14. Dez. 2021 © Sebastian Weiermann, Bearbeitung durch CILIP
Polizei / Repression / Versammlungsrecht

Ist da etwas in Bewegung? Eine Bilanz der Proteste gegen verschärfte Polizeigesetze

Zehntausende Menschen haben 2018 in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und weiteren Bundesländern gegen Polizeigesetzverschärfungen protestiert.

Kann also zusätzlich zur Gesetzeswelle auch von einer Protestwelle gesprochen werden? Was wurde erreicht, was blieb auf der Strecke, was hallt bis heute nach?

Heiner Busch schrieb im August 2018, das einzig Positive an den aktuellen Verschärfungen vieler Landespolizeigesetze sei der breite Widerstand, der sich erstmals seit Jahrzehnten gegenüber derartigen Verschärfungen rege.[1] Zu diesem Zeitpunkt waren in München und Düsseldorf jeweils Zehntausende auf die Straßen gegangen, weitere Proteste waren angekündigt. Interessant ist, dass es gegen die Gesetzesverschärfungen zunächst einmal gar keinen spürbaren Widerspruch gab.

Am 1. August 2017 trat das bayerische Gesetz „zur Überwachung gefährlicher Personen“, kurz „Gefährdergesetz“, in Kraft. Kernpunkt des Gesetzes war die Möglichkeit, als „drohende Gefahr“ eingestufte Personen dauerhaft ohne Strafprozess in Gewahrsam zu nehmen. Bis auf Heribert Prantl, der am 20. Juli in der Süddeutschen Zeitung seinem Unmut Luft machte, das Gesetz mit Guantanamo verglich und von einer „Schande für den Rechtsstaat sprach“, wurde dies weitgehend unbeachtet durchgewunken.[2]

Auch als vier Monate später ein ähnliches Gesetz im vom Grünen Kretschmann regierten Baden-Württemberg verabschiedet wurde, war Kritik allein medial zu vernehmen. Das als Anti-Terror-Paket verkleidete Gesetz ging laut Kretschmann „an die Grenze des verfassungsrechtlich Machbaren“.[3] Wie im sogenannten bayerischen Gefährdergesetz und vielen folgenden Landespolizeigesetzen wurden unter dem Vorwand vermeintlicher Terrorbekämpfung weitreichende Präventivbefugnisse für die Polizei auch in Bezug auf die Allgemeinkriminalität geschaffen.

Spektrenübergreifende Mobilisierung

Erst im Frühjahr 2018 wendete sich das Blatt. Die bayerische Regierung hatte einen Entwurf zu einer weiteren, umfangreichen Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes vorgelegt, auch in NRW, Bremen und Niedersachsen lagen Entwürfe für deutliche Verschärfungen auf dem Tisch. In der Folge gründeten sich Protestbündnisse.

Das Bündnis „Brementrojaner“ ging mit einer Bündniserklärung am 4. April 2018 als erstes an die Öffentlichkeit.[4] Es reagierte auf den Gesetzesentwurf des SPD-geführten Innensenats und forderte die regierenden Parteien dazu auf, den laufenden Gesetzgebungsprozess für das Bremer Polizeigesetz abzubrechen. Die Mitglieder des Bündnisses „Brementrojaner“ erzielten auch als erste einen Etappensieg: Ende April 2018 erklärten die mitregierenden Grünen, dass sie den SPD-Entwurf nicht unterstützen werden – dieser wurde daraufhin auf Eis gelegt.

Etwa zeitgleich gründeten sich auch in Bayern und NRW landesweite Protestbündnisse, die jeweiligen Social Media Accounts datieren auf April 2018. Das Bündnis „NEIN! zum neuen Polizeiaufgabengesetz Bayern“ verkündete seine Gründung am 20. April 2018 bei einer Pressekonferenz. Als Ziel wurde ausgegeben, „die Verabschiedung des Gesetzes im Landtag durch einen breiten Bürgerprotest zu verhindern und die im August 2017 beschlossene Einführung der ‚drohenden Gefahr‘ und der theoretisch möglichen unendlichen Haft zurückzunehmen“.[5]

Das Bündnis „Nein zum neuen Polizeigesetz NRW“ trat am 25. Mai mit einer Pressemitteilung in die Öffentlichkeit. Erklärtes Ziel war auch hier, den Gesetzgebungsprozess zu stoppen.[6] Beide Bündnisse kündigten Großversammlungen mit bundeslandweiter Mobilisierung an: in Bayern sollte am 10. Mai 2018 eine Großkundgebung auf dem Marienplatz in München stattfinden; für Nordrhein-Westfalen wurde eine Großdemonstration in Düsseldorf am 7. Juli 2018 geplant.

