Mit gierigen Augen starren die Unternehmen auf jedwede Möglichkeit, Daten zu ergattern. Das neue E-Health-Gesetz, das am 1. Januar 2016 in Kraft getreten ist, scheint diese Gier zu befeuern. Schon eine Woche nach Verabschiedung des Gesetzes meldete SAP, ein Anbieter für Unternehmenssoftware, mit einer neuen Software würden Daten unter anderem aus der medizinischen Forschung und aus elektronischen Patientenakten besser als bisher nutzbar. Mit diesem Programm kämen sie einem lückenlosen Gesundheitsnetzwerk noch näher. Im Interesse der Gesundheit – versteht sich.
Der Chef der Techniker Krankenkasse hofft darauf, die Daten, die von Fitness-Armbändern und Wearables gemessen werden, mit Hilfe der elektronischen Gesundheitskarte speichern zu können. Er phantasiert, diese Daten könnten zugleich von den Kassen verwaltet werden. Im Interesse der Versicherten – versteht sich. Die AOK Nordost bezuschusst den Kauf einer Apple Watch als Fitness-Tracker bereits mit 50 Euro – (noch) ohne die Daten auch selbst zu sammeln. Die Krankenkassen wollen jene Bürger für die eigene Kasse gewinnen, die die ständige Selbstkontrolle schon zum eigenen Maßstab gemacht haben. Das sind statistisch eher die jüngeren, die fitteren und die besser gebildeten, ergo die Gesünderen und die besser Verdienenden. Genau um diese Klientel konkurrieren die Krankenkassen.
Schritt für Schritt wird es danach darum gehen, das System der solidarischen Krankenversicherung umzubauen. Diejenigen, die sich an die statistischen Standards vermeintlich gesunden Lebens halten, werden belohnt werden. Ihnen könnten Boni gewährt werden. Wie gesund lebt ein Versicherter? Wie viel bewegt er sich? Wie fit ist er? Welcher Leistungen hat er sich würdig erwiesen? Noch sagt Justizminister Maas allerdings: "Mit dieser Freiheit (über seine Daten, aber auch über seinen Lebensstil, selbst zu entscheiden) ist es nicht weit her, wenn Krankenkassen Tarifmodelle entwickeln, bei denen Sie den günstigen Tarif nur dann bekommen, wenn Sie einwilligen, dass Ihre kompletten Gesundheitsdaten ständig übermittelt werden."
Vor dem legal werdenden Gebrauch der Gesundheitsdaten ist also zu warnen, aber auch der illegale schreitet voran. Das Neusser Krankenhaus – das im Bereich der IT als Leuchtturm-Projekt gilt – ist im Februar 2016 von einem Virus lahmgelegt worden. 2016 waren allein in NRW schon 28 Krankenhäuser Ziel von Hackern. Die FAZ berichtet am 25. Februar 2016, digital erfasste Patientenakten seien das begehrte Ziel von Computerhackern. 100 Millionen solcher Datenpakete seien auf den internationalen Schwarzmarkt im Internet gekommen. Diese Daten seien länger haltbar, da eine kompromittierte Kreditkarte gesperrt würde, während Patientendaten nutzbar blieben.
Das E-Health-Gesetz will nun den zeitlichen Druck zur Nutzung der eGK und vor allem zur Einführung der Telematik-Infrastruktur (TI) erhöhen. Das Projekt, das bereits 2006 online gehen sollte, bleibt weiterhin von Pleiten, Pech und Pannen begleitet. Das Stammdatenmanagement, der Abgleich der administrativen Versichertendaten von der Arztpraxis mit der Krankenkasse, sollte Mitte des Jahres 2016 möglich werden. Es wird wohl Anfang bis Mitte 2017 werden. Mit dem Ausbau der Telematik-Infraktruktur soll die Kommunikation aller am Gesundheitssystem Beteiligten möglich werden. Die Kommunikation untereinander soll als offenes System angelegt sein, also auch ohne die datenschutzrechtlichen Behinderungen durch die gesetzlichen Regelungen zur eGK nutzbar sein.
Die Klagen von Versicherten gegen die eGK richten sich deshalb zugleich gegen diese Telematik-Infrastruktur. Das Bundessozialgericht (18. November 2014, Az. B 1 KR 35/13 R) ist zwar zu dem Ergebnis gekommen, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung durch die eGK nicht verletzt werde. Es stellt aber auch fest, dass „den Gesetzgeber“ „eine Beobachtungspflicht“ treffe, „um auf sich künftig zeigende Sicherheitslücken zu reagieren.“ Es fehle „an einer hinreichend verfestigten Telematikinfrastruktur als Prüfungsgegenstand eines Grundrechtseingriffs“. Darüber werden also Gerichte immer wieder neu zu befinden haben - aktuell klagen wieder Einzelne, um diese sich entwickelnde Telematik-Infrastruktur erneut überprüfen zu lassen.
Der sachsen-anhaltische Datenschutzbeauftragte Harald von Bose zeichnet in seinem XII. Tätigkeitsbericht ein düsteres Bild vom Zustand des Datenschutzes. „Die Grundrechte des Schutzes der Privatsphäre, der informationellen Selbstbestimmung und der Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme befinden sich in der Defensive: (…) Die Menschen werden gläserner, ob als Bürger, als Verbraucher, als Kunde, im Verhältnis zum Staat, zu Unternehmen und zu anderen Menschen, auch als Autofahrer, als Patient, zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit … . Algorithmen erfassen und steuern zunehmend das Verhalten bis hinein in die Gedankenfreiheit.“
Informationelle Selbstbestimmung ist aber nicht nur Teil des Persönlichkeitsrechts, sondern „Funktionsbedingung der freiheitlichen Demokratie“.
Elke Steven (Referentin im Grundrechtekomitee)