Jahrestagung: Das Recht auf einen Ort - Migration, Bleiberecht und repressive Integration

Jahrestagung des Komitee für Grundrechte und Demokratie

vom 7. bis 9. September 2007

im Bildungs- und Begegnungszentrum "Clara Sahlberg", Berlin am Wannsee

Auf dieser Tagung wollen wir die öffentlich kontrovers geführten Diskussionen über "Integration", "Bleiberecht" und "Migration" in Anlehnung an Hannah Arendts Feststellung, Flüchtlinge und Migranten bedürfen eines Standpunktes in der Welt, unter dem Aspekt "das Recht auf einen Ort" einer menschenrechtlichen Kritik unterziehen und über politisch praktische Initiativen zusammen mit anderen Gruppen nachdenken.

"Das Recht auf einen Ort", der menschenrechtlich gebotene Anspruch auf einen Ort, an dem zugewanderte Menschen ankommen und bleiben, politische Subjekte werden und soziale Rechte in Anspruch nehmen können, verbindet diese ansonst unterschiedlich behandelten und diskutierten Facetten von Immigrationspolitik. Ziel der Tagung soll es sein, eine menschenrechtlich politische Ortsbestimmung in den aktuellen Auseinandersetzungen mit der deutschen Ausländer- und der europäischen Migrationspolitik vorzunehmen, die eigene Urteilskraft und die Konturen menschenrechtlicher Kritik zu schärfen sowie menschenrechtlich angemessene Initiativen anzustoßen und zu verfolgen.

 

I . Problemaufriss: "Integration"

Mit der "Integrationskursverordnung" (IntV) vom 14. Dezember 2004, seit dem 1. Januar 2005 in Kraft, wird das vermeintlich kulturelle und zivilisatorische Defizit der zugewanderten Fremden gesetzlich festgeschrieben und damit eine nationale und kulturelle Wertegemeinschaft für die privilegierten Staatsbürgerinnen identitätsfördernd konstruiert, von denen sich die außereuropäisch zugewanderten Fremden negativ abheben. Sie sollen "Ausländer" bleiben. Darum wird ihnen nicht nur ein Sprachkurs, sondern gleich ein ganzer gesinnungspolitischer Orientierungskurs verordnet. Die Integrationsverpflichtung der zugewanderten Fremden, im Aufenthaltsgesetz normiert, wird disziplinierend mit weitreichenden Sanktionsandrohungen flankiert, die bis zur Ausweisung reichen können. Die soziale und rechtliche Ungleichbehandlung, die die außereuropäischen Zuwanderinnen in Deutschland erfahren, beruht weder auf Sprachdefizite noch auf kulturelle Differenzen, sondern gehört zum alltäglichen gesellschaftlichen und politischen Umgang vor allem mit jenen Zuwanderern, die nicht die staatlicherseits erwarteten wissenschaftlichen und wirtschaftlichen verwertbaren Qualitäten und Eigenschaften vorweisen können. Dem staatlicherseits verwendeten und propagierten Integrationsbegriff, so er nicht bloße Assimilation meint, was nicht selten der Fall ist, liegt das zumeist ausschließende nationalstaatliche Containermodell zugrunde, das durch Migration in Frage gestellt wird. Hier grundsätzlich kritisch initiativ zu werden könnte ein Anliegen und eine Aufgabe des Komitees darstellen.

 

II. Problemaufriss: Bleiberecht

Die aktuelle Bleiberechtsregelung, die das Wort Bleiberechtsregelung wohl nicht verdient und ein bloß die Bevölkerung täuschender Euphemismus darstellt, besteht vor allem aus menschenrechtlich nicht hinnehmbaren Ausschlussgründen für die seit sechs oder acht Jahren hier, lediglich geduldeten, zugewanderten Menschen. Die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis sind im wesentlichen wirtschaftspolitisch orientiert: die zugewanderten Menschen müssen ihren eigenen Lebensunterhalt sichern, ausreichend Wohnraum vorweisen und gute Deutschkenntnisse nachweisen können. Oberstes Staatsgebot: Sie dürfen nicht "in die Sozialsysteme einwandern". Die auf Einschluss weniger und Ausschluss vieler gefasste Bleiberechtsregelung bietet den Ausländerbehörden erst die Gelegenheit, verstärkt auf die "überflüssigen" und unbotmäßigen Menschen zuzugreifen, sie rechtstaatlich zu drangsalieren und aus ihrer prekären Bleibe in Deutschland zu vertreiben. Wo könnten übergreifende Initiativen liegen, die das Komitee mit anstoßen könnte?