Im Vorfeld dieser Großmobilisierungen wurde ein ganzes Feuerwerk an Aktionen und Veranstaltungen gezündet. Beeindruckend ist das auf der Webseite des nordrhein-westfälischen Bündnisses dokumentiert, das von April bis Juli 2018 kaum einen Tag ohne Termin zum Thema listet.[7] Im gesamten Bundesland fanden unzählige Informationsveranstaltungen statt. Städtebündnisse organisierten Kundgebungen, Mahnwachen und Demonstrationen. Das Bündnis war bei den Lesungen und Anhörungen am Düsseldorfer Landtag präsent.

Der Aufwand zahlte sich aus: die Argumente des Bündnisses fanden ihren Weg in die kritische Zivilgesellschaft und in die Medien.[8] Das Bündnis wuchs, immer mehr Gruppen kündigten ihre Teilnahme an der geplanten Großdemonstration in Düsseldorf an. Die Oppositionsparteien im Landtag lehnten das geplante Gesetz als verfassungswidrig ab, Expert*innen kritisierten den Entwurf bei einer öffentlichen Anhörung im Landtag scharf. Die FDP-Granden Gerhart Baum und Burkhard Hirsch der vormals bürgerrechtlich ausgerichteten Partei forderten die mitregierende FDP-Fraktion auf, dem Gesetz nicht zuzustimmen und drohten mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.[9]

Am 19. Juni 2018 kündigte NRW-Innenminister Herbert Reul „Nachbesserungen“ am Gesetz an und verschob die bis dato für Juli 2018 geplante Beschlussfassung auf nach der Sommerpause. Das Protestbündnis konnte die Stimmung nutzen und schaffte es, am 7. Juli 2018 knapp 20.000 Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen in Düsseldorf auf die Straße zu bringen: „Es ist einfach überwältigend, wie breit der heutige Protest ist. Es demonstrieren Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft gemeinsam und solidarisch. Sogar die Fans verschiedener, sonst rivalisierender Fußball-Clubs stehen zusammen auf der Straße“, kommentierte Sonja Hänsler, Sprecherin des Bündnisses.[10]

Zurück nach Bayern: Die hier organisierten Proteste überstiegen in ihrer Breite alle kühnen Hoffnungen. Im Vorfeld der Großkundgebung in München gingen in vielen bayerischen Städten jeweils tausende Menschen unter dem Motto #NoPAG auf die Straßen.[11] Am 10. Mai 2018 strömten in München zehntausende Menschen auf den Marienplatz und machten deutlich, dass sie das Polizeiaufgabengesetz ablehnen: es zirkulieren Zahlen zwischen 40.000 und 50.000 Personen.

Die bayerische Landesregierung unter Ministerpräsident Söder und Innenminister Herrmann war zu dem Zeitpunkt schon zur Diskreditierung der Proteste übergegangen. In einem Dringlichkeitsantrag und der zugehörigen Landtagsdebatte nannten sie Kritik am Gesetzesvorhaben eine „beispiellose Desinformationskampagne“ und bezeichneten die Mitarbeit von SPD, Grünen und FDP im Protestbündnis als „Gefahr für den Rechtsstaat“.[12]

Netzpolitik.org zeichnete in einem Faktencheck die Wandlungen der Kommunikationsstrategie des bayerischen Innenministers in Reaktion auf die unerwartet heftigen Proteste nach und entlarvte Herrmanns Aussagen als „Täuschungsmanöver“.[13] Letztlich wurde die zweite massive Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes in Bayern innerhalb nur eines Jahres am 15. Mai 2018 mit der absoluten Mehrheit der CSU im Landtag verabschiedet, 10 Tage später trat sie in Kraft. Als Reaktion zogen 2.000 Jugendliche am Abend der Beschlussfassung durch München, das Protestbündnis kündigte weitere Aktionen an.[14]

