Die Ankündigung von Donald Trump, einseitig aus dem INF-Vertrag von 1987 über das Verbot des Besitzes atomarer Mittelstreckenraketen auszusteigen, hat Mitte Oktober 2018 die Welt aufgeschreckt. Trump hat gleichzeitig einen Ausbau des amerikanischen Atomwaffenarsenals angekündigt. 300.000 Menschen hatten Anfang der 1980er Jahre mehrfach in Bonn gegen die sogenannte Nachrüstung demonstriert. Das Grundrechtekomitee hatte damals aktiv im Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung an der Umsetzung der Demonstrationen mitgearbeitet. Im Schatten von Wasserwerfern - dem Wasser war Reizgas beigemischt worden - wurde dann aber am 21./22. November 1983 vom Bundestag mit knapper Mehrheit die Stationierung von atomaren Waffen - Pershing II und Cruise Missiles – beschlossen. Die schon vorbereitete Stationierung begann einen Tag später.
Die Demonstrationen und Aktionen „Zivilen Ungehorsams“ in Mutlangen und Hasselbach gingen weiter. 1987 fand noch einmal eine Großdemonstration im Bonner Hofgarten statt, weil Kanzler Helmut Kohl den geplanten INF-Vertrag mit der Beibehaltung der Pershing-1A-Raketen in Geilenkirchen noch gefährdete. Der INF-Vertrag wurde 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion ausgehandelt. Das Abkommen untersagt den Bau und Besitz landgestützter, atomarer Raketen oder Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometern. Die USA und Russland werfen nun einander gegenseitig vor, den Vertrag, der nach dem Abzug der SS 20, Pershing II-Raketen und Cruise Missiles 1988 in Kraft getreten war, gebrochen zu haben. Der Vertrag sollte auch der Erlangung einer „Erstschlagsfähigkeit“ vorbeugen. Denn die Gefahren, die eine Strategie der „Erstschlagsfähigkeit“ birgt, sind seit den 1980er Jahren bekannt. Dazu gehört, dass sich die durch einen möglichen Erstschlag bedroht sehende Seite im Alarmfall schnell (die Vorwarnzeit der Pershings betrug 7 Minuten) zu einem atomaren Gegenschlag entschließen könnte, bevor es zu spät ist, gegnerische Systeme zu zerstören. Und zwar auch im Falle eines möglichen „Fehlalarms“!
Statt nuklear abzurüsten, kommt eine neue Debatte über die Atombewaffnung in Deutschland zustande. Ausgerechnet wenige Tage vor dem letzten Jahrestag des ersten Atombombenabwurfs über der japanischen Stadt Hiroshima forderte Christian Hacke, ehemaliger Professor an der Bundeswehr-Universität in Hamburg, in einem Beitrag in der „Welt am Sonntag“: „Deutschland muss Atommacht werden“. Die Begründung: Unter US-Präsident Donald Trump sei der nukleare Abschreckungsschirm der USA nicht mehr garantiert. Nun hat Präsident Trump im Januar dieses Jahres in der neuen Nuklear Posture Review (Neuausrichtung der US-Nuklearstrategie) klargestellt, dass an der „Modernisierung“ des Atomwaffenarsenals der USA festgehalten wird. Die umfassende Erneuerung des Nuklear-Potentials der USA wird fortgesetzt. Land-, luft- und seegestützte Trägersysteme, die atomaren Sprengsätze und die nukleare Infrastruktur werden „weiterentwickelt“.
Im Strategiepapier heißt es: „Sollte die Abschreckung scheitern, sind die Streitkräfte vorbereitet, eine Auseinandersetzung zu gewinnen.“ Das Konzept spricht von einer „maßgeschneiderten Abschreckung“ (tailored deterrence), d.h., dass die Atomwaffen glaubwürdig einsetzbar werden sollen. Zentral ist die neue zielgenauere Atombombe B61-12, die im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO auch in Büchel/Eifel stationiert werden soll. Neben Büchel sind diese neuen Bomben auch für die anderen Staaten der nuklearen Teilhabe in Europa – Italien, Belgien, Niederlande, Türkei – vorgesehen. Ebenso werden kleinere, also einsatzbarere Sprengköpfe für Interkontinentalraketen vorgesehen. Die anderen Atommächte arbeiten ebenfalls an der Überarbeitung und Modernisierung ihrer Arsenale, was die Sache nicht einfacher macht.
Die USA hatten den ABM (Anti-Ballistic-Missiles)-Vertrag schon 2001 einseitig gekündigt, um eigene Raketenabwehrsysteme aufbauen zu können. Der ABM-Vertrag sollte ursprünglich innerhalb der nuklearen „Abschreckungslogik“ dazu beitragen, „das Gleichgewicht des Schreckens“ zu halten und Erstschlagskapazitäten, die durch zielgenaue Atomraketen in Kombination mit Abwehrsystemen erlangt werden können, zu unterbinden.
Der Deutsche Bundestag hatte am 26. März 2010 beschlossen, die 20 in Büchel/Eifel stationierten Atombomben abzuziehen. Nichts ist aber seitdem konkret geschehen. Im Gegenteil. Der Ersatz der Bomben durch die neuen B61-12, die zielgenauer und in ihrer Sprengkraft variierbar sind, wodurch die Einsatzschwelle erniedrigt wird, ist angekündigt. Im Koalitionsvertrag heißt es wörtlich: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im Strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben.“ Deutschland werde „auch künftig einen angemessenen Beitrag zum Erhalt der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses und zu einer starken europäischen Verteidigung leisten“. Damit ist klar, dass die sogenannte nukleare Teilhabe inklusive der Stationierung von Atombomben in Büchel beibehalten wird. Das Konzept bedeutet aus Sicht derjenigen Staaten, die, ohne selbst eigene Atomwaffen zu besitzen, den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben haben, dass dieser durch dieses strategische NATO-Konzept gebrochen wird. Die Bundeswehr wird im „Ernstfall“ die Bomben mit ihren Tornados in die Ziele bringen. Dies wird ständig von Bundeswehrpiloten in Büchel trainiert. Das bedeutet, dass die NATO im Kriegsfall den Atomwaffensperrvertrag außer Kraft setzt. Dies ist auch offiziell so erklärt worden, obwohl es dem Sperrvertrag fundamental widerspricht.
Die Bundesregierung muss den neuen Atomwaffenverbotsvertrag der UNO unterzeichnen und aus der nuklearen Teilhabe der NATO ausscheiden, alles andere ist eine friedenspolitische Katastrophe. Dafür müssen die Kräfte der Friedensbewegung sich verstärkt einsetzen, in Büchel und jeweils vor Ort mit kreativen und aufklärenden Aktionen!
Martin Singe | Komitee für Grundrechte und Demokratie