Mehr als 30 Flüchtlingsgruppen, Streetwork-, Bürgerrechts- und Anwält*innenorganisationen fordern: »Keine Ausweitung der Befugnisse für das kommerzielle Sicherheitsgewerbe!« Der Koalitionsvertrag der jetzigen Großen Koalition sah eine »Neuordnung der Regelungen für das private Sicherheitsgewerbe in einem eigenständigen Gesetz« vor. Im Juli 2020 wechselte dafür die Zuständigkeit vom Bundeswirtschafts- in das Bundesinnenministerium. Laut Bundesregierung stoppte die SARS-CoV-2-Pandemie die Planungen. Wir befürchten eine Neuauflage dieses Vorhabens, zumal ein Papier des Bundesverbands der Deutschen Sicherheitswirtschaft vom Frühjahr 2021 auch von einer neuen Regierung hoheitliche Rechte für sich und Beschränkungen des Streikrechts fordert.
Bündnis verschickt ›Wahlprüfsteine‹ an Bundestagsmitglieder und -kandidat*innen
Das Bündnis aus rund 30 bundes- und landesweit sowie international tätigen Organisationen möchte in vier Fragekomplexen Antworten von den Abgeordneten und Kandidat* innen zu den Forderungen des profitorientierten Sicherheitsgewerbes. »Für den Bereich der Geflüchteten-Unterbringung befürchten wir eine weitere Verschärfung der Situation«, so Walter Schlecht von ›Aktion Bleiberecht‹, Freiburg/Brsg. »Dort setzten Sicherheitsdienste grundrechtsverletzende ›Hausordnungen‹ mit fraglichen Befugnissen durch. Asylsuchende sind in diesen rechtsfreien Räumen dem Handeln der Wachdienste weitestgehend ausgeliefert«.
Katharina Grote vom ›Bayrischen Flüchtlingsrat‹ ergänzt: »Der massive Einsatz von Sicherheitsdienstleistern ist allein der Unterbringungsform geschuldet. Würden geflüchtete Menschen in Wohnungen untergebracht, wäre der Einsatz von Securities hinfällig. Die politische Entscheidung, Menschen in Massenlagern zu kasernieren, ist gleichzeitig ohne den Einsatz von Sicherheitsdiensten nicht umsetzbar und führt zu den gegenwärtigen unhaltbaren Zuständen mit täglichen Grundrechtsverletzungen«.
Doch nicht nur in Lagern sind die rund 260.000 Wach- und Sicherheitsbeschäftigten tätig. »Besonders bedenklich ist, dass das kommerzielle Sicherheitsgewerbe hoheitliche Rechte fordert, also Rechte, die nach dem Grundgesetz regelhaft nur Staatsbediensteten zustehen«, so Dr. Lukas Theune, Geschäftsführer des RAV. »Öffentliche Sicherheit ist eine öffentliche Aufgabe und kein Selbstbedienungsladen für profitorientierte Unternehmen. Dann auch noch das Streikrecht einschränken zu wollen, das ist schon ein einmaliger Vorgang«.
Auffällig ist, dass insbesondere vulnerable Gruppen wie Jugendliche, Wohnungslose, Bettelnde – und immer wieder Migrant*innen – Opfer dieser Dienste werden. »Das gilt in den Lagern und auf der Straße«, so Andreas Abel von der Straßensozialarbeit-Organisation ›Gangway‹. »Wir sehen und hören leider immer wieder von Übergriffen kommerzieller Sicherheitsdienste gegen die von uns betreuten Menschen. Wenn ausgerechnet die nun auch noch das Recht zur Personalien-Kontrolle und zur Erteilung von Platzverweisen bekommen sollen – und das bei deren niedrigen Qualifikationsniveaus –, dann vernachlässigt der Staat seine Fürsorgepflicht endgültig«.
Rechtsanwältin Angela Furmaniak, Mitglied im erweiterten Vorstand des RAV und aktiv im bundesweiten Anwält*innen-Netzwerk ›AG Fananwälte‹, weist zudem darauf hin, dass »an jedem Wochenende für rund eine Million Fußballfans Bürger- und Menschenrechte buchstäblich auf dem Spiel stehen. Dass die Kontrollaufgaben in Stadien zum Teil Neonazis und ungeschultem Personal, die zudem die Großen der Sicherheitsbranche an Subunternehmen weiterreichen, übertragen werden, kann – vorsichtig formuliert – nur sehr besorgt machen. Hier nehmen weder Stadionbetreiber, noch Vereine, noch das Sicherheitsgewerbe selbst und auch nicht der Staat ihre Verantwortlichkeiten hinreichend wahr«.
Im unten stehenden Pdf finden Sie die Fragen im Wortlaut, das Hintergrundpapier und bereits hier unten alle zeichnenden Organisationen:
AG Fan-Anwälte | Aktion Bleiberecht Freiburg/Brsg. | Berliner Obdachlosenhilfe e.V. | Bündnis für Straßenkinder in Deutschland e.V. | Bürgerrechte & Polizei/CILIP | Bundesarbeitsgemeinschaft Fanprojekte| Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork/Mobile Jugendarbeit | Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KrigesdienstgegnerInnen NRW| Die Landesflüchtlingsräte (aus allen Bundesländern) | Gangway – Straßensozialarbeit in Berlin e.V. | Handicap International e.V. | Hannover Solidarisch | Humanistische Union| Komitee für Grundrechte und Demokratie | Lager-Watch Netzwerk | Lager-Watch Thüringen | No Lager Osnabrück| Pro Asyl e.V. | Solinet Hannover | Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. | Wohnungslosen-Stiftung