Die Protestbündnisse orientierten sich zeitlich jeweils an den Abläufen der Gesetzesberatung in den Landtagen. Oft wurden Protestaktionen und Versammlungen in zeitlicher Nähe zu Sachverständigenanhörungen, Landtagsdebatten und Terminen zur Beschlussfassung organisiert. Entsprechend zeitversetzt agierten die jeweiligen Landesbündnisse. Am 29. Juli 2018 trat das Bündnis „#noNPOG– Nein zum neuen niedersächsischen Polizeigesetz“ mit einer ersten Pressemitteilung an die Öffentlichkeit und erklärte, sich gegen den massiven Abbau an Grund- und Freiheitsrechten der Bevölkerung wehren zu wollen. Das Bündnis plane eine Informations- und Mobilisierungskampagne gegen das Gesetzesvorhaben mit dem Höhepunkt einer landesweiten Großdemonstration am 8. September 2018 in Hannover.[15]

Auch in Sachsen hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits das landesweite Protestbündnis „Polizeigesetz stoppen“[16] gebildet. Der lokale Dresdner Zusammenschluss „Sachsens Demokratie“ hatte sich schon 2011 gegründet und fokussierte sich nach dem Leak[17] des Referent*innenentwurfs für ein neues „Sächsisches Polizeivollzugsdienstgesetztes“ ab Mai 2018 auf dessen Verhinderung.[18] Im Herbst 2018 gesellte sich schließlich noch das „Bündnis gegen das neue Brandenburger Polizeigesetz“ hinzu. Am 17. Oktober wurde eine erste Pressemitteilung verschickt, eine Demonstration für den 10. November in Potsdam angekündigt.[19] Das Brandenburger Bündnis stellte insbesondere die Kritik an der rot-roten Regierungskoalition ins Zentrum und warf die Frage auf, warum ausgerechnet die LINKE den scharfen Gesetzentwurf entgegen eigener politischer Programmatik mit vorantrieb.

Bundesweite Dynamik des Protestgeschehens

Rückblickend wird deutlich, dass die Hochphase der Proteste durch die starke Mobilisierung zur #NoPAG-Demonstration in München am 10. Mai 2018 gestartet wurde, zwei weitere Höhepunkte am 7. Juli in Düsseldorf und am 8. September in Hannover erreichte, zum Jahresende langsam abflachte und mit einer etwa 7.000 Personen starken Demonstration in Dresden im Januar 2019 einen vorläufigen Schlusspunkt erreichte. In München gingen noch zwei weitere Male ähnlich viele Menschen wie am 10. Mai auf die Straße: am 22. Juli 2018 unter dem Motto #ausgehetzt gegen die populistische und rassistische Politik der CSU und am 3. Oktober 2018 unter dem Motto „Jetzt gilt’s“.

Die Demonstration #ausgehetzt wurde nicht vom #noPAG-Bündnis organisiert, sondern von einem breiteren Bündnis getragen, das sich umfassend gegen den Rechtsruck wandte.[20] „Jetzt gilt‘s“, die dritte Großdemonstration innerhalb eines Jahres in München, wurde wieder vom #noPAG-Bündnis organisiert und nutzte denselben Untertitel wie #ausgehetzt: „Gemeinsam gegen die Politik der Angst“, in Anspielung auf die Politik von CSU und AfD.[21] In Bayern vermischte sich der Protest gegen die Aufrüstung der Polizei und den Abbau von Bürger*innenrechten mit einem umfassenderen Protest gegen den Rechtsruck und die Allmachtsfantasien der CSU.

Obwohl die Verschärfungen des Polizeiaufgabengesetzes nicht verhindert werden konnten, begünstigten die Massenproteste eine breite demokratische Bewegung. Die CSU sollte daraufhin ihre absolute Mehrheit im bayerischen Landtag verlieren, konnte allerdings mit den Freien Wählern erneut eine rechtsgerichtete Koalition bilden.

