16. Mai 2012 © Media Base
Versammlungsrecht

»In dieser Radikalität einmalig« Interview zu Blockupy mit Elke Steven im nd

In der Zeitung "Neues Deutschland" wurde am 15. Mai 2012 folgendes Interview abgedruckt: Elke Steven über die Stadt Frankfurt, Solidarität mit den Banken und Abschreckung als Kalkül

ELKE STEVEN vom Komitee für Grundrechte und Demokratie kritisiert den Konfrontationskurs der Stadt Frankfurt

gegenüber den Krisenaktionstagen. Mit der Soziologin sprach INES WALLRODT.

nd: Frankfurt will auch Ihre Demonstration für das uneingeschränkte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verbieten. Entlarvung geglückt, oder?

Steven: Das ist ja das Erschreckende! Wir hatten nicht wirklich damit gerechnet. Mir ist unklar, wie das Ordnungsamt nachweisen will, wir würden zu Gewalttätigkeiten in Frankfurt aufrufen. Wir haben ja auch gar nichts mit dem Bündnis zu tun. Unsere Kundgebung will ja für das uneingeschränkte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit eintreten. Aber auch der Rechtsweg ist schwierig, weil alles so kurzfristig ist. Das ist ja auch so gewollt.

nd: Der Staat sitzt am längeren Hebel?

Steven: Das Vorgehen hat weitreichende Folgen. Die Demonstranten von Blockupy hatten auf ein Camp gehofft und wissen nun nicht, wo sie in Frankfurt unterkommen können und ob sie überhaupt da sein dürfen. Das ist verunsichernd und abschreckend, vor allem für Familien mit Kindern und diejenigen, die etwas etablierter sind und auf Unterkunftsmöglichkeiten angewiesen sind. In Deutschland wird der arabische Frühling von der breiten Bevölkerung gefeiert und zugleich wird hier das Demonstrationsrecht abgeschafft. Das steht in keinem Verhältnis.

nd: Das Ordnungsamt sagt, dass es bei einer anderen Demonstration gegen die Krise Ende März in der Stadt zu Krawallen kam. Kann das ein Verbotsgrund sein?

Steven: In der Tat sind damals Straftaten passiert. Sachen sind angezündet und beschmiert worden, Glasscheiben eingeschmissen worden. In wie weit das wirklich der Demonstration anzurechnen ist, bezweifle ich jedoch. Erfahrungsgemäß werden für Verbote einzelne Ereignisse als Begründung angeführt, die mit den angemeldeten Versammlungen überhaupt nichts zu tun haben. Zumal dieses Mal ein ganz anderes Bündnis die Aktionstage organisiert.

nd: Ist das Vorgehen der Stadt Frankfurt Ausnahme oder Trend?

Steven: Ein solch massives, zeitliches und räumliches Demonstrationsverbot ohne jede Kompromissbereitschaft hat es in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Es ist in dieser Radikalität einmalig. Selbst bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm im Jahr 2007 stand nicht in Frage, dass es Camps zum Übernachten geben könnte und dass es vor Ort Protestmöglichkeiten geben müsste. Andererseits sind Versuche, das Demonstrationsrecht einzuschränken, nicht neu.

nd: Die Stadt ist mit einem Teil seiner Verbote vom Gericht zurückgepfiffen worden. Das war absehbar. Wie erklären Sie sich, dass staatliche Behörden offenbar bewusst gegen Grundrechte der Bürger verstoßen?

Steven: Das ist schwer zu sagen. Die durch die Proteste angeblich befürchteten Einschränkungen der Lebensmöglichkeiten der Bürger in Frankfurt produzieren sie im Moment selber. Die Straßenbahnen fahren nicht, es gibt ein riesiges Polizeiaufgebot in der Stadt. Wenn Einschränkungen ohnehin stattfinden, warum dann nicht auch die Demonstrationen? Offenbar solidarisiert sich die Stadt Frankfurt aber mit den Banken und scheint jede Kritik an der europäischen Finanzpolitik und an der Europäischen Zentralbank unterbinden zu wollen.

nd: Blockupy will den »Finanzplatz besetzen, lahmlegen, blockieren«. Mussten die Organisatoren nicht mit Verboten rechnen?

