität nicht eindeutig feststellbar ist. Eine Delegation des nigerianischen Staates soll die Dialekte der Vorgeladenen analysieren und Papiere für Nigeria ausstellen. Wer schweigt, wird trotzdem abgeschoben.
Auf der Veranstaltung berichtete Rex Osa von der jahrelangen Angst der Betroffenen. Da der Termin vorher nicht mitgeteilt wird, steht die Polizei plötzlich mitten in der Nacht in der Wohnung und reißt Menschen aus ihrem gewohnten Leben. Viele kommen vorher in Abschiebehaft.
Die brutalen Abschiebungen, wie etwa die vom Abschiebungsreporting NRW dokumentierte Trennung einer nigerianisch-deutschen Familie mit vier Kindern im Sommer 2022 in Gelsenkirchen, haben auch eine Abschreckungsfunktion in die Community hinein. Bei Ankunft in Nigeria werden die Abgeschobenen am Flughafen Lagos abgeladen und sich selbst überlassen. In der Stadt existiert zwar ein sog. „Migrationszentrum“, betrieben von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Deren Angestellte lassen sich am Flughafen allerdings nicht blicken.
Auch sonst erscheint dieses „Zentrum“ überflüssig, Rex Osa beschrieb es als verwaist. Damit die Abgeschobenen nicht auf der Straße schlafen müssen, hat der Verein „Refugees for Refugees“ eine Schutzwohnung in Lagos organisiert, in der die Angekommenen in den ersten Tagen ausruhen und sich orientieren können. Mit vielen Abgeschobenen bleibt der Verein jahrelang unterstützend in Kontakt.
Alle diese Realitäten und Schicksale spielen weder im politischen Diskurs in Deutschland noch bei den Entscheider* innen in den deutschen Abschiebebehörden oder bei den durchführenden Polizeien eine Rolle. Wer gegen „Remigration“ protestiert, darf von Abschiebungen nicht schweigen.