Erneut tritt die Bundesregierung in einen Krieg ein, der keine Friedensperspektive für die betroffene Region aufzeigt. Solidarität mit den Opfern von Paris und den vielen anderen Opfern des IS auch in Irak und Libanon sowie des staatlichen Terrors in Syrien muss anders aussehen. Der „Krieg gegen den Terror“, der bereits seit 9/11 (2001) geführt wird, hat die gesamte Region im Nahen Osten destabilisiert. Krieg ist keine Antwort auf Terror, sondern selbst Terror, der die Verletzung und Tötung von Zivilisten hinnimmt. Der IS und seine Ideologie müssen politisch bekämpft werden. Den Menschen, die Opfer des IS-Terrors sowie des syrischen Kriegs gegen seine Bevölkerung werden, muss solidarische Hilfe geleistet werden. Großzügige Aufnahme von Kriegsflüchtenden wäre die aktuell wichtigste Aufgabe der Europäischen Union. Krieg ist das falsche Mittel, um einer perspektivlosen, kriegsgeschädigten, traumatisierten und fanatisierten Jugend eine Zukunft zu eröffnen.
Die Gemengelage von unterschiedlichen Macht- und Interessenlagen in der Region ist kompliziert. Der IS baut seine militärische Macht vor allem auf baathistisch-sunnitische Militärs, die nach dem Krieg der USA gegen Irak politisch systematisch ausgegrenzt wurden. Nicht Krieg kann Abhilfe schaffen, sondern nur ein langwieriger politisch vermittelter Ausgleich der Interessen. Saudi-Arabien und weitere Golfstaaten, die USA und die Türkei haben den IS indirekt und direkt gefördert durch politische Unterstützung, Zulassung von Finanz- und Handelsströmen sowie Waffenhilfe - in der zweifelhaften Hoffnung, das brutale Assad-Regime mithilfe des IS lahmlegen zu können. Deutschland steht in engen Beziehungen zu den Staaten, die den IS bis jetzt unterstützen, und liefert selbst in erheblichem Ausmaß Rüstung in die Kriegsregion. Gerade hat eine Lieferung von Leopard-2-Panzern an Katar begonnen. Gegenüber Saudi-Arabien, an das bereits eine komplette Waffenfabrik geliefert wurde, sollen über die Rüstungsunternehmensfusion von Krauss-Maffei-Wegmann mit dem französischen Konzern Nexter bundesdeutsche Ausfuhrbeschränkungsregeln unterlaufen werden.
Statt aus den katastrophalen Kriegen in Afghanistan, Irak und Libyen zu lernen, geht die Bundesregierung erneut den Weg militärischer Gewalt, der in der Vergangenheit immer zu mehr Gewalt, unendlich vielen Opfern und neuem Terrorismus geführt hat. Statt kriegerischer Antworten bedarf es intelligenter ziviler Interventionen gegen den IS und einer Unterstützung der syrischen Zivilbevölkerung. Die aktuell gestarteten politischen Verhandlungen in Wien sind der momentan geeigneteste Weg, eine Lösung für den Krieg in Syrien zu finden. Deutschland hat selbst mit seiner Politik der frühen Anerkennung der „Freunde Syriens“ als die (einzige) legitime Opposition eine bewaffnete Eskalation in Syrien mitbetrieben und die seinerzeitigen hilfreichen Vermittlungsvorschläge der UN torpediert. Schon 2012 hatten die UN-Sonder-Beauftragten Kofi Annan und Lakhdar Brahimi konstruktive Vermittlungsvorschläge vorgelegt, die von den westlichen Staaten unterlaufen wurden.
Die Politik von Eskalation und Krieg hat mit dazu beigetragen, dass Millionen von Flüchtlingen nach Europa unterwegs sind. Europa steht vor den Scherben seiner selbsttäuscherischen Abschottungspolitik mit Dublin-Verfahren und der Bestimmung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten. Deutschland beteiligt sich mit bewaffneten Streitkräften an der EU-Operation EUNAVFOR MED, um Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke im südlichen und zentralen Mittelmeer zu unterbinden. Auch in der Flüchtlingsfrage wird nun auf kriegerische Abwehr gesetzt, statt wirklich die Fluchtursachen zu bearbeiten und sichere Fluchtwege zu schaffen. Der neue Krieg gegen den IS wird die Fluchtbewegungen nur intensivieren und der zivilen Opposition die letzte Luft zum Atmen nehmen. Stattdessen wäre großzügige Solidarität mit den Fliehenden angebracht statt neuer gesetzlicher Abschreckungs- und Ausgrenzungsstrategien.
Eine politisch kluge diplomatische Lösung der jetzigen Krise in Nah-Mittel-Ost bedarf der Einbeziehung Russlands, Irans und auch des regierenden Präsidenten Assads, zumindest für eine Übergangszeit.
Im Schatten der Debatte um den Kriegseinsatz gegen den IS steht die Entscheidung der Bundesregierung, in Mali verstärkt militärisch einzugreifen. Auch hier müsste verstärkt auf Diplomatie und gerechten Interessenausgleich gesetzt werden, statt militärisch zu eskalieren.
Für dem Beschluss Deutschlands, in den Krieg gegen den IS einzutreten, gibt es keinerlei völkerrechtliche Legitimation. Ein UN-Mandat ist nicht vorhanden. Die EU-Verfassung wird erstmals für eine Kriegsbegründung bemüht. Die Friedensbewegung hat schon seinerzeit gegen diese Beistandsartikel in der EU-Verfassung deutlich protestiert, die sogar über die NATO-Beistandsverpflichtungen hinausgehen. Der seit dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien von der Bundesregierung wiederholte Verstoß gegen geltendes Völkerrecht darf sich nicht fortsetzen. Wir rufen die Öffentlichkeit, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sowie alle möglicherweise beteiligten Soldatinnen und Soldaten dazu auf, sich dem Kriegseintritt der Bundesrepublik Deutschland deutlich und lautstark zu widersetzen.
Andreas Buro, Martin Singe, Elke Steven, Dirk Vogelskamp