Außerhalb Bayerns konnten die Münchner Teilnehmer*innenzahlen nicht erreicht werden, dennoch zählen die Mobilisierungen gegen die Polizeigesetzverschärfungen im Jahr 2018 zu den erfolgreichsten der letzten Jahre. Das gilt für die rund 20.000 Demonstrierenden in Düsseldorf und 15.000 in Hannover ebenso wie für die 1.500 Teilnehmer*innen am 10. November in Potsdam, respektive 7.000 Demonstrierende am 26. Januar in Dresden. Die Mobilisierungen und die jeweiligen Bündnisse bauten aufeinander auf, bezogen sich aufeinander und verstärkten die jeweilige bundeslandspezifische Dynamik – besonders gut lässt sich das mithilfe der Twitteraccounts aus Nordrhein-Westfalen[22] und Niedersachsen[23] nachverfolgen.

Das führte dazu, dass die Wahrnehmbarkeit der Proteste teilweise die Landesgrenzen überschritt, nicht allein in protestaffinen linken Zusammenhängen, sondern auch in der breiteren Medienöffentlichkeit.

Neben der gegenseitigen Unterstützung der Landesbündnisse wurden auch Anstrengungen unternommen, eine bundesweite Vernetzung aufzubauen. Im September 2018 fand ein erstes Vernetzungstreffen in Hannover statt. Eine bundesweite Mailingliste wurde eingerichtet, im monatlichen Turnus fanden Telefonkonferenzen zwischen Vertreter*innen der Landesbündnisse und bundesweit aktiver Akteur*innen statt. Es entstanden unterstützende Materialien wie eine von „Digitalcourage“ gepflegte Übersichtsseite mit Informationen zu Gesetzgebungsprozessen und Protesten.[24]

Die wohl einzige bundesweite Mobilisierung zum Thema auf der Straße fand dann unter dem Dach der ersten #unteilbar-Demonstration am 13. Oktober 2018 statt.[25] Der Aufruf verband soziale und Menschenrechtsthemen mit der Ablehnung der fortschreitenden Aufrüstung und des Abbaus von Freiheitsrechten. So schrieben die Veranstalter*innen: „Während der Staat sogenannte Sicherheitsgesetze verschärft, die Überwachung ausbaut und so Stärke markiert, ist das Sozialsystem von Schwäche gekennzeichnet“.[26] Es kann davon ausgegangen werden, dass die Großmobilisierungen der Vormonate gegen die Polizeigesetze zur schier unfassbaren Teilnehmer*innenzahl von mehr als 240.000 Menschen in Berlin beigetragen haben.

Ignoranz der Regierenden

Trotz der breiten Mobilisierungen und der länderübergreifenden Zusammenarbeit konnten die von den Bündnissen ausgegebenen Ziele, die jeweiligen Gesetzesentwürfe zu kippen, nicht erreicht werden – mit der leuchtenden Bremer Ausnahme. Im besten Falle wurden die Beschlussfassungen um einige Monate verzögert, zusätzliche Anhörungen und leichte Abschwächungen erzielt. So wurden die geplanten maximalen Gewahrsamszeiten in den Gesetzen in NRW und Niedersachsen gegenüber den ursprünglichen Plänen reduziert, in Brandenburg wurde die Quellen-TKÜ aus dem Entwurf gestrichen.[27]

Zumeist waren die leichten Änderungen allerdings Augenwischerei und begründeten die Kommunikationsstrategie der Regierungskoalitionen, sie hätten die Gesetze nun „entschärft“ oder „verfassungskonform“ ausgestaltet. Darauf fielen nicht nur viele Medien rein, die das Framing der Entschärfung übernahmen, sondern teilweise auch Oppositionsfraktionen wie die der nordrhein-westfälischen SPD, die dem Gesetz letztlich ohne Not zustimmte. Die Protestbündnisse drangen auch mit fundierter Kritik an den marginalen Änderungen und weiteren Straßenprotesten nicht mehr durch.[28] In Nordrhein-Westfalen wurde das neue Polizeigesetz am 12. Dezember 2018 verabschiedet, in Brandenburg am 13. März 2019; Sachsen und Niedersachsen folgten am 10. April und 14. Mai 2019.

Im Jahr 2019 und 2020 fanden weiterhin Proteste statt, u. a. vor den Beschlussfassungen in Brandenburg, Sachsen und Niedersachsen im Frühjahr 2019. Zudem zogen weitere Bundesländer mit Gesetzesverschärfungen nach, darunter Sachsen-Anhalt, Hamburg, das Saarland, Mecklenburg-Vorpommern, erneut Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. Es bildeten sich zumeist auch landesspezifische Protestbündnisse, die wiederum informierten, kritisierten und demonstrierten – sei es in Stuttgart, Freiburg, Hamburg, Kiel, Schwerin oder Saarbrücken.

