Seit den rassistischen Morden in Hanau im Februar sind bereits einige Monate vergangen. Dort waren am 19. Februar zehn Menschen getötet worden, die meisten von ihnen wurden in zwei Shisha-Bars erschossen. Der Attentäter tötete später seine Mutter und sich selbst. Der Angriff auf die Gäste der Shisha-Bars kam wohl nicht von ungefähr. Der Täter suchte die Opfer gezielt, augenscheinlich gemäß seines rassistischen und völkischen Weltbildes. Shisha-Bars sind stark migrantisch geprägte Orte – auch, weil ihre Gäste in anderen Clubs und Diskotheken häufig unerwünscht sind. Sie gelten nicht nur in vielen Medien als kriminelle Hotspots. Auch bei Polizei und Innenministerien stehen sie unter Generalverdacht und sind oft Ziel rassistischer Polizei-Razzien.
Bald nach der Tat wurde die Berichterstattung über das Attentat und notwendige politische Folgen durch die allgegenwärtigen Nachrichten über die Corona-Krise verdrängt. Die Pandemie hat für die Hinterbliebenen aber weitere einschneidende Auswirkungen, so wird die Trauerarbeit und das gemeinsame Gedenken durch die Kontaktsperre nahezu verunmöglicht. Trauer, Angst und Wut sind für die betroffenen Menschen nach den Morden längst nicht vorbei. Einerseits die Angst und das Wissen, dass eine solche Tat sich jeder jederzeit wiederholen kann und Wut darüber, dass einfach zurückgekehrt wird zur Tagesordnung und auch dieses Attentat ohne Konsequenzen bleibt.
RASSISMUS IST DIE MUTTER ALLER PROBLEME
Politiker*innen fanden für den rechtsterroristischen Anschlag in Hanau ungewöhnlich klare Worte und besuchten die Angehörigen und den Tatort direkt am Folgetag. Dies kann als ein wichtiges Zeichen der Anerkennung für die Hinterbliebenen verstanden werden. Der alltägliche Rassismus wurde endlich von Regierungsvertreter*innen als Problem benannt und teilweise selbstkritisch reflektiert.
Keine Rede war allerdings von dem allgegenwärtigen institutionellen Rassismus, der der rechten Gewalt immer neue Nahrung gibt. Während man die Morde von Hanau noch als rassistisch verurteilte, wurde nur wenige Wochen später im gleichen Atemzug die Gewalt gegen Geflüchtete, die an der türkisch-griechischen Grenze mit Waffengebrauch zurückgedrängt wurden, als „legitime Notwehr“ begründet. Und wie könnte man einem Innenminister ernsthaft glauben, er würde alles tun, um zukünftig rassistische Morde zu verhindern, dessen eigene Aussage, die Migration sei die „Mutter aller Probleme“, seine Politik beispielhaft auf den Punkt bringt?
Die rechtsterroristischen Morde von Hanau werden nicht die letzten sein, dies kann wohl als eine traurige Gewissheit gelten. Zu allgegenwärtig sind rassistische Einstellungen und Gruppierungen, zu weitläufig die Möglichkeiten ideologischer Radikalisierung im Internet, zu ungenau und intransparent das Vorgehen der Sicherheitsbehörden, und zu wenig zielgerichtet die Maßnahmen, die als Antworten vorgeschlagen werden. Der Mörder hat die Taten wohl allein begangen, aber er war kein Einzeltäter, sondern mindestens ideologisch mit rechten Netzwerken verbunden. Wie auch im NSU-Komplex muss daher eine zentrale Forderung die nach lückenloser Aufklärung sein.
Es stellt sich zudem die Frage, ob und wie die Zivilgesellschaft vorbereitet ist auf einen nächsten Mord, der womöglich an einem Ort geschehen wird, in denen keine ähnlich solidarischen und antifaschistischen Strukturen existieren, wie sie in Hanau seit Jahren vorhanden sind. Diese sorgen seit dem Anschlag nicht nur für eine angemessene Unterstützung der Hinterbliebenen, sondern auch für Möglichkeiten des selbstbestimmten Gedenkens abseits staatlicher Veranstaltungen. Dort sprechen potentiell von rassistischer Gewalt Betroffene, und die Opfer stehen im Mittelpunkt und nicht der Täter. Dies alles ist nicht selbstverständlich, wie wir aus der Erfahrung im öffentlichen Umgang mit vergangenen Morden wissen.
Die Erinnerung an rassistische Morde zu erhalten und damit die Aufmerksamkeit wach zu halten, ist eine zentrale gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe, lokal wie auch überall. In Köln unterstützen wir als Grundrechtekomitee daher die Forderung nach der Errichtung eines Mahnmals an der Keupstraße, nahe dem Ort, an dem der NSU 2004 eine Nagelbombe zündete, um einen Massenmord an Migrant*innen zu verüben.
Die Initiative „Herkesin Meydanı – Platz für Alle“ versucht seit mehreren Jahren, dort einen Lern- und Erinnerungsort in Gedenken an die Opfer der rassistischen Anschläge des Nazi-Netzwerks „NSU“ einzurichten. Seitdem ein zunächst genehmigter Ort aufgrund eines Eigentümerwechsels verweigert wird, steht die Errichtung des Mahnmals in der Schwebe. In Köln gibt es damit auch 20 Jahre nach dem ersten Mord des NSU keinen sichtbaren Gedenkort – anders als in allen anderen Städten, in denen der NSU gemordet oder Anschläge begangen hat.