Steven: Wenn man politischen Protest mobilisieren will, geht das nicht ohne vollmundige Ankündigungen. Eine Stadt und ein Gericht haben die Aufgabe zu prüfen, wie realistisch das ist und wie gut die Polizei mit solchen Protesten umgehen kann. Es wird ja nicht zum ersten Mal zu Blockaden aufgerufen. Seit den Sitzblockaden der Friedensbewegung, den Anti-Atom-Protesten bis hin zum G8-Gipfel hat die Polizei viele Erfahrungen damit sammeln können.

nd: Auch das Verwaltungsgericht Frankfurt findet einen Großteil der Verbote richtig und verweist auf die Rechte Dritter. Inwiefern müssen andere Demonstranten Rücksicht nehmen, dass Leute im Bankenviertel leben und arbeiten?

Steven: Das Versammlungsrecht ist ein Grundrecht. Dafür müssen andere auch in Kauf nehmen, dass es Einschränkungen gibt. Jede große Demonstration hat Einfluss auf den Verkehr. Wenn die Geschäfte meinen, dass ihr Geschäftsinteresse und ihr Gewinninteresse über den Grundrechten steht, dann ist das erschreckend.

nd: Was hätten Sie von der Stadt erwartet? Einen Aufruf an die EZB, mal einen Tag frei zu machen?

Steven: Es wird doch nicht so sein, dass Millionen Menschen Frankfurt belagern. Realistisch betrachtet muss man davon ausgehen, dass ein paar Tausend Menschen kommen - zu der Demonstration am Sonnabend mehr, zu den Aktionen weniger. Die Stadt hätte also lediglich mit den Anmeldern ein paar Dinge aushandeln müssen und beispielsweise schauen, auf welchen Plätzen Zelten möglich ist. Die Polizei hat überdies Möglichkeiten, bestimmte Eingänge offenzuhalten.

nd: Halten Sie Blockaden als Protest gegen die Krisenpolitik für angemessen?

Steven: Blockaden unterliegen dem Versammlungsrecht. Sie sind also nicht immer schon ziviler Ungehorsam. Sie können leichter von der Polizei aufgelöst werden als sonstige angemeldete Versammlungen. Aber es ist doch eine sehr eingespielte Form. Was angemessen ist, entscheiden die Bürger selbst. Und dann muss eine Demokratie Formen finden, damit umzugehen.

nd: Das Blockupy-Bündnis geht weiter juristisch gegen die Verbote vor. Wie sehen Sie die Chancen?

Steven: Ich hoffe zumindest, dass die anderen Gerichte noch sehr viel mehr erlauben werden. Aber das ist jetzt zeitlich alles sehr eng. Das Bundesverfassungsgericht kann nur eine Eilentscheidung treffen und dabei werden oft viele Behauptungen von Gerichten und Polizei ungeprüft übernommen.

nd: Kann man unter den Umständen mit gutem Gewissen zu einer Fahrt nach Frankfurt raten?

Steven: Ja, man muss es trotzdem. Aber natürlich muss dann jeder selber wissen, wie er damit umgeht. Ich hoffe, dass bis dahin weitere Entscheidungen von den Gerichten gefällt sind, die es noch einmal leichter machen und tatsächlich Möglichkeiten für den Protest eröffnen. Ich möchte aber auch betonen: Seit den 60er/70er Jahren hat sich ein großes Selbstbewusstsein der Bürger entwickelt, sich das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu nehmen. Sie sehen viel klarer, dass der Staat nicht einfach so alles verbieten darf.

nd: Die Blockupy-Aktionstage starten heute in Frankfurt am Main. Der Protest richtet sich gegen die Krisenpolitik der Troika von EZB, IWF und EU-Kommission. Nach Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt können am Mittwoch und Sonnabend Demonstrationen stattfinden. Sämtliche für Donnerstag und Freitag in der Innenstadt geplanten Aktionen bleiben verboten. Dagegen hat das Blockupy-Bündnis beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel Berufung eingelegt. Notfalls will es bis zum Bundesverfassungsgericht gehen.

www.blockupy-frankfurt.org

www.neues-deutschland.de/artikel/227045.in-dieser-radikalitaet-einmalig.html