Allerdings blieben die einzelnen Proteste abgekoppelt von denen in anderen Bundesländern, auch weil sie nicht mehr in ähnlich engem zeitlichen Zusammenhang zueinander stattfanden bzw. stattfinden konnten. So fanden sie kaum noch Widerhall außerhalb des eigenen Bundeslandes, bekamen wenig Unterstützung aus anderen Bundesländern und konnten nicht an die Mobilisierungserfolge von 2018 anknüpfen. Die Dynamik war abgeebbt.

Mittlerweile ist die „neue deutsche Welle“ der Polizeigesetzverschärfungen in den Bundesländern weitgehend abgeschlossen, nur wenige haben sich dem repressiven Trend verweigert. Thüringen wurde vielfach dafür gelobt, bei der Verschärfungswelle nicht mitgezogen zu haben – allerdings ohne den Hinweis, dass das Thüringer Polizeiaufgabengesetz erst 2013 verschärft, u. a. die Quellen-TKÜ schon eingeführt worden war.[29] Allein Berlin und Bremen haben andere Wege gewählt und mehr Augenmaß walten lassen.

Insbesondere auf das neue Bremer Polizeigesetz lohnt sich ein genauer Blick. Nach der Bürgerschaftswahl im Frühjahr 2019 wurde von der neuen rot-rot-grünen Koalition Ende 2020 ein Polizeigesetz verabschiedet, das zwar auch Verschärfungen vorsieht, diese aber deutlich moderater gestaltet. Zudem liegt ein besonderer Fokus auf demokratischen Kontrollmechanismen. Auch Racial Profiling wird erschwert, indem verdachtsunabhängige Kontrollen abgeschafft wurden.[30] Auch wenn sowohl die LINKE als auch die Grünen in Regierungsverantwortung zum Teil stark repressive und autoritäre Gesetze beschlossen haben, so waren moderatere Gesetze ebenso nur in Bundesländern mit deren Regierungsbeteiligung möglich. Starke Protestbewegungen und gesellschaftliche Diskussionen können dort den Unterschied machen zwischen einem repressiven oder eher bürgerrechtlich ausgestalteten Gesetz.

Was bleibt?

Der Druck auf den Straßen und die gesellschaftlichen Debatten mögen in vielen Bundesländern die Verschärfungen nicht verhindert haben. Aber sie haben immerhin umfangreiche Diskussionen um Polizeibefugnisse, Überwachungsmethoden und die Kontrolle der Polizei ausgelöst. Das Wissen um strukturelle Demokratiedefizite in Zusammenhang mit Polizei und vermeintlichen Sicherheitsgesetzen ist gestiegen. Heute führen wir andere Diskussionen um Polizei und Sicherheitsdiskurse als noch vor drei Jahren. Gleichzeitig haben es die Protestbündnisse zumeist versäumt, eigene Visionen und Gegenentwürfe zu vorherrschenden Ideen von Sicherheitspolitik zu entwickeln. Die Proteste gegen die Polizeigesetze wurden in erster Linie als Abwehrkämpfe geführt.

Selbst wenn eigene Forderungen formuliert wurden, spielten diese eine untergeordnete Rolle in der Kommunikation nach außen. Zudem wurden zwar richtigerweise die vielfältigen Auswirkungen der neuen Polizeibefugnisse auf Soziale Bewegungen thematisiert, aber die alltäglichen Auswirkungen auf marginalisierte Gruppen nur nachgeordnet besprochen. Die Rolle der Polizei in der Migrationskontrolle und -abwehr war kaum Thema, ebenso wenig wie RacialProfiling und Willkür gegen BPoC (Black and People of Color).

Dass es aber viele Anknüpfungspunkte und vor allem die Notwendigkeit für gemeinsame Kämpfe gibt, hat sich nicht zuletzt bei den starken Black Lives Matter Protesten gezeigt. Künftige Organisierungen gegen die fortschreitenden Verschärfungen von Überwachungs- und Sicherheitsgesetzen sollten die im Alltag besonders betroffenen Gruppen mehr ins Zentrum stellen, statt sie wie bisher erst im Nebensatz zu benennen.

