In den meisten Bundesländern sind Gefangene zur Arbeit verpflichtet. Die Beschäftigten arbeiten zu Dumpinglöhnen und haben fast keine Rechte. Die Gefangenengewerkschaft GG/BO will das ändern. „Im Auftrag externer Kunden bieten wir in großzügig dimensionierten Produktionshallen in der Abteilung Groß Hesepe folgenden Service an: Be- und Verarbeitung von Kunststoffen, Metallen und anderen Materialien, Montage- und Verpackungsarbeiten. Profitieren Sie von unseren fairen Preisen und unserer langjährigen Erfahrung.“ Dieser Text hört sich zunächst wie ein übliches Dienstleistungsangeboten an. Der Eindruck wird noch durch das Foto einer großen Lagerhalle mit vielen Paletten verstärkt. Was dieses Angebot von anderen unterscheidet, ist, dass der Anbieter die Justizvollzugsanstalt Lingen in Niedersachsen ist. Sie stellt keine Ausnahme dar.
Mittlerweile sind Justizvollzugsanstalten regelrechte Großbetriebe geworden. Nur die Produktpalette ist von Gefängnis zu Gefängnis unterschiedlich. Bei der Bewerbung eigener Produkte präsentiert man sich modern: „Die Hamburger Justizbehörde bietet mit ihrem Projekt ‚Santa-Fu – Heiße Ware aus dem Knast‘ die Möglichkeit, sich in der Herstellung, Gestaltung und Verarbeitung von diversen Artikeln einzubringen. Dabei arbeiten die Gefangenen an den Santa Fu-Produkten mit viel Engagement und Fleiß“, heißt es auf der Website. Betont wird noch mal ausdrücklich, dass alle Produkte grundsolide verarbeitet, von hoher Qualität und von den Gefangenen höchstpersönlich bearbeitet, bedruckt, verpackt und veredelt worden sind. In manchen Fällen hätten die Gefangenen die Produkte sogar komplett hergestellt. Die Werbekampagne scheint sich auszuzahlen. „Es gehen schon ordentlich Bestellungen ein“, zitiert eine Lokalzeitung die Leiterin der JVA Glasmoor Angela Biermann. Sie macht sich auch schon Gedanken über eine Ausweitung von Handel und Produktion. „Es gibt ja Leute, die von dieser Marke total überzeugt sind. Ich gehöre dazu“, so Biermann.
Mit keinem Wort erwähnt sie die Entlohnung der Gefangenen, die die Produkte herstellen. Das verwundert kaum, werden doch den Arbeitern hinter Gittern, deren Kreativität und Fleiß sie so gerne herausstellt, fast sämtlichen Rechte wie die auf Mindestlohn und soziale Sicherheit vorenthalten. Betroffen von dieser Entrechtung ist ein Großteil der rund 64 000 Gefängnisinsassen in Deutschland. In mindestens zwölf Bundesländern gibt es in den Gefängnissen eine gesetzliche Arbeitspflicht. Im Mai 2017 hat der Spiegel einen Insassen der JVA Hamburg-Fuhlsbüttel vorgestellt, der täglich von morgens sieben Uhr bis zum frühen Nachmittag in der anstaltseigenen Tischlerei gearbeitet hat. „Auf dem Lohnschein für den Februar 2016 sind Gesamtnettobezüge von 311,65 Euro angegeben. Das ist ein Stundenlohn von unter drei Euro“, heißt es in dem Artikel.
Der durchschnittliche Stundenlohn für Arbeit im Gefängnis liegt bei 1,50 Euro. Hinzu kommt, dass fast alle Langzeitgefangenen, auch wenn sie täglich acht Stunden im Gefängnis gearbeitet haben, höchstwahrscheinlich mit Altersarmut konfrontiert sein werden. Denn sie erwerben keinerlei Rentenansprüche. Dabei sah bereits 1977 eine Justizreform vor, Gefangene in die Rentenversicherung einzubeziehen. Auch mehr als 40 Jahre später ist diese Vorgabe nicht umgesetzt. Politiker verweisen immer wieder auf die leeren Kassen, wenn das Komitee für Grundrechte und andere zivilgesellschaftlichen Organisationen bei jeder Konferenz der Landesjustizminister dafür sorgen, dass das Thema Renten für Gefangene nicht in Vergessenheit gerät. Das Anliegen wird regelmäßig vertagt.
