Am Jahrestag des Nagelbombenanschlages vom 9. Juni 2004 erinnern wir gemeinsam mit Betroffenen aus der Keupstraße und der Probsteigasse, wo 2001 ebenfalls eine Bombe des NSU explodierte, und Vertreter*innen der Initiative 19. Februar aus Hanau an die Opfer rassistischer Gewalt und die Kämpfe gegen Rassismus. Am 9. Juni 2004 explodierte in der Keupstraße eine Nagelbombe und verletzt zahlreiche Menschen, einige davon schwer. Obwohl Vieles von Anfang an für Nazis als Urheber sprach, richtete sich der Verdacht der Ermittler*innen ausschließlich gegen die Bewohner*innen und Beschäftigten der Straße. Die Opfer wurden zu Täter*innen und die über Köln hinaus bekannte Geschäftsstraße als „Parallelwelt krimineller Ausländer-Milieus“ bezeichnet, der Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs (SPD) sprach verächtlich von einem Ghetto.
Nach der Selbstenttarnung des NSU, der von 2000 bis 2009 neun Migranten und eine Polizistin ermordete, versprach die Bundeskanzlerin eine „lückenlose Aufklärung“ der beispiellosen rassistischen Mordserie. Trotz mehrerer Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse und 5 Jahren Hauptverhandlung am Oberlandesgericht München ist der NSU-Komplex bis heute nicht aufgeklärt. Im Gegenteil, den Verbindungen zur militanten Nazi-Szene und zum Verfassungsschutz wurde nicht nachgegangen und die zwei verurteilten Unterstützer des rechten Terrornetzwerks und engsten Vertrauten des NSU wurden direkt nach dem Urteil im Münchner Prozess aus der Haft entlassen. Während die Neonazi-Szene dieses als Erfolg feierte, kritisierten die Opfer, ihre Anwält*innen und Unterstützer*innen das milde Urteil und die Haftentlassungen als Ermutigung an die Nazis weiter zu machen.
Tatsächlich geht die rassistische Mord- und Anschlagserie weiter. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke am 2. Juni 2019 dokumentiert das Weiterwirken des NSU-Komplexes und die fortgesetzte Existenz des niemals vollständig aufgeklärten „Netzwerks von Kameraden“, wie die Selbstbezeichnung des NSU lautete. Ausgerechnet Kassel, wo der V-Mann-Führer Andreas Temme wirkte, der beim Mord des NSU an Halit Yozgat selbst am Tatort war. Vier Monate später, im Oktober 2019, versuchte ein schwer bewaffneter Nazi in der Synagoge von Halle ein Massaker unter jüdischen Gläubigen anzurichten. Nachdem das nicht gelang, erschoss er vor dem Gebäude eine Passantin und einen Gast in einem Döner-Imbiss.
Am 19. Februar 2020 schließlich richtete ein Rassist in zwei Shisha-Bars in Hanau ein Blutbad an. Neun Menschen starben und anschließend die Mutter des Täters. Am 07. April 2020 wurde ein 15-jähriger Jugendlicher in Celle ermordet. Was die Mörder eint, ist ihr zutiefst rassistisches, antisemitisches und anti-feministisches Weltbild. Einen Tag nach dem Massaker von Hanau am 19. Februar folgten Tausende dem Aufruf der Angehörigen auf die Straßen zu gehen und der Opfer zu gedenken. In Köln haben sich hunderte spontan an der Keupstraße versammelt, aus Solidarität mit den Betroffenen des rechten Terrors, gegen die Neonazi-Mörder*innen und gegen ihre geistigen Vorbereiter und Verbündeten. Am Jahrestag des Anschlags in der Keupstraße gedenken vor Ort. Wir treffen uns am „Herkesin Meydanı – Platz für Alle“, der der Erinnerung einen Raum geben wird. Erinnern heißt verändern. Deshalb handeln wir gemeinsam gegen Rassismus. Migrantifa ist unsere Vision: Für die Gesellschaft der Vielen - Yalla, yalla, Migrantifa!
Erinnern und handeln gegen Rassismus – Yalla Migrantifa
9. Juni 2020, 19 Uhr, Gedenkkundgebung Keupstraße/Ecke Schanzenstraße, Köln
Für Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter, die vom NSU ermordet wurden.
Für Fatih Saraçoğlu, Ferhat Ünvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kalojan Welkow, Mercedes Kierpacz, Said Nesar El Hashemi, Sedat Gürbüz, Vili Viorel Păun, die in Hanau erschossen wurden.
Für Jana L. und Kevin S., die in Halle ermordet wurden.
Für Arkan Hussein Khalaf, der in Celle erstochen wurde und alle anderen Opfer rassistischer Gewalt.