Demo gegen verschärftes Polizeigesetz in NRW. Innenminister täuscht mit Begrifflichkeiten. Gespräch mit Michèle Winkler
Ein breites Bündnis ruft für Sonnabend zu einer neuerlichen Demonstration gegen die geplante Verschärfung des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes in Düsseldorf auf. Am gleichen Tag wird in Hannover gegen das niedersächsische Pendant protestiert. NRW-Innenminister Herbert Reul von der CDU hat seinen Gesetzentwurf nach eigenen Angaben deutlich entschärft. Was haben Sie nun noch zu kritisieren?
Angaben, die Herr Reul macht, muss leider grundsätzlich mit Misstrauen begegnet werden. So ist es auch in diesem Fall. Alle kritisierten Maßnahmen sind weiterhin im Entwurf enthalten: Staatstrojaner, Elektroschocker, Schleierfahndung, Ausweitung der Videoüberwachung, Hausarrest, Kontaktverbote, elektronische Fußfesseln und längeres Einsperren auf bloßen Verdacht. Insgesamt stellt das Gesetz eine Absage an eine freie Gesellschaft dar. Die Polizei bekommt geheimdienstliche Befugnisse. Dadurch kann sie missliebigen Personen ohne großen Begründungsaufwand den Gefährderstempel aufdrücken, ihnen Hausarrest oder eine Fußfessel verpassen oder sie gleich in die Gewahrsamszelle stecken. Sich dagegen zu wehren, ist zudem deutlich schwieriger, als sich in einem Strafprozess zu verteidigen. Einerseits ist der Zugang zu Rechtsbeistand deutlich schlechter geregelt. Andererseits ist es sehr viel komplizierter zu beweisen, dass man etwas nicht tun wollte, als zu belegen, dass man etwas nicht getan hat. »Im Zweifel für den Angeklagten« – das hat ausgedient.
Auf die ursprünglich geplante Einführung des Begriffs der »drohenden Gefahr« hat Reul verzichtet …
Auch diese Behauptung ist eine Täuschung. Es hilft nicht, einfach die kritischen Worte zu streichen, und den Rest an anderen Stellen im Text wieder einzubauen. Die heftig kritisierte Vorverlagerung von Eingriffsbefugnissen ist nach wie vor elementarer Teil des Gesetzestextes. Neu hinzugefügt wurde ein weit gefasster Katalog über »terroristische Straftaten«. Danach könnte in Zukunft bereits das Beschädigen eines Polizeifahrzeugs als Terrorismus gewertet werden – allerdings nicht das tatsächliche Handeln, sondern die Prognose, dass das geplant sei. Die Polizei wird von einer Behörde, die Straftaten aufklären soll, zu einem Kontrollgremium der Gesellschaft. Das ist eine Dystopie, in der wir nicht leben wollen – und das werden wir deutlich machen.
Für welche Personengruppen birgt das Gesetz besondere Gefahren, sollte es nun von der CDU-FDP-Landesregierung beschlossen werden?
Wenn die Polizei alle kontrollieren darf, wird sie auf Stereotype zurückgreifen und das »Erfahrung« nennen. Es trifft also die, die auch heute schon besonders im Fokus stehen: Geflüchtete und als nicht weiß wahrgenommene Menschen sowie Wohnungslose, Bettelnde und Drogenkonsumenten. Aber auch Fußballfans und politisch Aktive, wie Klimaschützerinnen oder Antifaschisten. Und alle, die sich regelmäßig an »gefährlichen Orten« aufhalten oder das Pech haben, dort zu wohnen. Das betrifft vor allem Menschen mit geringem Einkommen.
Was könnte Demonstrantinnen und Demonstranten drohen?
Denkbar ist die Speicherung ihrer Demobesuche und das Erstellen von auf diesen Daten basierenden Gefahrenprognosen. Die könnten beispielsweise zur Überwachung der Kommunikation oder zu Maßnahmen wie Aufenthalts- oder Kontaktverboten führen.
Sehen Sie Chancen, das Gesetz durch Gerichte stoppen zu lassen?
Wir sind zwar überzeugt, dass viele Einzelteile des Gesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben werden. Aber bis das entschieden wird, gehen Jahre ins Land, und solange ist der ganze Müll erst einmal erlaubt. Wir sehen es daher als unsere Aufgabe, das Gesetz politisch zu stoppen. Die Schäden, die damit angerichtet werden, können nicht zurückgenommen werden. Für die Menschen, die in einer Gewahrsamszelle sitzen, ändert eine Verfassungsbeschwerde erst einmal nichts an ihrer Situation.
Dieses Interview wurde von Markus Bernhardt geführt und erschien am 8.12.2018 in der Jungen Welt