29. Juli 2020 © dpa

INFORMATIONEN 3-2020 | August 2020

Black Lives Matter. Institutioneller Rassismus und Polizeigewalt: Auch in Deutschland ein Problem

Der von den USA ausgehende Aufschrei gegen rassistische Polizeigewalt machte sich im Juni weltweit kraftvoll bemerkbar. Am Wochenende vom 6. Juni gingen allein in Deutschland rund 200.000 Menschen unter dem Motto „Black Lives Matter“ gegen Polizeigewalt auf die Straße – und sie meinten damit nicht nur die Verhältnisse in den USA. Die Themen Rassismus und Polizeigewalt drängen auch hierzulande mit Macht in den öffentlichen Diskurs. Die Innenministerien und Polizeiführungen warnen derweil vor „Vorverurteilungen“.

Sie versuchen, die Frage des Rassismus in der Polizei auf ein Problem individueller falscher Einstellungen von Beamt*innen zu reduzieren, das sich durch etwas Aufklärung und Fortbildung verändern ließe – und ohnehin nur bei einigen wenigen „schwarzen Schafen“ anzutreffen sei. Sicher: Aufklärung und Fortbildung können nicht schaden. Und dass es nicht wenige Polizeibeamt*innen mit rassistischen und neonazistischen Einstellungen gibt, haben die rechten Netzwerke gezeigt, die in den letzten Monaten innerhalb der Sicherheitsbehörden aufgedeckt wurden. Es ist aber nur ein Teil der dringlichen Arbeit, diejenigen aus dem Polizeidienst zu entfernen, die als „NSU 2.0“ Drohbriefe verschicken oder offen rassistisch auftreten. Ebenso ist es notwendig, institutionalisierte rassistische Praktiken zu erkennen und abzuschaffen, insbesondere rassistische Fahndungs- und Kontrollmuster.

DIE LIZENZ ZUM RASSISMUS

Wer nicht weiß ist oder sonst aufgrund äußerlicher Merkmale als „nicht deutsch“ gelesen wird, wird von der Polizei häufiger kontrolliert als der Rest der Bevölkerung. Diese Praxis, Personen aufgrund phänotypischer Merkmale für Kontrollen auszuwählen, heißt Racial oder Ethnic Profiling. Es verletzt die Menschenwürde und verstößt gegen Grund- und Menschenrechte. Zudem trägt die Außenwirkung dieser selektiven Kontrollen dazu bei, rassistische Stereotype zu verfestigen. Sowohl internationale als auch nationale Menschenrechts- und Antidiskrikriminierungsgremien attestierten Deutschland wiederholt institutionellen Rassismus, einen mangelhaften Schutz von Diskriminierungsopfern und eine behördliche Abwehrhaltung gegenüber diesem Problem.

Deutschland wurde von den Vereinten Nationen und mehrfach von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) aufgefordert, ein wirksames Verbot von Racial Profiling aufzustellen. Zuletzt im März 2020 im sechsten periodischen Länderbericht zu Deutschland, in dem auch darauf gedrängt wird, eine Studie durchzuführen, „die die aktuelle Überprüfungspraxis analysiert und zu Empfehlungen führt, die nachhaltig Racial Profiling verhindert und die Zahl der unbegründeten Polizeikontrollen reduziert.“ Zunächst sah es so aus, als würde diese langjährige Forderung auf Initiative des Justizministeriums erfüllt. Am 5. Juli 2020 gab Bundesinnenminister Horst Seehofer allerdings bekannt, er sehe dafür „keinen Bedarf“, denn Racial Profiling sei ohnehin verboten und finde demnach auch nicht statt.

Die Journalistin Frida Thurm kommentierte, nach dieser Logik brauche es auch keine Radarkontrollen und keine Türschlösser, da Rasen und Klauen schließlich auch verboten seien. So richtig es ist, die absurde Begründung zu kritisieren, so wichtig ist es darauf hinzuweisen, dass der Bundesinnenminister hier nur die offizielle Linie der Bundesregierung des letzten Jahrzehnts wiederholt.

Schon 2013 antwortete die Bundesregierung auf Empfehlungen des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen, ein wirksames Verbot von Racial Profiling umzusetzen, folgendermaßen: Da Racial Profiling verboten sei, werde es nicht praktiziert und entsprechend sei die Empfehlung schon erfüllt. Neu ist also nicht die Abwehrhaltung des Innenministeriums, neu war vielmehr der Vorstoß des Justizministeriums, diese seit langem geforderte Studie tatsächlich aufzusetzen. Diese könnte das Ausmaß des in Deutschland praktizierten Racial Profiling in offizielle Statistiken gießen.

Doch die notwendigen politischen Konsequenzen sind auch ohne diese Studie seit Jahren bekannt: Aktuelle Befugnisnormen der Bundespolizei und der Länderpolizeien wiederholt. Schon 2013 antwortete die Bundesregierung auf Empfehlungen des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen, ein wirksames Verbot von Racial Profiling umzusetzen, folgendermaßen:
Da Racial Profiling verboten sei, werde es nicht praktiziert und entsprechend sei die Empfehlung schon erfüllt. Neu ist also nicht die Abwehrhaltung des Innenministeriums, neu war vielmehr der Vorstoß des Justizministeriums, diese seit langem geforderte Studie tatsächlich aufzusetzen.

Diese könnte das Ausmaß des in Deutschland praktizierten Racial Profiling in offizielle Statistiken gießen. Doch die notwendigen politischen Konsequenzen sind auch ohne diese Studie seit Jahren bekannt: Aktuelle Befugnisnormen der Bundespolizei und der Länderpolizeien enthalten die Möglichkeit der verdachtsunabhängigen Kontrollen und damit sozusagen die Lizenz zum Racial Profiling.

Dazu zählt auch die Auslobung „gefährlicher Orte“, die sich oft in migrantisch geprägten Stadtviertelnbefinden und somit ganze Stadtteile und ihre Bewohner*innen kriminalisieren. Der grundlegende Schritt, um wirksam Racial Profiling zu verhindern, wäre also das Streichen sämtlicher Befugnisnormen, die verdachtsunabhängige Kontrollen erlauben. Das weiß Horst Seehofer natürlich. Wie es aussieht, ist der „Verfassungsminister“ aber für den Moment damit erfolgreich, diesen menschenrechtlich unhaltbaren und rassistischen Status Quo zu erhalten.

 

Aus dem Inhalt:

Editorial: Black Lives Matter. Institutioneller Rassismus und Polizeigewalt: Auch in Deutschland ein Problem

„Death In Custody“ – Staatsgewalt und institutionalisierter Rassismus in Deutschland

Stigmatisierung und Ausbeutung: Antiziganismus in den Zeiten von Corona

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