Das Grundrechtekomitee unterstützt die Object War Campaign. Das Bündnis fordert offene Grenzen und faire Asylverfahren für diejenigen, die sich unter hohem persönlichem Risiko in ihrem Land gegen den Krieg stellen. Insbesondere fordern sie die EU auf, Kriegsverweigerern aus Russland und Belarus Schutz zu bieten und setzen sich dafür ein, dass die ukrainische Regierung die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern einstellt.
Rudi Friedrich ist Geschäftsführer von Connection e.V. Der Verein unterstützt seit 30 Jahren Kriegsdienstverweiger*innen und Deserteur*innen weltweit. Aktueller Schwerpunkt der Arbeit ist der Krieg in der Ukraine.
Ihr seid zurzeit mit vielen Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren in Kontakt. Wie ist ihre aktuelle Situation in Russland und Belarus?
Nach der Verkündung der Teilmobilmachung durch die russische Regierung Ende September 2022 kam es zu massenhaften Festnahmen von Personen,´die eingezogen werden sollten. In Wohnheimen, U-Bahnen, Obdachlosenunterkünften und Eingängen von Wohnhäusern fanden Razzien statt. Unter Androhung von Strafverfolgung stimmten viele Festgenommene der Rekrutierung zu.
In den darauffolgenden Wochen erhielten wir Hunderte von Anfragen zu Ausreise und Asyl von Militärdienstpflichtigen aus Russland und deren Angehörigen und Bekannten. Es sind allerdings nicht die ersten, die die Russische Föderation verlassen wollen. Seit Anfang des Jahres sind es nach unserer Schätzung mehr als 150.000 Geflüchtete.
In Belarus war von Anfang an die Menschenrechtsorganisation Nash Dom (Offenes Haus) aktiv. Sie rief sehr früh die Kampagne „No means No“ ins Leben, weil sie befürchtete, dass Belarus direkt in den Krieg eingreifen könnte. Dem Aufruf folgten Zehntausende – was vermutlich den Kriegseintritt bislang verhindert hat. Etwa 22.000 Desertierte befinden sich im Ausland.
Mit dem Ausrufen des Kriegsrechts steht auch in der Ukraine die Kriegsdienstverweigerung unter Strafe. Welche Auswirkungen hat das?
Die Ukraine hatte am 24. Februar die Generalmobilmachung verkündet und die Grenzen für militärdienstpflichtige Männer geschlossen. Das ohnehin restriktive Gesetz, das Kriegsdienstverweigerung in einem gewissen Rahmen erlaubte, wurde ausgesetzt. Einige Kriegsdienstverweigerer wurden bereits zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Von Angehörigen und Bekannten erhalten wir viele Anfragen, wie militärdienstpflichtige Männer trotzdem das Land verlassen können. Wer es auf illegalen Wegen versucht, riskiert die Festnahme an der Grenze.
Im ersten Halbjahr 2022 wurden 8.000 Verfahren wegen illegalen Grenzübertritts eröffnet, sowie 5.000 Verfahren wegen Militärdienstentziehung oder Desertion. Dennoch haben es viele geschafft, ins Ausland zu kommen. Nach unserer Schätzung befinden sich unter den etwa 4 Mio. in der EU registrierten ukrainischen Flüchtlingen mit einem befristeten humanitären Aufenthalt auch etwa 145.000 Militärdienstpflichtige.
Und wie ergeht es denen, die flüchten konnten? Vor welchen Herausforderungen stehen sie?
Verweigerer aus der Ukraine haben wie alle anderen ukrainischen Geflüchteten einen humanitären Aufenthalt in der EU. Hier stellt sich die Frage, was nach der Befristung passieren wird, also in etwa zweieinhalb Jahren. Für die russischen und belarussischen Militärdienstentzieher und Deserteure sieht die Situation anders aus: Trotz Erklärungen aus der Politik, z.B. dem Aufruf zur Desertion von EU-Ratspräsident Charles Michel an russische Soldaten, gibt es in der EU kaum Ansätze, ihnen Schutz anzubieten.
Die meisten russischen und belarussischen Verweigerer sind in Länder geflohen, in denen es für sie keine Visapflicht gibt, wie z.B. Kasachstan, Armenien, Georgien, Türkei oder Serbien. Nur ein Bruchteil kam in die Europäische Union. Die baltischen Staaten lehnen eine Einreise grundsätzlich ab. Deutsche Botschaften, so wurde uns von Angehörigen mitgeteilt, verweigerten eine Visumserteilung, weil nicht davon auszugehen sei, dass die Person wieder ausreise.
