In den letzten Monaten haben sich in Solingen und Köln-Mülheim mehrere Brand- und Sprengstoffanschläge ereignet. Das schafft große Verunsicherungen, schließlich hat das Ausmaß rassistischer, antisemitischer und misogyner Gewalt im Jahr 2023 stark zugenommen.
Kölner Initiativen äußern nun scharfe Kritik an den Ermittlungsbehörden und warnen davor, dieselben Fehler wie beim NSU zu wiederholen und Rassismus als Motiv beiseitezuschieben. Wir rufen zur Unterstützung der Betroffenen auf und dazu, die Polizeiarbeit kritisch zu beobachten. In einem Offenen Brief bitten wir auch die Kölner Oberbürgermeisterin, sich für lückenlose Aufklärung und die Unterstützung der Betroffenen einzusetzen.
Was ist passiert?
In den letzten Monaten gab es mehrere Brand- und Sprengstoffanschläge in Solingen und Köln-Mülheim mit teils verheerenden Folgen (siehe unten). In Solingen wurde eine bulgarische Familie getötet und ein von Einwander*innen bewohntes Haus völlig zerstört. In Köln-Mülheim wurden gleich drei Häuser angegriffen, darunter auch eines in der Keupstraße. Hier wurde erheblicher Schaden angerichtet. Alarmierend ist, dass sowohl Solingen als auch Köln-Mülheim, insbesondere die Keupstrasse, aus der Vergangenheit als Ziele rechtsextremer Anschläge bekannt sind. Damals haben die Sicherheitsbehörden die Betroffenen selbst verdächtigt. Dieses rassistische Narrativ wurde von den Medien kritiklos übernommen. Die Betroffenen Keupstrasse sprechen deshalb „von der Bombe nach der Bombe" und beklagten die mangelnde Empathie und ausbleibende Solidarität in der Stadtgesellschaft.
Doch diese Narrative von damals finden sich auch jetzt wieder: Die jüngsten Anschläge werden im Fall von Solingen mit "Clan-Kriminalität" in Verbindung gebracht oder, bei den Sprengstoffanschlägen in Köln, als kriminelle Auseinandersetzungen im Drogenmilieu dargestellt. Die Polizei nimmt erneut die Betroffenen ins Visier.
In Solingen wurde Rassismus als Motiv schnell ausgeschlossen, auf der Keupstrasse schafft die Polizei ein "Dialogangebot" und spricht dabei davon, dass so überprüft werden solle, ob es einen persönlichen Hintergrund geben könnte.
Kritische Berichterstattung darüber gibt es bisher nicht. Stattdessen übernehmen viele Journalist:innen erneut ungeprüft die Sicht der Polizei und geben Erkenntnisse der niederländischen Polizei über die sogenannte „Mocro-Mafia“ wieder, ohne den stigmatisierenden Begriff zu hinterfragen, der suggeriert, dass die Verdächtigen ausschließlich marokkanischer Herkunft seien.
Historischer Kontext
Das Reproduzieren des perfiden Narrativs der Opfer-Täter-Umkehr weckt vor allem auf der Keupstrasse und in Solingen schmerzliche Erinnerungen. Die Betroffenen hatten damals von Anfang an die Vermutung, dass die Täter Nazis sind. Statt Aufklärung und Gerechtigkeit zu erfahren, wurden sie verdächtigt und schikaniert. Heute sind viele wieder verunsichert, fragen sich, ob die Polizei, sie dieses Mal schützt oder ihre Fehler wiederholt.
Konsequenzen sind notwendig
Wir appellieren an Medienschaffende, Narrative kritisch zu hinterfragen und eine rassismussensible und rassismuskritische Berichterstattung zu gewährleisten. Es kann nicht sein, dass Communities an den Tatorten rechter Gewalt wie in Solingen und Köln-Mülheim angegriffen werden und die Medien die Sicht der Polizei wieder unkritisch übernehmen, ohne Kontakt mit Betroffenen aufzunehmen und selbst zu recherchieren, ob es andere Hinweise und Spuren gibt, denen die Polizei bisher nicht nachgegangen ist.
An die Politik richtet sich der dringende Aufruf, Druck auf die Ermittlungsbehörden auszuüben! Die Betroffenen wollen nicht Jahre danach fragwürdige Entschuldigungen für Versäumnisse hören, sondern im Hier und Jetzt Aufklärung!
Es ist von größter Dringlichkeit, dass die aktuellen Vorfälle in Solingen und Köln-Mülheim umfassend aufgeklärt werden. Das alarmierende Ausmaß rechter Gewalt und die Normalisierung von Rassismus und Antisemitismus führen zu einer dramatischen Ausweitung von Gefahrenzonen und zu einem Klima der Angst und Unsicherheit bei Betroffenen.
Gerade vor dem Hintergrund des Aufstiegs der AFD ist es wichtig, diese Ereignisse nicht entpolitisiert zu betrachten. Mit dieser Bedrohung dürfen wir Betroffene nicht allein lassen. Der NSU-KOMPLEX lehrt, dass wir uns bei der Bekämpfung rassistischer und demokratiefeindlicher Akteure nicht auf den Staat verlassen können.
Wir werden die Ermittlungen der Polizei kritisch beobachten und nicht aufhören, politische und mediale Hetze anzugreifen und rufen dazu auf, Betroffene zu unterstützen, Solidarität zu zeigen und Verantwortung zu übernehmen.
Antifa AK Köln
Herkesin Meydanı – Platz für alle
Interventionistische Linke Köln
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Lux
Migrantifa Köln
No Borders Cologne
Radio Nordpol
Übersicht
25. März 2024: Solingen-Höhscheid: Brandstiftung Grünewalder Straße 69, 4 Tote
https://www1.wdr.de/nachrichten/solingen-brandstiftung-machete-pressekonferenz-100.html
https://www.migazin.de/2024/05/01/solingen-angst-trauer-und-misstrauen/
9. Juni 2024: Solingen-Wald: Brandstiftung Wittkuller Straße
https://herkesinmeydani.org/aktuelles/erneuter-brandanschlag-in-solingen
25. Juni 2024: Solingen: Brandanschlag auf ein Café, Konrad-Adenauer-Straße
https://rp-online.de/nrw/staedte/solingen/explosion-vor-cafe-in-der-solinger-nordstadt-fuehrt-spur-zu-drogenmafia_aid-115860263
29. Juni 2024: Köln-Mülheim Keupstraße
https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/12415/5812435, https://www.ksta.de/region/oberberg/engelskirchen/explosion-engelskirchen-loope-kripo-sucht-zeugen-820173
30. Juni 2024: Köln-Mülheim 3:25 Holweider Straße
https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/12415/5812775
https://www.t-online.de/region/koeln/id_100437954/koeln-pyroattacken-in-muelheim-und-buchheim-geben-polizei-raetsel-auf.html
30. Juni 2024: Köln-Mülheim Wichheimer Straße
https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/12415/5812775
https://www.express.de/koeln/koeln-explosionen-erschuettern-wohnhaeuser-an-der-keupstrasse-820567
https://www.reddit.com/r/cologne/comments/1drytce/comment/lb5doji/
https://www.ksta.de/koeln/muelheim/muelheim-veedel/koeln-muelheim-drei-detonationen-explosion-vor-wohnhaeusern-keupstrasse-betroffen-1-819397
1. Juli 2024: Engelskirchen-Loope, Im Auel
https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/12415/5813551
https://www1.wdr.de/nachrichten/explosionen-koeln-muelheim-100.html
https://www.tagesschau.de/inland/regional/nordrheinwestfalen/wdr-weitere-explosion-im-raum-koeln-100.html