Der Text ist Teil des Hefts CILIP 127 (Dezember 2021) Polizeirecht – Entgrenzung und Protest

 

Fußnoten:


[1]      Busch, H.: Neue deutsche Welle. Zum Stand der Polizeigesetzgebung der Länder, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 116 (Juli 2018), S. 64-71 (64)
[2]     www.sueddeutsche.de/bayern/gefaehrder-gesetz-bayern-fuehrt-die-unendlichkeitshaft-ein-1.3594307
[3]     netzpolitik.org/2017/baden-wuerttemberg-datenschutzbeauftragter-kritisiert-gruen-schwarzes-anti-terror-paket
[4]     brementrojaner.de/index.php/startseite
[5]     ebd.
[6]     www.no-polizeigesetz-nrw.de/2018/05/25/pressemitteilung-25-5-18-das-geplante-polizeigesetz-ist-grundrechtswidrig-protestbuendnis-laeutet-widerstand-gegen-das-geplante-polizeigesetz-nrw-ein
[7]     www.no-polizeigesetz-nrw.de/termine
[8]     s. Pressespiegel: www.no-polizeigesetz-nrw.de/pressespiegel
[9]     www.ksta.de/politik/geplantes-polizeigesetz–fdp-politiker-drohen-mit-klage-gegen-nrw-30577948?cb=1635678357855&
[10]   www.no-polizeigesetz-nrw.de/2018/07/07/pressemitteilung-zur-grossdemonstration-07-07-2018
[11]   goodnews-for-you.de/tausende-demonstrieren-gegen-neue-gesetze-in-bayern
[12]   www.nopagby.de/2018/04/27/pm-nopag-fordert-protest-ernst-nehmen-diskreditierung-unterlassen
[13]   netzpolitik.org/2018/bayerisches-polizeigesetz-billige-tricks-der-csu-entlarvt
[14]   www.nopagby.de/2018/05/16/csu-drueckt-pag-gegen-breiten-widerstand-durch-den-landtag-der-protest-geht-weiter
[15]   niedersachsentrojaner.de/pressemitteilungen/01
[16]   polizeigesetz-stoppen.de
[17]   www.buzzfeed.com/de/marcusengert/exklusiv-neues-polizeigesetz-in-sachsen-entwurf-geleaked
[18]   Die Protestaktionen in Sachsen sind auf dem Blog von Sachsens Demokratie chronologisch nachvollziehbar: www.sachsens-demokratie.net/page/11. Die Webseite des landesweiten Bündnisses „Polizeigesetz stoppen“ liefert hingegen deutlich weniger Informationen.
[19]   nopolgbbg.de/aktionen
[20]  ausgehetzt.org/ueber-ausgehetzt
[21]  www.nopagby.de/aufruf-zur-demo-am-3-10-in-muenchen
[22]  twitter.com/NoPolGNRW
[23]  twitter.com/NoPolGNDS
[24]  digitalcourage.de/polizeigesetze/uebersicht-bundeslaender
[25]  In kleinerem Maßstab nochmals im Folgejahr bei der #unteilbar-Demonstration in Dresden im Vorfeld der sächsischen Landtagswahlen.
[26]  www.unteilbar.org/uber-unteilbar/positionen/aufruf-13-10-2018
[27]  netzpolitik.org/2019/brandenburger-polizeigesetz-staatstrojaner-verhindert-grundrechte-trotzdem-beschnitten
[28]  polizeigesetz-nrw-stoppen.de/2018/11/21/pressemitteilung/polizeigesetz-nrw-stoppen-buendnis-fordert-vollstaendige-verhinderung-statt-kosmetischer-veraenderung-des-gesetzes
[29]  netzpolitik.org/2013/polizeiaufgabengesetz-in-thueringen-vorratsdatenspeicherung-staatstrojaner-abschalten-von-kommunikationsnetzen
[30]  Auch wenn es als Gegenentwurf zu den autoritären Gesetzen in vielen Bundesländern zu verstehen ist, muss das Bremer Polizeigesetz kritisch betrachtet werden. Hierzu lohnt sich dieser und der Folgeartikel im Verfassungsblog: verfassungsblog.de/gegen-den-verschaerfungsstrom