Ende August: Die in diesen Tagen von der europäischen Politikklasse mit den Präsidenten der afrikanischen Republiken Niger und Tschad, Indriss Débey und Mahmadou Issoufou, sowie mit dem Vorsitzenden des libyschen Präsidialrates Fayez Al-Sarradsch vereinbarten Regelungen, die europäischen Grenzen lagergewaltig gegen die Überlebensmigration weiter abzuschotten, treiben einen in die Verzweiflung.
Merkel, Macron, Gentiloni, Rajoy und Mogherini lächeln hingegen auf dem Pariser Gipfel menschenfreundlich in die wartende Schar der Fotojournalisten, während sie ihren todbringenden Aktionsplan kundtun: Zukünftig sollen bereits im Niger und im Tschad - die Gesellschaften beider Länder sind bitterarm - sowie in Libyen exterritoriale Flüchtlingslager die afrikanischen Fluchtmigrationen von Europa fernhalten. Zu fragen ist allerdings, wie gelangen Menschen auf der Suche nach Schutz und Überleben überhaupt in diese umzäunten „Orte des Grauens“, in denen sie zu bloßen Objekten der Migrationskontrolle und -auslese herabgesetzt werden? Es ist dabei völlig unwichtig, wie diese Lager offiziell und euphemistisch betitelt und von wem sie kollaborierend mitverwaltet werden. Werden die Menschen auf ihren langen und entbehrungsreichen Flucht- und Migrationsrouten diese Migrationslager etwa als Endstation ihres selbstbestimmten Aufbruchs freiwillig aufsuchen? Nur um sich dort bürokratisch als „Wirtschafts- oder Armutsflüchtlinge“ etikettieren zu lassen? Andernfalls, um als schutzwürdig anerkannte Flüchtlinge auf einen vage in Aussicht gestellten Resettlement-Platz zu hoffen? Oder werden sie in jene zukünftigen Internierungslager gewaltsam gezwungen werden müssen, so wie derzeit in Libyen, dessen Übergangsregierung die bewaffneten Küstenpatrouillen europäisch ausbilden und die sich die Zusammenarbeit bei der Grenzkontrolle und bei den Rückführungen der Boatpeople finanzieren lässt? Das letztere ist wohl anzunehmen. Und schon heute verschwinden tausende Menschen in libysche Lager, in denen sie fortgesetzt misshandelt, gequält und zu Tode gefoltert werden. Die EU jedoch lobte das Abkommen mit der libyschen Übergangsregierung und verweist auf den aktuellen Rückgang der Passagen über das zentrale Mittelmeer. Dadurch sei das Geschäftsmodell der Schlepper untergraben worden. Weniger Menschen seien ertrunken. Doch zu welchem Preis? Die Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels hält PRO ASYL für eine Irreführung der Öffentlichkeit, „der suggeriert werden soll, das System des Flüchtlingsschutzes müsse zerstört werden, damit Flüchtlinge gerettet werden.“
Die Regierungen des Tschads und des Nigers jedenfalls sollen demnächst weitere 50 Millionen Euro erhalten, um ihre kilometerlangen Grenzen zu Libyen abzusichern und die Zuwanderungsdruck an Libyens Südgrenze hochgerüstet zu vermindern. Trainings und Bewaffnung der Grenzeinheiten sowie technisches Überwachungsgerät und geländefähige Fahrzeuge werden mitgeliefert. Doch wohin mit den Unerwünschten aus der Überlebensmigration? Wohl geradewegs in die nun geplanten Aufbewahrungslager in Afrika (retention-centres)!
Die EU unternimmt aktuell einen erneuten Anlauf, exterritoriale EU-Lager in Afrika zu installieren und die ohnedies extrem militarisierte Grenzsicherung im Mittelmeer, die seit der Jahrhundertwende rund 30.000 Menschenleben forderte, bis weit in die Sahelzone vorzuverlagern. Dazu macht sie sich die Regime der verarmten Transitstaaten finanziell fügsam. Es entstehen dadurch an den Grenzen rechtsfreie Gewalträume mit unüberschaubaren Milizen, Grenzpolizeien und anderen bewaffneten lokalen Akteuren, die zu Todeszonen sich verdichten. Die Leidtragenden sind schon heute die geschundenen Überlebensmigrantinnen und -migranten, die von der europäischen Wohlstandszitadelle, die selbst von dramatischen sozialen Verwerfungen gezeichnet ist, ferngehalten werden sollen. Ihr Sterben einbegriffen.
Die Menschen auf der Flucht und in der Migration nehmen für sich das Recht auf globale Bewegungsfreiheit in Anspruch, womit sie nicht mehr als ihrer menschenrechtlich garantierte Würde und Selbstbestimmung, nicht mehr als die Freiheit und Gleichheit aller Menschen praktisch Ausdruck verleihen. Eine Politik, die deren Leben strategisch verwirft, ist jenseits der Menschenrechte und der Humanität angesiedelt.