Mit dem Vorwurf der »Bildung einer kriminellen Vereinigung« nach § 129 StGB fahren die Strafverfolgungsbehörden schweres Geschütz gegen gewaltfreien Klimaprotest auf, der mit der Einhaltung der Klimaschutzziele ein verfassungs- und völkerrechtlich legitimiertes Anliegen verfolgt. Angesichts der weitreichenden Grundrechtseingriffe, die durch diesen Vorwurf gerechtfertigt werden, halten wir die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Neuruppin nach § 129 StGB gegen Menschen aus der Bewegung ›Letzte Generation‹ für unverhältnismäßig.
Die strafrechtliche Verfolgung von Mitgliedern der Bewegung ›Letzte Generation‹ hat eine neue Qualität erreicht. Am vergangenen Dienstag, den 13.12., kam es zu elf Hausdurchsuchungen und der Beschlagnahmung von Handys, Laptops und Plakaten. Der Vorwurf lautet »Bildung einer kriminellen Vereinigung« gemäß § 129 Abs. 1 StGB, außerdem Störung öffentlicher Betriebe (§ 316b StGB), Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) und Nötigung (§ 240 StGB). Medienberichten zufolge wurden Ermittlungen gegen insgesamt 34 Beschuldigte in acht Bundesländern eingeleitet, nachdem seit Mai bei mehreren Protestaktionen an der PCK-Raffinerie in Schwedt Ventile zugedreht und der Öl-Zufluss damit kurzzeitig unterbrochen worden sein soll. Zwei Wochen vor den Hausdurchsuchungen hatten mehrere Landesminister auf der Innenministerkonferenz Ermittlungen nach § 129 StGB gefordert.
Anfangsverdacht der »Bildung einer kriminellen Vereinigung« bereits fraglich
Die Unterzeichnenden kritisieren dieses Vorgehen, denn bereits das Vorliegen des Anfangsverdachts bezüglich der Bildung einer kriminellen Vereinigung erscheint zweifelhaft. Der Tatbestand setzt voraus, dass eine Gruppe die Begehung von schweren Straftaten bezweckt, von denen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht. Das trifft auf das Festkleben an Straßen, Gemälden und Flughäfen als bislang wichtigster Protestform der ›Letzten Generationen‹ schon im Ansatz nicht zu. Ob Sitzblockaden und andere Formen des zivilen Ungehorsams überhaupt strafbares Verhalten darstellen, ist fraglich – Gerichte und Staatsanwaltschaften haben die wertungsoffenen juristischen Fragen der Verwerflichkeit und eines rechtfertigenden Klimanotstandes zuletzt unterschiedlich beantwortet und Protestierende vereinzelt freigesprochen. Jedenfalls aber haben die mit den Sitzblockaden verbundenen Vorwürfe kein ausreichendes Gewicht, um Vorwürfe nach § 129 StGB begründen zu können.
Ähnlich sieht es bei dem Zudrehen von Ventilen an der Raffinerie in Schwedt aus. Weder wurden durch die kurzzeitige Unterbrechung der Versorgung einer Raffinerie Menschen gefährdet, noch die öffentliche Sicherheit in erheblichem Maße beeinträchtigt. Auch zu Sachbeschädigungen kam es nicht. Dass die Aktion möglicherweise den Anfangsverdacht einer Störung öffentlicher Betriebe begründet, kann für sich genommen die Ermittlungen nach § 129 StGB ebenso wenig rechtfertigen.