Betroffen von dieser Entrechtung ist ein Großteil der rund 64 000 Gefängnisinsassen in Deutschland. In mindestens zwölf Bundesländern gibt es in den Gefängnissen eine gesetzliche Arbeitspflicht. Gefangene, die sich widersetzen, können mit Sanktionen belegt werden. Gefängnisinsassen sind als Arbeitskräfte besonders flexibel einsetzbar.
Die Gefangenengewerkschaft (GG/BO) aus der JVA Tegel in Berlin
Das Land Niedersachsen wirbt damit, dass Kunden auf ihre Auftragsspitzen ohne eigene Investitionen flexibel reagieren könnten. Die Blätter für Deutsche und Internationale Politik kommen zu dem Schluss, dass Gefangenenarbeit die Verlagerung der Produktion ins Ausland überflüssig mache. Stattdessen kann man mitten in Deutschland auf eine Sonderwirtschaftszone zurückgreifen, in der die Beschäftigten fast keine Rechte, aber die Pflicht zur Arbeit haben und in denen Dumpinglöhne die Regel sind. Von dieser besonderen Ausbeutung der Arbeitskraft profitieren auch die Vollzugsanstalten.
Die externen Unternehmen zahlen für die Produkte einen Betrag, der den Lohn der Gefangenen manchmal um mehr als das Zehnfache übersteigt. Die Differenz kommt der JVA zugute. Die Blätter für Deutsche und Internationale Politik klassifizieren die Arbeit im Gefängnis so: „Die Grundkonstellation entspricht derjenigen der Arbeitnehmerüberlassung bei Leiharbeitsfirmen – jedoch ohne wichtige Schutzmechanismen wie den Gleichbehandlungsgrundsatz oder die Informationspflicht gegenüber den Betriebsräten des Entleihers.“
Die Gewerkschaft steht jetzt vor der Frage, ob sie in der Lage ist, notfalls einen Arbeitskampf für die Durchsetzung ihrer Forderungen zu führen. Das wäre eine Herausforderung, weil es für arbeitende Gefangene keine Gewerkschaftsrechte gibt.
2014 haben Gefangene der JVA Tegel in Berlin die Gefangenengewerkschaft (GG/BO) gegründet, die innerhalb weniger Monate auch in vielen anderen Gefängnissen Mitglieder gewonnen hat. Die beiden zentralen Forderungen der GG/BO sind die Einbeziehung aller Gefangenen in die Rentenversicherung und ein Mindestlohn. Dass sich die Gewerkschaft so schnell ausbreiten konnte, liegt unter anderem daran, dass viele Gefangene mit ihrer rechtlosen Situation und der Vorenthaltung von Lohn und sozialer Sicherungen sehr unzufrieden sind. Oliver Rast, der Sprecher der GG/BO, bezeichnete es als größten Erfolg der Organisation, dass es ihr gelungen sei, das Gefängnis als Ort von Dumpinglöhnen und fehlenden Arbeitsrechten ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.
Es ist in der Tat auffällig, dass die Berichte über die Arbeit im Gefängnis bei Niedriglohn und fehlenden Rechten nach der Gründung der GG/BO häufiger geworden sind.
Allerdings steht die Gewerkschaft jetzt vor der Frage, ob sie in der Lage ist, notfalls einen Arbeitskampf für die Durchsetzung ihrer Forderungen zu führen. Das wäre schon deshalb eine Herausforderung, weil es für arbeitende Gefangene auch keine Gewerkschaftsrechte gibt. Bisher ist die GG/BO in keinem Bundesland als Tarifpartner anerkannt. Regelmäßige Treffen aller Gewerkschaftsmitglieder sind nicht möglich. Das sind schlechte Voraussetzungen für eine Organisation, die es mit der Interessenvertretung ernst meint.
So hat die Sonderwirtschaftszone Gefängnis alle Merkmale einer fast schrankenlosen Mehrwertauspressung mit niedrigen Löhnen und de facto ohne Rechte. „Im Mittelpunkt der Probleme, die Strafgefangene und entlassene Strafgefangene haben, steht das Arbeitsverhältnis“, schrieben die Herausgeber des im Suhrkamp-Verlag 1978 erschienenen Buches „Gewerkschaften und Strafvollzug“. 40 Jahre später ist der Stellenwert der Arbeit hinter Gittern gewachsen, höhere Löhne und mehr Rechte haben die Gefangenen hingegen nicht.
Peter Nowak
Der Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift Jungle World # 09/2018