 

III. Problemaufriss: Migration

Ein Zuwanderungsrinnsal von rund 21.000 Asyl und Schutz suchenden Menschen erreichte im letzten Jahr gerade noch die BRD. Statistisch ausgewiesen an den offiziell beantragten Asylgesuchen. In dieses Rinnsal haben sich jedoch schon die von Amtswegen für neugeborene Kinder von Asylsuchenden gestellten Antragsströme ergossen, nämlich jeder vierte Antrag. Mit dem Rückgang der Asylgesuche werde deutlich, so Innenminister Schäuble, dass Asylzugang als Zuwanderungsproblem zumindest quantitativ stark an Bedeutung verloren habe. Jedoch, um einen hohen Preis an Menschenopfern an den europäischen Außengrenzen. Die deutsche Ratspräsidentschaft strebt allgemein an: EU-Europa soll für seine privilegierten Bürgerinnen und Bürger zu einem Ort "persönlicher Sicherheit und Freiheit" werden. Dazu müssen jedoch die Aspirationen und Aufbrüche derer, denen es zu aller erst an existenzieller Sicherheit und körperlicher Unversehrtheit mangelt, niedergehalten und abgewehrt werden. Ihr Ort ist jenseits Europas und seiner Menschenrechte. Wie könnten wir initiativ werden gegen den permanenten Ausnahmezustand an Europas Außengrenzen?

 

Problemaufriss: Menschenrechte

Es bietet sich an die drei thematischen Arbeitsgruppen (Integration, Bleiberecht und Migration) einen inhaltlichen Rahmen zu geben. Da wäre zum einen, naheliegend, das Menschenrecht auf einen Ort in einer globalisierten und mobilen Welt, an dem Menschen sozial, politisch und kulturell eine Bleibe finden und zu Hause sein, emphatisch gesprochen, heimisch werden können, damit ihre Ort- und die damit verbundenen rechtlichen Ein- und Beschränkungen, die bis zur völligen Rechtlosigkeit der Lagermenschen reichen können, ein Ende finden, und sie sich ihren menschlichen Möglichkeiten und ihren Bedürfnissen gemäß entfalten können. Es wird aber auch, und dies ist die Kehrseite eines materiellen Menschenrechtsverständnisses, das aktuelle in den gesellschaftlichen Strukturen nistende Not wenden will, darüber nachzudenken und zu analysieren sein, warum Aufnahme von Zuwanderern seit über 40 Jahren in der BRD nicht gelingen will, warum auch heute alles daran gesetzt wird, damit Menschen hier nicht heimisch werden, warum institutionelle Rassismen und Diskriminierungen trotz aller staatlichen Menschenrechtsrhetorik fortbestehen, warum man mitleidlos Menschen zuhauf im Mittelmeer ersaufen lässt. Die Liste der Schäbigkeiten im gesellschaftlichen Umgang mit Immigranten, ihre Demütigungen und die Verletzung ihrer Menschenrechte ließe sich beliebig verlängern.

 

Vorläufige Tagungsstruktur (Stand: 29. Juni 2007)

 

Freitag, 7. September 2007

 

16.00 Uhr - 18.00 Uhr

Das Recht auf einen Ort in einer globalisierten mobilen Welt

Menschenrechtliche Einstimmung in das Tagungsthema (Wolf-Dieter Narr)

 

19.00 Uhr - 21.00 Uhr

Migratinnen und Migranten als Avantgarde? Transnationalität und das Recht auf einen Ort -

Kritische Anmerkungen zu raumgebundenen Migrationskonzeptionen

(angefragt Sehrat Karakayali)

 

anschließend Diskussion der Tagungsbeiträge

 

Samstag, 8. September 2007

 

9.30 Uhr - 12.30 Uhr

I a. Rassismus, Diskriminierung und sozioökonomische Ungleichheiten in der Bundesrepublik Deutschland und das Menschenrecht auf einen Lebensort, an dem politische und soziale Teilhabe möglich werden (Albert Scherr)

 

I b. Die bundesdeutschen Bleiberechtsregelungen - oder: Wie vielen hier lebenden Menschen das Recht auf einen Ort aus staatspolitischen und wirtschaftlichen Erwägungen verweigert wird

(Thomas Hohlfeld)

 

II. Die europäische Migrationspolitik zwischen Lager, Abwehrkampf und Rotationsmigration, die das Recht auf einen Ort allein im Sinne der wohlhabenden Regionen privilegiert

(Tobias Pieper / Christopher Nsoh)

 

Arbeitsgruppenphase mit aktiven Netzwerken

14.30 Uhr - 18.30 Uhr

 

Orte, an denen widerständige Lernprozesse ermöglicht und politisch-utopische Vorstellungen entwickelt werden können: Arbeitsgruppen zu den beiden Themenblöcken, Diskussion mit verschiedenen aktiven Gruppe und Suche nach Anknüpfungsmöglichkeiten für politische Initiativen

 

(Anfragen an: No-Lager-Netzwerk, Frassanito-Netzwerk, Karavane für die Rechte der Flüchtlinge, Voice, Kanak/Attak (Recht auf Legalisierung, Papiere für Alle), Conni Gunßer (Hbg. Flüchtlingsrat) ...

 

abends: Initiativen / Kabarett

 

Sonntag, 9. September 2007

(9.30 Uhr - 12.30 Uhr)

 

Das Recht auf einen Ort: Bundesdeutsche Dominanzkultur und Machtverhältnisse

(Birgit Rommelspacher)

 

Diskussionsbeitrag: Vor welchen Schwierigkeiten steht der Versuch, die Migrationsthematik angemessen zu politisieren und zu moralisieren (Albert Scherr)

Resümee und Ausblick auf praktische Initiativen