19. Feb. 2025 © grundrechtekomitee
Demokratie / Menschenrechte / Rechtsstaatlichkeit

Gemeinsame Erklärung: Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat!

Am 19.2.2025 veröffentlicht das Grundrechtekomitee gemeinsam mit fünf anderen Organisationen die folgende Erklärung. 


Als Bürger:innen- und Menschenrechtsrechtsorganisationen sowie als juristische Berufsvertretungen wenden wir uns mit Nachdruck gegen die Infragestellung rechtsstaatlicher Mechanismen in diesem Bundestagswahlkampf. Überzogene Law and Order-Forderungen und verfassungswidrige Gesetze sind für uns nichts neues, gegen diese politisch und juristisch vorzugehen, ist schon lange ein Teil unserer Arbeit. Aber dieser Wahlkampf hat eine andere, gefährliche Qualität: Im Zuge einer radikalisierten Migrationspolitik, die durch den Aufstieg der AfD in den Wahlumfragen begünstigt wird, werden das Recht an sich und die Institutionen des Rechtsstaats, allen voran die Gerichte und die Rechtsanwaltschaft, auch von demokratischen Parteien offen in Zweifel gezogen. Durch die Zustimmung zum sog. „5-Punkte-Plan“ fordern CDU/CSU, FDP, BSW und AfD unverhohlen den Bruch mit Europarecht und Verfassungsrecht. Durch einen kalkulierten Rechtsbruch qua permanenter Grenzkontrollen soll Druck auf die europäische Gesetzgebung ausgeübt werden. Ob Urteile des Europäischen Gerichtshofs noch umgesetzt werden, ist zu einer offenen Frage geworden. In den letzten Jahren ist neben dem Migrationsrecht auch im Klima- und Umweltrecht öfter von einem sog. „exekutiven Ungehorsam“ die Rede, indem Gerichtsentscheidungen seitens der Regierung und Verwaltung schlicht ignoriert werden. Hinter vorgehaltener Hand sprechen Politiker:innen aus den Reihen der CDU laut Medienberichten bereits von den „Scheiß-Gerichten“. Sie stoßen in eine rhetorische Kerbe, die unter den extrem rechten Regierungen in Italien, Polen und in Ungarn bereits autoritär umgeschlagen ist: Richter:innen werden zu Feinden des Staates erklärt. SPD und Grüne haben in der denkwürdigen Sitzungswoche des Bundestages Ende Januar 2025 zwar rhetorisch den Rechtsstaat hochgehalten, aber auch sie selbst haben zuvor in der Migrations- und Sicherheitsgesetzgebung europa- und verfassungswidrige Vorhaben vorangetrieben: darunter zuletzt die Kontrollen an den deutschen EU-Binnengrenzen und das „Sicherheitspaket“ vom 18. Oktober 2024.

Gegen die Einhaltung des gesetzten Rechts wird von Politiker:innen und in Teilen der Medien das Argument vorgebracht, das Recht dürfe nicht gegen „den Willen des Volkes stehen“. Falls es dies tue, müsse es verändert werden. Aber erstens geht es bei den allermeisten rechtlichen Aspekten, die aktuell infrage gestellt werden, nicht um einfaches Gesetzesrecht. Stattdessen geht es um Grund- und Menschenrechte, internationale und europäische Verträge oder um die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit an sich. Richtig ist, dass das Recht immer das Ergebnis von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen ist. Aber unteilbare Grund- und Menschenrechte dürfen in politischen Verhandlungen nicht zur Disposition stehen. Im Übrigen lässt sich Recht nicht mit einem Faustschlag von Regierungsvertretern auf den Tisch hinwegfegen, sondern muss selbst Gegenstand von Verfahren im Parlament oder mit Partnern aus anderen Ländern sein. Zweitens sind diese Rechtsgrundlagen gerade in Deutschland das Ergebnis der historischen Erfahrungen aus zwei Weltkriegen und der NS-Herrschaft. Sie sind ein Teil der Aufarbeitung von Vergangenheit, die nichts an ihrer Gültigkeit verloren hat. Dazu zählt vor allem die Unteilbarkeit der menschlichen Würde und die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz, auch unabhängig von ihrer Herkunft. Und drittens geht die Gegenüberstellung von Demokratie und Recht implizit von einer „vollständigen“ Demokratie aus, in der die Interessen aller repräsentiert werden. Aber in unseren aktuellen demokratischen Verfahren sind Armutsbetroffene, die Mehrzahl der Lohnabhängigen, migrantische Personen ohne europäische Staatsbürgerschaft und solche diverser sexueller Orientierung viel zu oft ausgeschlossen. Um ihre Positionen in der Gesellschaft zu verbessern bedarf es einer Veränderung politischer Machtverhältnisse. Solange das aber nicht passiert ist, können diese Menschen in Verfahren vor Gericht mittels der Grund- und Menschenrechte ihren Platz und ihre Teilhabe an dieser Gesellschaft geltend machen.

Aktuell ist die Migrationspolitik der Schauplatz, auf dem um die Zukunft der rechtsstaatlichen Verfasstheit und um die Unteilbarkeit von Grundrechten gekämpft wird. Doch bleiben diese Entwicklungen dort nicht stehen. Der erstarkende Autoritarismus manifestiert sich auch dort, wo die Wissenschaftsfreiheit missachtet, das Streikrecht angegriffen, das Versammlungsrecht eingeschränkt und Anwält:innen in Klimaschutzverfahren als vermeintliche Gegner:innen der Demokratie gebrandmarkt werden.

Als Bürger:innenrechtsorganisationen und juristische Berufsvertretungen setzen wir uns für einen demokratischen und menschenrechtsbasierten Rechtsstaat ein, in dem die Staatsgewalt umfassend an Grundrechte gebunden ist, sowie für eine unabhängige Justiz und eine engagierte Rechtsanwaltschaft. Die Verteidigung der Verfassung und der Menschenrechte ist ein Teil in dem Kampf um Demokratie. Es gilt, nicht länger der Aushöhlung des Rechts das Wort zu reden, sondern den Rechtsstaat in schwierigen Zeiten offensiv zu verteidigen.

19. Februar 2025

Unterzeichnende Organisationen

Humanistische Union

Komitee für Grundrechte und Demokratie

Neue Richtervereinigung

Postmigrantischer Jurist*innenbund

Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein

Vereinigung Demokratischer Jurist:innen

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