Motivation, Ziele und Kontext entscheidend
Gerade weil der Vorwurf nach § 129 StGB weitreichende Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht, die mit schweren Grundrechtseingriffen verbunden sind, fordert auch der BGH die strikte Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Bewertung der Zwecke einer Vereinigung. Ob die Schwelle zu einer kriminellen Vereinigung im Sinne der Vorschrift überschritten wird, ist nicht allein anhand der begangenen Straftaten, sondern anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu bewerten, die auch den Rahmen und den Hintergrund der Taten in den Blick nimmt – und gerade dieser könnte nicht deutlicher gegen die Annahme einer kriminellen Vereinigung sprechen:
Die ›Letzte Generation‹ weist mit ihrem Protest auf etwas hin, das auch Barack Obama und Annalena Baerbock genau so formuliert haben: Dass wir zu der letzten Generation gehören, die die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels noch stoppen kann. »Die nächsten acht Jahre sind entscheidend«, erkennt selbst Bundeskanzler Olaf Scholz. Trotzdem reichen weder global noch national die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen aus, um die globalen Klimaziele sowie den in Deutschland verfassungsrechtlich vorgegebenen Reduktionspfad einzuhalten. Das wurde unlängst durch das Zweijahresgutachten des Expertenrates für Klimafragen bestätigt, der einen Paradigmenwechsel in der deutschen Klimaschutzpolitik anmahnt. Derweil hat der voranschreitende Klimawandel bereits in vielen Teilen der Erde verheerende Konsequenzen. Angesichts dieser Entwicklungen richtet sich die ›Letzte Generation‹ an die Politik. Die Bewegung fordert im Grunde nicht mehr, als die Einhaltung des Klimaschutzgesetzes und der völker- und verfassungsrechtlichen Pflicht, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5° C zu begrenzen. Die Proteste haben ein starkes kommunikatives Element und zielen auf die Teilnahme an der öffentlichen Meinungsbildung ab. Sie nehmen damit eine grundrechtlich garantierte Freiheit wahr, welche das Bundesverfassungsgericht als schlechthin konstitutiv für unsere Demokratie erachtet. Diese Umstände müssen die Ermittlungsbehörden bei der Bewertung des Verhältnisses von Straftaten und verfolgten Zwecken angemessen berücksichtigen.
Für die strafrechtliche Bewertung des Gesamtbildes ist außerdem entscheidend: Die Bewegung agiert nicht im Verborgenen, sondern trägt ihre Ziele und Methoden sowie die Identität der Beteiligten in die Öffentlichkeit. Dort, wo die gewählten Protestformen des zivilen Ungehorsams die Grenzen zur Strafbarkeit überschritten haben, stellen sich bislang alle Aktiven den Strafverfahren. All das spricht entscheidend gegen die Annahme einer kriminellen Vereinigung.
Ermittlungsmaßnahmen müssen Verhältnismäßigkeit wahren
In jedem Fall erscheinen die Durchsuchungen und Beschlagnahmungen angesichts des gewaltfreien und öffentlichen Protests und der verfolgten Anliegen der Bewegung unverhältnismäßig. Die Mitglieder der ›Letzten Generation‹ haben bislang keinerlei Anstalten gemacht, ihre Taten zu verbergen und Ermittlungsmaßnahmen zu behindern.
Leider reihen sich die Ermittlungen in andere staatliche Maßnahmen gegen die ›Letzte Generation‹ ein, wie die wahrscheinlich verfassungswidrige Anordnung eines 30-tägigem Gewahrsams in Bayern. In ihrer Gesamtheit erwecken diese Maßnahmen den Eindruck einer Instrumentalisierung des Ordnungs- und Strafrechts für die Delegitimierung und Einschüchterung von unliebsamem Protest. Das ist eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig. Repression sollte nicht die Antwort des Staats auf eine Klimabewegung sein, die den Erhalt unser aller Lebensgrundlagen einfordert und an die Einhaltung von Gesetz und Recht erinnert.
Die Dringlichkeit des Problems erkennen!
Vor allem aber drohen die Diskussionen über strafrechtliche Ermittlungsmaßnahmen von der eigentlichen Problematik abzulenken. Die Verantwortlichen sollten sich mit dem Ruf der Protestierenden nach wirksamen Maßnahmen gegen die drohende Klimakatastrophe auseinandersetzen und endlich ihren verfassungsrechtlichen Pflichten nachkommen. Klimaschutz ist Menschenrecht, das haben Gerichte rund um die Welt bereits entschieden – und dieses Menschenrecht hat jeder Staat zu achten. Die ›Letzte Generation‹ wählt drastische Mittel, um auf das bis heute andauernde, drastische Versagen der Klimaschutzpolitik hinzuweisen. Die Dringlichkeit der Klimakrise haben die meist jungen Betroffenen nicht zu verantworten.
Gemeinsame Erklärung des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, von Green Legal Impact e.V., Lawyers4Future, ClientEarth, der Humanistischen Union und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.