Der Weg in die EU wurde also abgeriegelt und ihr Status in den bereits genannten Ländern ist zum Teil extrem prekär und unsicher. Die deutsche Bundesregierung hat zwar erklärt, dass russische Deserteure Asyl erhalten sollen, weil ihre Desertion in Russland als ein politischer Akt gegen den Krieg angesehen werde, Asyl für Militärdienstentzieher wird aber ausdrücklich ausgeschlossen. Die meisten haben sich noch vor der Mobilmachung den Rekrutierungen entzogen, gelten also als Militärdienstentzieher, nicht als Deserteure, und bleiben daher von Asyl ausgeschlossen.
Mit #ObjectWarCampaign fordert ihr Schutz und Asyl für Deserteure und Kriegsverweigerer aus Russland und Belarus sowie ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Ukraine. An wen richten sich eure Forderungen und was muss jetzt ganz konkret geschehen? Welche Verantwortung haben EU und Deutschland?
Gemeinsam mit dem Internationalen Versöhnungsbund, dem Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung und der War Resisters‘ International haben wir die Unterschriften-Kampagne #ObjectWarCampaign gestartet. Sie basiert auf Appellen von etwa 100 Organisationen aus mehr als 20 Ländern an den Bundestag und das Europaparlament. Wir wollen mit der Kampagne Druck auf die Europäischen Institutionen ausüben, damit es nicht nur Fensterreden gibt, sondern den Deserteuren und Verweigerern wirklich ein Angebot gemacht wird und sie in ihrer Entscheidung unterstützt werden.
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Russische Staatsbürger*innen sollten auch von Ländern außerhalb Russlands Anträge zur Aufnahme in die Europäische Union stellen können. Hier ist eine unbürokratische Lösung nötig, die sie vor einer Abschiebung aus einem anderen Land zurück nach Russland schützt.
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Die Grenzen müssen geöffnet werden! Geflüchtete müssen die Möglichkeit haben, Länder zu erreichen, die ihnen einen sicheren Aufenthalt gewähren können. Eine Aufnahme Schutzsuchender kann nur gelingen, wenn die illegalen Pushbacks gestoppt werden und die Menschen Zugang zu einem fairen Asylverfahren erhalten.
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Hinsichtlich der Gewährung von Asyl oder eines anderen Aufenthaltsstatus müssen die EU-Länder nicht nur Kriterien für Deserteure entwickeln, sondern vor allem Lösungen für die große Zahl der Militärdienstentzieher finden. Sie wären bei einer zwangsweisen Rückkehr nach Russland einer Rekrutierung für den Krieg unterworfen.
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Die EU sollte ein Aufnahmeprogramm beschließen, damit diejenigen russischen Staatsbürger*innen, die sich unter großem Risiko von der Regierung ihres Landes abgewandt haben, Möglichkeiten der Ausbildung und Beschäftigung erhalten.
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Ukrainische Kriegsdienstverweigerer, die aufgrund ihrer Entscheidung mehrjährige Haftstrafen befürchten müssen, verdienen die Unterstützung der EU und müssen hier die Chance auf Schutz erhalten.
Das Bündnis um die Kampagne herum besteht aus Initiativen für Kriegsverweiger:innen auf der ganzen Welt. Welche Arbeit leistet das Netzwerk?
Einige Organisationen des Netzwerkes habe ich bereits benannt. Es gibt weitere, die Beratung und Unterstützung in verschiedenen Nachbarländern des Krieges anbieten. Ziel des Netzwerkes ist es, in den verschiedenen Ländern Anlaufstellen zu schaffen und zu betreiben, um den Betroffenen effektiv helfen zu können. Wichtige Informationen werden ausgetauscht und veröffentlicht. Wir wenden uns gemeinsam mit unseren Forderungen an die Politik. Und über eine Spendenkampagne können wir die Arbeit der Gruppen finanziell fördern und dazu beitragen, dass daraus eine langfristige Unterstützung entstehen kann.
Informationen, Forderungen und die Unterschriftenkampagne: www.connection-ev.org/ObjectWarCampaign